Ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wirklich ein Fortschritt oder gar eine Bürokratieentlastung?

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Seit 01.01.2021 bereits gilt nach § 295 SGB V (Terminservice- und VersorgungsG):  Der Arzt ist verpflichtet, die von ihm festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar an die gesetzlichen Krankenkassen elektronisch zu übermitteln.  Die Arbeitgeber können sich diese Daten (mit Ausnahme des ausstellenden Arztes) bei der Krankenkasse herunterladen, wenn sie die richtigen Angaben zur Arbeitsunfähigkeitsdauer haben, der Arzt korrekt übermittelt hat und die Daten bei der Krankenkasse korrekt verarbeitet wurden - viele "wenns"!

Neu seit 01.01.2023 ist § 109 SGB IV (eingeführt im sogenannten BürokratieentlastungsG III): 

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die durch den Arzt übermittelten Arbeitsunfähigkeitsdaten dem AG zum Abruf bereitstellen. Das nähere Verfahren regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Diese finden Sie unter: https://www.gkvdatenaustausch.de/arbeitgeber/eau/eau.jsp).  

Wer jetzt an eine wirkliche "Bürokratieentlastung" gedacht hatte, war bestenfalls naiv. Davon hätte man ausgehen können, wenn der Arbeitgeber diese von der Krankenkasse direkt erhalten hätte, was ja technisch einfach möglich wäre, da die Krankenkasse zu jeden gesetzlich versicherten Arbeitnehmer die Daten zum Arbeitgeber hat. Aber das wäre zu einfach. Der Arbeitgeber muss aber stattdessen separat die Bescheinigung aktiv bei der Krankenkasse anfordern. 

Der AN ist – unter den gleichen Voraussetzungen wie bisher – verpflichtet, das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer ärztlicherseits feststellen zu lassen. Zudem muss der AN dem AG (wie bisher) die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit an sich und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen (bzw. aktualisieren), § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG. Daraus kann der AG auf die Abrufbarkeit der AU schließen.

Jetzt wird es schwierig, weil der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den genauen Zeitraum der attestierten Arbeitsunfähigkeit mitteilen (z.B. Montags bis Samstag) muss. Anderenfalls kann der Arbeitgeber die Bescheinigung nicht abrufen und erhält die Nachricht, dass keine vorliegt (nicht etwa die richtige Becsheinigung). Das kann auch daran liegen, dass der Arzt diese nicht, verspätet oder fehlerhaft übermittelt; die korrekt übermittelte Bescheinigung nicht, nicht korrekt oder verspätet bei der Krankenkasse weiterbearbeitet wurde.


Was passiert, wenn der Arbeitgeber keine Bescheinigung erhält. Dann hat er ggf. ein Zurückbehaltungsrecht. Der Arbeitnehmer hat das Nachsehen.

AN kann aber freiwillig das Leistungsverweigerungsrecht (rückwirkend) durch Vorlage einer Papierbescheinigung beenden. Also wird sich der Arbeitnehmer immer eine Papierbescheinigung geben lassen, um sicher zu gehen. Da haben wir aber wirklich Bürokratieentlastung geschafft!

Abmahnungen und Kündigungen werden sich zukünftig alleine auf die Nichtvorstellung bei einem Arzt beziehen können, keinesfalls auf die Nichtabrufbarkeit der ärztlichen Feststellung, wohl auch nicht auf die Nichtvorlage eines Papiers, falls die Daten nicht abrufbar sind, weil der Arbeitsnehmer an der Übermittlung nicht beteiligt ist und somit auch keine Pflicht schuldhaft verletzt haben kann.


Hat die elektronische „Mitteilung“ denselben Beweiswert wie die Papierbescheinigung? Das ist höchst umstritten, s. § 5 Abs. 1a S. 2 u. Gesetzesbegründung. 

Problem: Die elektronische Bescheinigung weist den Arzt nicht mehr aus, so dass der Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch haben könnte. 


Fragen über Fragen, die man hätte klären und lösen können, bevor man mit einen halb gewalkten Projekt - nach jahrelanger intensiver Vorbereitung und vielen Millionen Steuergeldern - startete.


Haben Sie Fragen, scheuen Sie nicht, mich zu konsultieren, wobei ich Ihnen zu einigen Fragen (s.o.) noch keine gesicherten Antworten, sondern nur meine vorläufige Rechtsauffassung geben kann.


Karsten Zobel

Fachanwalt für Arbeitsrecht

www.kanzlei-frauenkirche.de

Foto(s): Karsten Zobel

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