Fehlerhafte Massenentlassungsanzeige: betriebsbedingte Kündigung unwirksam?

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 1. Worum geht es? 

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 13.2.2020 - gerichtliches Az. 6 AZR 146/19 - die Kündigungen von Cockpit-Personal bei der Fluggesellschaft Air Berlin für unzulässig erklärt, weil die vor Ausspruch der Kündigung an die Agentur für Arbeit gerichtete sogenannte „Massenentlassungsanzeige“ fehlerhaft war. Welche Bedeutung solcher Massenentlassungsanzeigen für betriebsbedingte Kündigungen haben können, erläutert Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald:

2. Weshalb ist die Massenentlassungsanzeige so wichtig bei betriebsbedingten Kündigungen?

Hierzu Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald: Dies ergibt sich aus dem Kündigungsschutzgesetz. § 17 des Kündigungsschutzgesetzes schreibt vor, dass der Arbeitgeber bei der zuständigen Arbeitsagentur eine Anzeige erstatten muss, wenn er beabsichtigt, innerhalb von 30 Kalendertagen eine bestimmte Anzahl von Beschäftigten zu entlassen. Die Massenentlassungsanzeige darf nicht unvollständig oder unrichtig sein.

Außerdem schreibt das Kündigungsschutzgesetz ein Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat vor, bevor die Massenentlassungsanzeige erstattet werden kann. Der Massenentlassungsanzeige ist dann auch eine Stellungnahme des Betriebsrats im Rahmen des Konsultationsverfahren beizufügen.

3. Was passiert, wenn die Massenentlassungsanzeige unvollständig oder fehlerhaft ist?

Dr. Bert Howald: Dann sind die angekündigten Entlassungen unwirksam. Deshalb ist dies ein so entscheidender Punkt, weil sich dann die betroffenen Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen können.

4. Wie war es in dem Air Berlin-Prozess?

Dr. Bert Howald: Zunächst einmal muss der Arbeitgeber, bevor er eine Mehrzahl von Beschäftigten entlässt, prüfen, ob eine Massenentlassungsanzeige erstattet werden muss. Das richtet sich nach den Angaben im Kündigungsschutzgesetz. Dort heißt es, dass eine Anzeigepflicht dann besteht, wenn der Arbeitnehmer in Betrieben zwischen 20 und 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer und bei größeren Betrieben 10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer bzw. mehr als 25 Arbeitnehmer entlassen möchte.

Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Air Berlin-Prozess klargestellt, dass die Anzeige auch für den richtigen Betrieb erstattet werden muss, sonst ist sie ebenfalls unwirksam. Wenn der Arbeitgeber bei der Anzeige den für § 17 KSchG maßgeblichen Betriebsbegriff verkennt und deswegen die Anzeige nicht für den richtigen Betrieb erstattet wird, kann dies zur Folge haben, dass die Anzeige bei einer örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit erfolgt und nicht die erforderlichen Angaben enthält.

5. Warum war dies bei Air Berlin nicht beachtet worden?

Dr. Bert Howald: Dabei ging es um eine besondere Konstellation: Die Fluggesellschaft teilte ihr Personal in Bodenpersonal, Kabinenpersonal und Cockpitpersonal auf und ordnete die Mitarbeiter dann den entsprechenden Stationen zu. Cockpitpersonal waren z.B. die Piloten. Diese waren aber nicht an einem einzigen Standort lokalisiert, sondern wurden verschiedenen Einsatzorten zugeteilt. Die Fluggesellschaft hat dann eine Massenentlassungsanzeige bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal erstattet. Die Anzeige ging an die Agentur für Arbeit in Berlin, weil die Fluggesellschaft dort ihren Flugbetrieb zentralsteuerte.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass dies in zweifacher Hinsicht falsch war: Die Fluggesellschaft hat die Anzeige nicht, wie es richtig gewesen wäre, für einen „Betrieb“ erstattet, mit der Folge, dass der Pilot, der im vorliegenden Fall dem Standort Düsseldorf zugeordnet war, bei der Agentur Berlin als zu kündigende Arbeitnehmer gemeldet wurde und nicht bei der Agentur für Arbeit in Düsseldorf. Die Anzeige hätte sich zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränken dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfassen müssen.  

BAG v. 13.02.2020 - 6 AZR 146/19

6. Welche Auswirkungen hat dies auf die Praxis?

Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald erläutert dazu: Im Kündigungsfall kann der Arbeitnehmer - neben der fehlenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung, bestreiten, dass der Arbeitgeber eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet und das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt hat. Denn er hat ja keine weiteren Informationen zu einer Massenentlassungsanzeige. Der Arbeitgeber muss dann im Prozess unter Vorlage der Anzeige darlegen, dass er das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt und die Agentur für Arbeit gemäß den gesetzlichen Bestimmungen informiert hat.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

 

 

 


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