Fibromyalgie – ein schwaches Argument im Sozialrecht?

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In den letzten Jahren hat eine Reihe von neuen Krankheitsbildern Eingang in die Medizin und gleichzeitig enorme Aufmerksamkeit in den Medien gefunden. Patienten, Selbsthilfegruppen und einige Ärzte haben die neuen Krankheitsbezeichnungen rasch publik werden lassen. Zu diesen „modernen Leiden", die immer häufiger diagnostiziert werden, gehört auch die Fibromyalgie. Modern ist vor allem der Begriff unter dem die Diagnose nunmehr firmiert. Erst im Jahre 2003 wurde der Begriff der Fibromyalgie von Frederick Wolfe geprägt.

Gleichwohl sind die zugrunde liegenden Befindlichkeitsstörungen schon vor Jahrzehnten beschrieben worden. Frühere Bezeichnungen wie Fibrositis, generalisierte Tendomypathie, multiple Enthesiopathie und vor allem Weichteilrheuma wurden durch den Begriff der Fibromyalgie abgelöst, der besonders häufig von Orthopäden und Rheumatologen verwandt wird und zwar immer dann, wenn kein adäquates organisches Korrelat die beklagten Beschwerden erklärt. Allgemein anerkannt ist die Definition des American College of Rheumatology. Danach liegt eine Fibromyalgie vor, wenn der Betroffene mehr als drei Monate anhaltende, ausgebreitet persistierende Schmerzen in einer ganzen rechten oder linken bzw. oberen oder unteren Körperhälfte, zusätzliche Wirbelsäulenschmerzen, sowie Schmerzen an wenigstens 11 von 18 definierten sogenannten „tender points" hat. Dabei gibt es bei der Fibromyalgie keine nachprüfbaren klinischen, radiologischen, laborchemischen oder neurophysiologischen Normabweichungen. Die Diagnose beruht ausschließlich auf den subjektiven Angaben des oder der Betroffenen über einen Ganzkörperschmerz und einen Druckschmerz an den erwähnten Punkten.

Vor diesem Hintergrund wird die Fibromyalgie von einer zunehmenden Zahl Betroffener als Anspruchsgrundlage für Leistungen  aus dem Schwerbehinderten- und Rentenrecht  herangezogen. Über die Berechtigung, dass das Leiden Fibromyalgie eine ausreichende Anspruchsgrundlage ist, bestehen seitens der Betroffenen in aller Regel keine Zweifel. Wurde sie doch bisher in den Anhaltspunkten (AHP- 26.18) ausdrücklich benannt und ist sie auch weiterhin in der seit 2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung unter Pkt. 18.4 aufgeführt. Schließlich wird sie auch in den international anerkannten und geltenden Diagnoseschlüsseln unter ICD-10- M. 79.70 ausdrücklich erwähnt.

Umso größer ist das Erstaunen, wenn Betroffene merken, dass im Rahmen der medizinischen Begutachtung für eine Erwerbsminderungsrente oder den Grad der Behinderung (GdB) die Diagnose Fibromyalgie praktisch keine Anerkennung findet. Hier muss dann in der anwaltlichen Beratung versucht werden, dem Mandanten zu erklären, was manche Ärzte offensichtlich versäumt haben ihren Patienten zu erklären. Manchmal hat man den Eindruck, dass der Begriff Fibromyalgie ein Zauberwort dafür darstellt, dass der Arzt es sich erspart, seinem Patienten die möglichen somatischen oder psychosomatischen Gründe für die subjektiv vorhandenen Leiden zu erklären. Dies ist insbesondere dann verständlich, wenn man sich verdeutlicht, dass man bei der Fibromyalgie dann nicht von einer Krankheit, sondern nur von einer Befindlichkeitsstörung sprechen kann, wenn man unter einer Krankheit klar umrissene, definierte und naturwissenschaftlich nachweisbare Krankheitsentitäten versteht.

Dementsprechend reicht es für die Begründung eines sozialrechtlichen Leistungsanspruchs auf Erwerbsminderungsrente oder aber auch auf einen festzustellenden Grad der Behinderung nicht aus, sich allein auf die Diagnose Fibromyalgie zu berufen. Sie ist kein „Sesam öffne dich" für sozialrechtliche Ansprüche. Entscheidend ist vielmehr alleine der Grad der Einschränkung der Leistungsfähigkeit die durch die Fibromyalgie verursacht wird.

In einer sowohl bemerkenswert klaren als auch lesenswerten und ausführlichen Entscheidung aus dem Jahre 2005 hat das Bayerische Landessozialgericht (Aktenzeichen: L 14 R 4241/02, vom 4. 8. 2005) zu der gesamten Problematik der Einordnung der Fibromyalgie ganz grundsätzlich Stellung genommen. Für denjenigen der seinen Anspruch auf Rente oder die Anerkennung als Schwerbehinderter auf diese Diagnose stützen will, macht es Sinn, sich mit der Argumentation des Gerichts auseinander zu setzen.

Für das Gericht, und dies begegnet einem in der anwaltlichen Praxis solcher Verfahren immer wieder, kommt es nicht entscheidend auf die Diagnose an. Für das LSG Bayern ist es nicht von Bedeutung, ob die Diagnose „Somatisierungsstörung", bzw. „somatoforme Schmerzstörung" oder „Fibromyalgie" heißt. Für das Gericht handelt es sich dabei um die Zuordnung der Krankheitssymptome entweder zu einem traditionellen Krankheitsbegriff oder zu einem mehr oder minder künstlich geschaffenen neuen Begriff. Entscheidend für das Gericht ist, wenn die Krankheit anhaltend und nicht mehr in absehbarer Zeit behebbar ist, alleine die Art und Schwere der Symptome. Danach ist es z.B. unerheblich, ob vegetative Zeichen und häufige psychische Auffälligkeiten (u.a. Depression) Ausdruck einer primär seelischen Erkrankung sind oder vielmehr die Folge eines chronischen Schmerzes.

Der Patient und Antragsteller für soziale Leistungen sollte deshalb nicht erstaunt sein, wenn die von ihm zur Begründung von Ansprüchen benannte Diagnose Fibromyalgie weder bei den Leistungsträgern noch bei den Gerichten besonderen Eindruck erzeugt. Wichtig ist das Beschwerdebild und die daraus folgenden, anhaltenden Leistungseinschränkungen heraus zu arbeiten und in dem Leistungsantrag klar erkennbar und nachvollziehbar zu machen. Geschieht dies nicht, so sind falsche Erwartungshaltungen und damit auch Enttäuschungen vorprogrammiert. Gerade bei der so schwierig zu fassenden Diagnose Fibromyalgie, kann man dies vermeiden, wenn entsprechende Leistungsanträge sorgfältig vorbereitet werden.


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