Merzeichen „aG“ - § 229 Abs. 3 SGB IX

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Für die Vergabe des Merkzeichens aG sind zwei gleichzeitig zu erfüllende Bedingungen erforderlich: Einerseits müssen die Einschränkungen in der Mobilität so gravierend sein, dass sie einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 gleichkommen, und andererseits muss es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabe handeln.

  • Von einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung ist auszugehen, wenn sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seiner Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.  
  • Es ist ein Gesamt-GdB von 80 notwendig, dies jedoch allein im Hinblick auf die mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen.


Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat sich in einem aktuellen Urteil ausführlich damit beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen das Merkzeichen „aG“ zuerkannt zuzuerkennen ist.


Bundessozialgericht, Urteil vom 09. März 2023, Az.: B 9 SB 1/22 R



Der Kläger, geboren 1972, der an einer progressiven Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener und einer Herzmuskelschwäche leidet, hat einen Antrag auf Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie auf Anerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) gestellt. Ihm waren bereits ein GdB von 60 und ebenso das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) zuerkannt worden.  Das Versorgungsamt stellte den GdB im Antragsverfahren mit 80 fest. Die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ lehnte das Versorgungsamt ab. Hiergegen wendete sich der Kläger und legte gegen die Ablehnung der Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ Widerspruch ein, der vom Versorgungsamt als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dort sah man die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ als nicht gegeben an. Der Kläger war damit einverstanden und erhob Klage vor dem Sozialgericht. Das Sozialgericht lehnte die Klage aber nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ebenfalls ab. Der Kläger akzeptierte dies nicht und legte beim Landessozialgericht Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes ein. Die Berufung war erfolgreich. Das Urteil wurde aufgehoben und das Versorgungsamt wurde verpflichtet, dem Kläger das Merkzeichen „aG“ zuzuerkennen. Dies konnte das Versorgungsamt nicht akzeptieren und legte gegen das Urteil des Landessozialgericht Revision zum Bundessozialgericht ein. Das Versorgungsamt war unter anderem der Ansicht, dass die rechtliche Würdigung der Voraussetzung der „Erheblichkeit der mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung“ fehlerhaft erfolgte.


Erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten angenommen, das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass es nicht abschließend entscheiden kann, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG zu Recht bejaht wurden. Es stellt fest, dass zwar eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung beim Kläger vorliegt, jedoch unklar bleibt, ob diese einem GdB von mindestens 80 entspricht. Das Landessozialgericht muss nun die erforderlichen Feststellungen treffen und über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden.

In seinen amtlichen Leitsätzen fasst das Bundessozialgericht seine wesentlichen rechtlichen Aussagen wie folgt kurz und prägnant zusammen:

1. Für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist in räumlicher Hinsicht auf eine Umgebung abzustellen, wie sie nach dem Verlassen eines Kraftfahrzeugs typischerweise vorzufinden ist.

2. Sturzgefahr rechtfertigt das Merkzeichen "aG" nur dann, wenn der Betroffene aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines verständigen behinderten Menschen dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist.


Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass das Landessozialgericht zusätzliche Ermittlungen anstellen muss, um eine fundierte Entscheidung über die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG treffen zu können. Das Landessozialgericht muss im Rahmen des wiedereröffneten Berufungsverfahrens die notwendigen Feststellungen treffen, insbesondere zur Frage, ob die Beeinträchtigung des Klägers einem GdB von mindestens 80 entspricht und somit die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt sind.

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