Die Regulierung des Versicherungsfalls in der Berufsunfähigkeitsversicherung

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Versicherungsfälle im Zusammenhang mit Berufsunfähigkeitsversicherungen führen in der forensischen Praxis nicht selten zu erbitterten Streitigkeiten. Dies ist, beachtet man die Situation des Versicherungsnehmers, sehr leicht nachvollziehbar, da er davon ausgeht, wegen einer meist als schwer empfundenen Erkrankung seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben zu können und er sich daher in seiner beruflichen und finanziellen Existenz bedroht sieht. Gleichzeitig empfinden viele Versicherungsnehmer schon die Regulierung durch den Versicherer als belastend, da sie vielfach den Grund für das Informationsbedürfnis des Versicherers nicht nachvollziehen können und schon wiederholtes Nachfragen als vorweggenommene Verweigerung der Leistung ansehen. Hinzu kommt, dass der nicht anwaltlich beratene Versicherungsnehmer oft aus Unkenntnis der Hintergründe für ihn nachteilige oder nur stark verkürzte Angaben zum Versicherungsfall macht, die zum einen zur Ablehnung führen können, zum anderen aber auch im späteren Verfahren teilweise nur schwer wieder auszuräumen sind. Schon unter diesem Gesichtspunkt kann es daher vorteilhaft sein, sich schon vor und bei der Beantragung von Leistungen anwaltlich beraten zu lassen, auch wenn die meisten Rechtsschutzversicherer für die Beratung keinen Deckungsschutz gewähren oder die Beratungsgebühren unterhalt des in der Rechtsschutzversicherung vereinbarten Selbstbehalts liegen.

Voraussetzung für eine Leistung ist zuallererst, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherer den Eintritt des Versicherungsfalls anzeigt. Daraufhin wird der Versicherer nicht sofort Leistungen gewähren - insbesondere erfolgt nicht automatisch eine Beitragsfreistellung im Hauptvertrag! -, sondern er wird prüfen, ob eine Leistungspflicht überhaupt besteht, ob also ein vertraglich vereinbarter Versicherungsfall vorliegt. Dies bringt mit sich, dass der Versicherer schon wegen der komplexen Voraussetzungen des Versicherungsfalls eine Vielzahl von Informationen zur Erkrankung, den damit verbundenen Einschränkungen und dem zuletzt ausgeübten Beruf einholen muss, um überhaupt einschätzen zu können, ob Berufsunfähigkeit im Sinne der vertraglichen Vereinbarung gegeben ist. Hinzu kommen regelmäßig Nachfragen zu Vor- und Ausbildung und jetzige Tätigkeit, wenn der Versicherungsvertrag die Möglichkeit der Verweisung vorsieht.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen kurz die Voraussetzungen darstellen, unter denen ein Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung besteht.

Berufsunfähigkeit liegt nach der vertraglichen Definition, die den allermeisten Versicherungsverträgen zugrunde liegt, vor, wenn die versicherte Person voraussichtlich dauerhaft aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall zu mehr als 50% außer Stande ist, ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf auszuüben. Teilweise waren in der Vergangenheit andere Grenzwerte vereinbart worden oder Versicherer versprachen bereits ab einer Beeinträchtigung von 25% Teilleistungen, wohingegen die volle Versicherungsleistung erst ab einer Beeinträchtigung von 75% erbracht werden sollte. Diese alternativen Definitionen haben sich jedoch am Markt nicht durchgesetzt, weshalb sie hier nicht weiter behandelt werden sollen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Definition der Berufsunfähigkeit vollständig unabhängig von den Voraussetzungen ist, unter denen von der Deutschen Rentenversicherung Erwerbsminderungsrenten gezahlt werden. Denn dafür ist nur entscheidend, ob der Versicherte keine oder nur eine zeitlich beschränkte Tätigkeit in irgendeinem Beruf auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben kann. Aufgrund dessen haben die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente oder Gutachten aus dem Sozialversicherungsverhältnis keine Bindungswirkung für das rein privatrechtliche Verhältnis aus dem Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn auch häufig beide Definitionen gleichzeitig erfüllt werden.

Anknüpfungspunkt für das der Prüfung zugrunde zu legende Berufsbild ist der zuletzt von dem Versicherungsnehmer ausgeübte Beruf. Dieser muss dem Versicherer, der das konkrete Berufsbild nicht kennt, in seiner individuellen Ausgestaltung so detailliert dargestellt werden, dass der Versicherer sich ein konkretes Bild von den mit dem Beruf verbundenen Belastungen machen kann. Dies geschieht in der Regel mittels eines vom Versicherer übersandten Fragebogens. Kommt es jedoch im weiteren Verlauf zu einem gerichtlichen Verfahren, ist der Versicherungsnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpflichtet, auch über die Informationen auf dem Fragebogen hinaus zu seinem Berufsbild vorzutragen, um so dem gerichtlich beauftragen Sachverständigen die Möglichkeit einzuräumen, sich allein aus der Verfahrensakte ein Bild von den Anforderungen der konkreten Tätigkeit zu machen.

Zu berücksichtigen ist, dass der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall häufig bei mehreren Institutionen Fragebögen ausfüllen wird. Hier ist unbedingt darauf zu achten, dass die Antworten miteinander abgeglichen werden, da Widersprüche in den Angaben unter Umständen Anlass zur Leistungsverweigerung durch den Versicherer geben können.

Häufig kommt es vor, dass der Versicherungsnehmer im Hinblick auf sein Leiden bereits den Arbeitsplatz gewechselt hat und sich sein Berufsbild somit wegen der Krankheit schon geändert hatte, bevor seiner Ansicht nach die Grenze zur Berufsunfähigkeit überschritten wurde. Dann ist Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Beruf, wie der Versicherungsnehmer ihn zuletzt in gesunden Tagen ausgeübt hat. Kommt es zu einem solchen leidensbedingten Arbeitsplatzwechsel, sollte der Versicherungsnehmer die konkreten Umstände des Berufsbildes mitsamt möglicher Zeugen frühzeitig festhalten, da ihm die Darlegungs- und Beweislast im Versicherungsfall obliegt und erfahrungsgemäß die Beschreibung und der Beweis eines konkreten Arbeitsplatzumfelds nach längerer Zeit schwer fällt.

Besonderheiten ergeben sich, wenn der Versicherungsnehmer nicht weisungsabhängiger Arbeitnehmer, sondern selbständig tätig ist oder in einem Beamtenverhältnis steht. Die Rechtsprechung hat zu den damit verbundenen Einzelfragen in einer großen Zahl von Einzelfallentscheidungen eine für die Praxis brauchbare Kasuistik erarbeitet, die hier nicht en detail dargestellt werden soll. Festzuhalten ist nur, dass allein die Frage des Berufsbildes und die Möglichkeit, dies in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren darstellen und beweisen zu können, für die Frage, ob Leistungen erbracht werden, mitentscheidend ist. Die Bedeutung dieses Punktes wird allerdings von den Versicherungsnehmern häufig zu Unrecht nicht erkannt.

Weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalls ist, dass der Versicherungsnehmer infolge seiner Erkrankung zu mindestens 50% außerstande sein muss, seinen Beruf auszuüben. Entscheidend ist hierbei die objektive Beeinträchtigung, weshalb weder auf die Einschätzung des Versicherungsnehmers noch auf die seines behandelnden Arztes abzustellen ist. Häufig wird die Frage, ob die Voraussetzungen vorliegen, nur durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden können. Dies Gutachten wird regelmäßig vom Versicherer auf eigene Kosten in Auftrag gegeben. Der Versicherungsnehmer muss im Rahmen des Zumutbaren für eine Begutachtung durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt zur Verfügung stehen. Andernfalls ist dem Versicherer die Prüfung der eigenen Leistungspflicht abgeschnitten und ein etwaiger Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers wird nicht fällig. Ob der Versicherungsnehmer ein Recht auf Einsicht und/oder Übersendung des Gutachtens hat, ist nicht eindeutig geklärt. In Anknüpfung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber dies Recht für den Bereich der Krankenversicherung ausdrücklich in § 202 VVG vorgesehen. Aufgrund der vergleichbaren Interessenslage dürfte ein entsprechender Anspruch des Versicherungsnehmers auch in der Berufsunfähigkeitsversicherung bestehen. Einschränkungen ergeben sich allerdings unter Umständen bei psychischen Erkrankungen unter therapeutischen Gesichtspunkten. Dann dürfte der Versicherungsnehmer allerdings einen Anspruch darauf haben, dass das Gutachten seinem behandelnden Therapeuten zur Verfügung zu gestellt wird.

Über die Frage, ob die gesundheitlichen Einschränkungen zur Berufsunfähigkeit führen, gibt es häufig Streit im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und Erkrankungen des Skelettapparates, da hier ein gewisser Bewertungsspielraum besteht und die Befunde nur bis zu einem gewissen Grade objektivierbar sind. Ob die Vermutung vieler Versicherungsnehmer zutreffend ist, dass die vom Versicherer beauftragten Gutachter im Zweifel immer für den Versicherer bewerten, ist empirisch bislang nicht untersucht worden und dürfte in dieser Absolutheit auch nicht zutreffend sein. Festzustellen ist jedoch, dass ein im Rahmen der Regulierung eingeholtes Gutachten lediglich ein Parteigutachten ist und somit keine Bindungswirkung entfaltet. Es kommt bei Streitigkeiten über Ansprüche aus Berufsunfähigkeitsversicherungen auch regelmäßig vor, dass das gerichtliche Gutachten aufgrund des wesentlich genauer aufgearbeiteten Sachverhalts zu anderen Ergebnissen gelangt. Insoweit sollte das vom Versicherer eingeholte und einen Leistungsanspruch ablehnende Gutachten durchaus kritisch hinterfragt werden.

Häufig übersehen wird bei der Prüfung, ob ein Leistungsanspruch besteht, die Frage, ob der Versicherer den Versicherungsnehmer trotz bestehender Berufsunfähigkeit berechtigt auf einen anderen Beruf verweisen darf. Insbesondere in älteren Verträgen ist regelmäßig das Recht enthalten, den Versicherungsnehmer darauf zu verweisen, dass er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen einen anderen zumutbaren und vergleichbaren Beruf ausüben könne mit der Folge, dass der Versicherungsanspruch entfällt. Dabei unterscheiden die Bedingungswerke danach, ob eine abstrakte oder eine konkrete Verweisung vereinbart wird. Bei der abstrakten Verweisung genügt für den Entfall der Leistungspflicht, dass ein Verweisungsberuf existiert, unabhängig von der Frage, ob der Versicherungsnehmer eine Anstellung in diesem Beruf findet. Ein zumutbarer Verweisungsberuf liegt dabei nach der Rechtsprechung vor, wenn der Beruf, auf den verwiesen wird, im Hinblick auf das mögliche Einkommen, die Anforderungen und die soziale Wertschätzung vergleichbar ist. Diese Regelung ist von der Rechtsprechung als zulässig erachtet worden, was damit begründet wurde, dass der Versicherer lediglich das Gesundheitsrisiko, nicht auch das Arbeitsmarktrisiko absichern wolle. Bei der konkreten Verweisung kann der Versicherer den Versicherungsnehmer nur auf einen zumutbaren Beruf verweisen, den er konkret ausübt. Verliert er allerdings später aus Gründen, die nicht in seiner Erkrankung zu finden sind, die Anstellung, so kann der Versicherer weiterhin leistungsfrei sein.

Der Grund dafür, warum die Frage der Verweisung häufig nicht abschließend geprüft und behandelt wird, liegt darin, dass der Bundesgerichtshof dem Versicherer auferlegt, die seiner Ansicht nach geeigneten Verweisungsberufe aufzuzeigen, bevor der Versicherungsnehmer substantiiert dazu Stellung nehmen muss, warum die aufgezeigten Berufe keine zulässigen Verweisungsberufe sind. Dem genügt der Versicherer nicht dadurch, dass er lediglich Berufsbilder oder Berufsfelder benennt, sondern er muss den Beruf so konkret darlegen, dass der Versicherungsnehmer hierzu substantiiert Stellung nehmen kann. Dies unterbleibt in der außergerichtlichen Korrespondenz regelmäßig, insbesondere, wenn der Versicherer sich noch auf andere Ablehnungsgründe beruft. Häufig werden Verweisungsberufe daher erst im gerichtlichen Verfahren aufgezeigt, so dass sie im Vorhinein nicht mitberücksichtigt werden konnten. Im Hinblick auf die recht hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Aufzeigelast und die materiellen Voraussetzungen für einen Verweisungsberuf besteht aber auch dann, wenn erst im gerichtlichen Verfahren Verweisungsberufe aufgezeigt werden, die Möglichkeit, erfolgreich den Leistungsanspruch durchzusetzen.

In der Praxis kommt darüber hinaus häufig vor, dass der Versicherer den Vorwurf erhebt, der Versicherungsnehmer habe bei Antragsstellung seine Anzeigepflicht verletzt und Gesundheitsfragen falsch beantwortet. Hieran anknüpfend erklärt der Versicherer regelmäßig den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und teilweise darüber hinaus auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Ob dem Versicherer diese Rechte zustehen, ist immer eine Frage des Einzelfalls und in gewisser Hinsicht auch von subjektiven Wertungen des entscheidenden Gerichts abhängig. Grundlegende Frage ist immer, ob überhaupt eine Verpflichtung bestand, einen bestimmten Umstand anzuzeigen. Schon zu dieser Frage gehen die Vorstellungen über den Inhalt der Anzeigepflicht zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer weit auseinander. Die Rechtsprechung nimmt hierbei eher eine vermittelnde Position ein, die mit Augenmaß die Pflichten des Versicherungsnehmers bestimmt. Voraussetzung für das Bestehen des Rücktritts- und Anfechtungsrechts ist darüber hinaus ein Verschulden - also Vorsatz oder Fahrlässigkeit - des Versicherungsnehmers, das erfahrungsgemäß bei vielen Versicherern überhaupt nicht geprüft wird. Dieses Versäumnis ist objektiv auch nachvollziehbar, da dem Sachbearbeiter keine Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ein etwaiges Verschulden aufzuklären und ihm das Gesetz nur eine Frist von einem Monat ab Kenntnis gestattet, den Rücktritt zu erklären. Infolgedessen sollte in dem Fall, dass der Versicherer den Rücktritt vom Vertrag erklärt oder ihn wegen arglistiger Täuschung anfechtet, unbedingt Rücksprache mit einem Rechtsanwalt genommen werden, ob dies Recht überhaupt bestanden hat.

Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, sollte der Versicherungsnehmer schon zur Wahrung seiner Rechte und zur Vermeidung von Fehlern im Falle der Berufsunfähigkeit frühzeitig beraten lassen. Die Gebühren sind dabei nach § 34 RVG für eine Erstberatung auf 190 EUR zzgl. Umsatzsteuer und für die Beratung auf 250 EUR zzgl. Umsatzsteuer begrenzt, sofern keine Gebührenvereinbarungen getroffen werden. Rechtsschutzversicherungen decken die außergerichtliche Beratung und Vertretung im Rahmen des Vertragsrechtsschutz mit ab, sofern ein Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vorliegt. Dies setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer dem Berufsunfähigkeitsversicherer einen Verstoß gegen vertragliche Pflichten vorwirft. Dieser Verstoß kann allerdings nicht darin gesehen werden, dass der Versicherer die eigene Leistungspflicht prüft. Ein Verstoß kann aber dann vorliegen, wenn der BU-Versicherer die Regulierung verzögert, indem er immer weitere Informationen einholt, obwohl ihm die notwendigen Informationen zur Bewertung der eigenen Leistungspflicht bereits vorliegen. § 14 Abs. 2 VVG räumt dem Versicherer hierbei eine Frist von einem Monat ein, die mit der vollständigen Information des Versicherers beginnt. Nach dem Ablauf des Monats hat der Versicherungsnehmer Anspruch auf die Leistung von Abschlagszahlungen. Jedenfalls mit Ablehnung des Versicherungsanspruchs liegt ein behaupteter Verstoß vor, so dass spätestens dann Rechtsschutz eingreift.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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