Künftig zehn Lieferanten für ein Heim?

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„Pecunia non olet" - Geld stinkt nicht, entgegnete vor rund 2.000 Jahren Kaiser Vepasian seinem Sohn Titus, der die Steuer seines Vaters auf öffentliche Toiletten und Urin kritisierte. „Pecunia non olet" kann man in gewissem Maße auch heute sagen, wenn man an die aktuelle Situation der Hilfsmittelversorgung mit Inkontinenzmaterial sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich denkt. Findet doch die veränderte und damit neuerdings weitgehend mangelhafte Versorgung der Leistungsempfänger mit saugendem Inkontinenzmaterial zunehmend kritische Aufmerksamkeit bis in die allgemeinen Medien hinein, doch der Reihe nach. Ausschreibungen bringen viele Probleme mit sich Bedingt durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, dem sog. GKVWettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG vom 1. April 2007, hat sich u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln durch die Krankenkassen erheblich verändert. Nach dem GKVWSG sollen die Versicherten einer Krankenkasse in der Regel nur noch von deren Vertragspartnern mit Hilfsmitteln versorgt werden. Die allgemeine Zulassung zur Hilfsmittelversorgung reicht deshalb nicht mehr aus. Vertragspartner der Krankenkasse wird nur, wer bei einer Ausschreibung den Zuschlag erhält. Abgerechnet wird dann nach den verabredeten Preisen.

Nach dem GKVWettbewerbsstärkungsgesetz müssen die Krankenkassen immer dann Hilfsmittel ausschreiben, wenn dies „zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung" zweckmäßig ist. Eine Definition des Begriffs „zweckmäßig" hat der Gesetzgeber allerdings nicht geliefert. Diese weitgehende Pflicht zur Ausschreibung hat eine Vielzahl von Problemen nach sich gezogen, für die bis zum heutigen Tage noch keine für alle Beteiligten akzeptable Lösung gefunden wurden. So wird durch die vorgesehenen Ausschreibungsverfahren zukünftig nicht nur eine Vielzahl von Sanitätshäusern, Hörgeräteakustiker, Apotheker etc. von der flächendeckenden Versorgung der Versicherten ausgeschlossen. Auch die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, das Ausschreibungsverfahren rechtlich überprüfen zu lassen, ist noch immer in der Kritik. Während im „normalen" Ausschreibungsverfahren die zivilrechtlichen Vergabekammern der Oberlandesgerichte zuständig sind, sollen nunmehr für die Ausschreibungen nach dem GKVWSG die Sozialgerichte zuständig sein.

Bundesrat beriet im November 2008 über mögliche Änderungen und Nachbesserungen

Die praktischen Probleme bei dem GKVWSG haben deshalb dazu geführt, dass die Regierungsfraktionen der CDU/CSU und SPD Änderungsanträge zum GKVWSG vorgelegt haben, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt am 26.09.2008 im Bundestag und am 29.11.2008 im Bundesrat beraten wurden. Von daher bleibt abzuwarten, welche Änderungen - und hoffentlich auch praktische Verbesserungen - in diesem Jahr noch auf uns zukommen, über die HEIM+PFLEGE zeitnah berichten wird. Wie die Krankenkassen sich im Jahr 2009 hinsichtlich der Ausschreibungen verhalten werden, kann noch nicht gesagt werden. Entscheidend hierfür wird für sie vor allem sein, welches Einsparpotenzial sich vor dem Hintergrund des seit dem 01.01.2009 geltenden Gesundheitsfonds, in der ambulanten wie in der stationären Versorgung, auch mit Inkontinenzmaterial, realisieren lässt. Für den Versicherten, der zu Hause wohnt und versorgt wird, bedeutet dies, dass er sich anders als bisher den Hilfsmittellieferanten nicht mehr selbst aussuchen kann, sondern nur noch von dem von seiner Krankenkasse benannten Leistungserbringer versorgt wird. Und dies auch mit der von der Kasse festgelegten Qualität an Inkontinenzmaterial. Dies führt dazu, dass sehr häufig eine wohnortnahe Versorgung nicht mehr möglich ist, sondern vielmehr überregional und damit zur Minimierung von Lieferkosten in großen Gebinden angeliefert wird. Unabhängig von der Frage, wo und wie der Versicherte das Hilfsmaterial lagern kann. Kundenservice zu erhalten wird damit für den Versicherten noch schwieriger. Für den Versicherten, der stationär versorgt wird, ist die Situation ähnlich problematisch. Allein hier kommt hinzu, dass die versorgenden Pflegeeinrichtungen aufgrund ihrer Versorgungsverträge mit den Pflegekassen dafür zu sorgen haben, dass die Versicherten ausreichend, bedarfsgerecht und angemessen gepflegt werden. Für die Heime bedeutet dies, dass auch sie sich im Falle einer Ausschreibung - anders als bisher - nicht mehr den Hilfsmittellieferanten aussuchen können, sondern sich auf die von den Krankenkassen benannten Leistungserbringer einstellen müssen. Wobei das besondere Problem für die Heime sich aus dem Plural „Leistungserbringer" ergibt. Denn für eine normale Pflegeeinrichtung dürfte wohl die Zugehörigkeit ihrer Bewohner zu zehn verschiedenen Krankenkassen nicht zu hoch gegriffen sein. Dies hat zur Folge, dass zehn Kassen durch ihren Vertragspartner, mit ihren definierten Qualitätsstandards Inkontinenzmaterial anliefern lassen.

Damit bleiben die Heime zwar für ihre Bewohner verantwortlich und werden weiterhin von einem MDK auch hinsichtlich der Pflegequalität geprüft, können aber wesentliche Dinge der Versorgung nicht mehr selbst entscheiden. Der Preis als ausschlaggebendes Entscheidungskriterium? Hinzu kommt, und auch dies gilt sowohl für den ambulanten als auch den stationären Bereich, dass wegen des Kostendrucks bei Ausschreibungen das Entscheidungskriterium im Rahmen der Ausschreibung allein der Preis und nicht die Qualität sein wird. Damit besteht die Gefahr der Versorgung mit Hilfsmitteln geringerer Produktqualität. Entsprechende Beweise wurden von den Medien inzwischen schon veröffentlicht. So sollen Hersteller von Inkontinenzmaterial schon eigene „Billigmarken" eingeführt haben, um dem vielfach einzigen Entscheidungskriterium in Ausschreibungen, nämlich dem Preis, gerecht zu werden. Die Einhaltung des Expertenstandards und damit die Sicherstellung der Versorgungsqualität stehen damit ernsthaft infrage.

Die pflegerischen Auswirkungen zu beurteilen, steht einem Juristen nicht zu. Allein die allgemeine Erfahrung sagt einem, dass die Vorstellungen der Kassen hinsichtlich der Produktauswahl und der Anzahl der eingesetzten Produkte kaum mit den Vorstellungen der für die Pflege Verantwortlichen übereinstimmen dürften. Es besteht daher nicht nur die Gefahr, dass die Versorgungsqualität deutlich absinkt, sondern auch, dass es zu negativen gesundheitlichen Folgen bei den Versicherten kommen wird. Hinzu kommen so banale wie letztendlich auch absurde Auswirkungen, dass das Pflegepersonal zukünftig darauf zu achten haben wird, jeden Bewohner mit seinem - unterschiedlichen - Inkontinenzmaterial, richtig zu versorgen. Enormer logistischer und administrativer Aufwand für die Heime Die ökonomischen Auswirkungen bei der Versorgung stationär Versicherter durch einen Ausschreibungsgewinner mögen bei der Krankenkasse positiv sein. Die Betreiber stationärer Pflegeeinrichtungen werden zu erheblichen organisatorischen Veränderungen gezwungen. Zumindest die Logistikkosten und die administrativen Kosten dürften durch die Vielzahl der Leistungserbringer im Hause für die Heime dann steigen, wenn sie sich darauf einlassen entsprechend verschiedenes Inkontinenzmaterial für ihre Bewohner in großem Maße vorzuhalten und dieses dann auch noch patientenindividuell zu lagern.

Doch wo ist die gesetzliche Grundlage, die sie hierzu zwingen könnte?

Nicht wenige Heime weigern sich deshalb, diesen logistischen und administrativen Aufwand auf ihre Kosten zu betreiben. Leider gehen die ökonomischen Auswirkungen weiter. So muss das Pflegepersonal in alle unterschiedlichen Materialien eingewiesen werden. Mögliche Pflegefehler werden zu weiteren Kosten und im schlimmsten Falle auch zu Schadensersatz führen. Damit steht der Versicherte und auch der Heimträger am Ende wieder einmal vor der Alternative die gegebene Situation zähneknirschend zu akzeptieren, oder aber dagegen vorzugehen. Und auch hier gilt der Satz aus dem praktischen Sozialrecht: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

Der Versicherte hat, wie bereits oben ausgeführt, einen Anspruch auf eine wirtschaftliche und in der Qualität gesicherte Versorgung. Wenn dabei seitens der Krankenkassen der Aspekt der gesicherten Qualität nachweisbar „vergessen" werden sollte, ist es an den Versicherten, sich hiergegen zu wehren. Inwieweit ihn dabei ein Heimträger unterstützen kann, ist eine andere Frage. Zumindest sollte sich der Versicherte als Leistungsempfänger nicht von der langen Laufzeit sozialgerichtlicher Verfahren entmutigen lassen. Bei einer nachweisbar mangelhaften Versorgung u. a. mit Inkontinenzmaterial, sollte man immer die Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes prüfen. Für den Heimbetreiber wird eine genaue rechtliche Beurteilung seiner Situation spätestens dann notwendig, wenn aufgrund der verminderten Versorgungsqualität Haftungsfragen auf ihn zuzukommen drohen. Als Fazit der aktuellen Versorgungsqualität mit Inkontinenzmaterial nach dem GKV-WSG bleibt festzuhalten, dass das eingangs zitierte Prinzip des Satzes „pecunia non olet" hier wohl nicht aufgeht.

Ob die geplanten Einsparungen bei den Krankenkassen so zustande kommen werden, muss man abwarten. Die Gefahr der aus der verminderten Versorgungsqualität abzuleitenden Sekundärerkrankungen ist bestens geeignet die kurzfristigen Kostenvorteile mittelfristig zu konterkarieren. Die Qualität der Versorgung der Versicherten steht infrage und auf die Heimbetreiber werden Kosten abgewälzt, die von den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten tunlichst übersehen werden. Lediglich die involvierten Juristen dürfen sich wieder einmal freuen. Sie bekommen neue Arbeit. Aber sie müssen eigentlich nie in Sorge sein, solange der Gesetzgeber weiterhin im Jahrestakt seine gesetzgeberische Flickschusterei mit heißer Nadel betreibt, wird ihnen die Arbeit eh nicht ausgehen.


Prof. Dr. Jürgen Samland
Fachanwalt für Sozialrecht

Kanzlei für Sozial- und Gesundheitsrecht
Behlertstraße 33a, 14467 Potsdam
Tel.: 03 31 / 74 74 30
e-Mail: potsdam@gkmp.de

 



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