Mordfall Lena - Unschuldsvermutung, Schutz des Persönlichkeitsrechts und Ermittlungsversagen

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Ein 18jähriger zeigt sich selbst an, versucht anschließend eine Joggerin zu vergewaltigen, war zuvor ohne Einschreiten der Behörden jugendamtsbekannt wegen Nacktfotografie einer 7jährigen und stellt sich als mutmaßlicher Täter heraus. Ein zuvor festgenommener 17jähriger als präsentierter Täter ist dagegen Opfer von Ermittlungsfehlern - dies hatte einen Lynchmob und nun Ermittlungen gegen mehrere Polizeibeamte zur Folge.

Laut dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH - hat die Pannenserie im Mordfall Lena strafrechtliche Ermittlungen gegen mehrere Polizisten zur Folge. Die Staatsanwaltschaft Aurich ermittelt gegen zwei Beamte der dortigen Polizeiinspektion wegen des Anfangsverdachts der Strafvereitelung im Amt. Außerdem gibt es Disziplinarverfahren gegen diese beiden und weitere Beamte. Der tatverdächtige 18-Jährige hatte sich bereits im November bei der Polizei Emden nach einer Behandlung in der Psychiatrie als Pädophiler angezeigt. Wenn der junge Mann damals rechtzeitig intensiver überprüft worden wäre, hätte der Mord an der elfjährigen Lena vielleicht verhindert werden können.

Die Staatsanwaltschaft bezeichnet sich gerne als die „objektivste Behörde". Vereitelt wird dies durch selektive Ermittlungsarbeit der Polizei als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, Entscheidung nach Aktenlage, der Staatsanwaltschaft als weisungsgebundene Behörde und nicht selten dem Druck, der Öffentlichkeit schnelle und mediengerechte Ergebnisse zu präsentieren.

„Strafverteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates" (Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6.Aufl., Rdnr.1).

Denn der Staat hat eine Straftat festgestellt, der er einen Täter zuordnen will/muss. Dabei arbeitet er, sobald Sie Beschuldiger sind, nicht für, sondern gegen Sie.

Grundlage des dringenden Tatverdachts und damit einhergehender Haftbefehle sind Umstände, dass die Strafverfolgungsbehörden aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und Schlussfolgerungen annehmen, dass eine Straftat durch eine bestimmte Person begangen wurde, die zum Tatverdächtigen oder Beschuldigten wird.

Im Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft geprüft, ob ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat besteht, also ob gegen einen Beschuldigten ein gerichtliches Hauptverfahren eingeleitet wird. Diese Hürde ist geringer, als Sie denken. Entschieden wird vornehmlich nach Aktenlage.

Die Unschuldsvermutung und der Schutz des Persönlichkeitsrechtes mutmaßlicher Täter sind jedoch hohe rechtsstaatliche Güter. Der Fall Kachelmann, bei dem eine persönliche Existenz vernichtet wurde, hat diese Rechte ad absurdum geführt.

Die Bedeutung dieser Rechtsgüter zeigte sich jüngst im Fall des unschuldig Verhafteten in Emden. Die verfrühte Festnahme eines 17jährigen führte im Mordfall Lena zu Ansätzen eines Lynchmobs und der Aufdeckung von erheblichen Ermittlungspannen.

Eine Richterin des AG Emden hatte Haftbefehl gegen einen 17-Jährigen Berufsschüler erlassen. Die Ermittler und mit ihnen die Haftrichterin schienen sich sicher zu sein, den Mörder der elfjährigen Lena gefasst zu haben.

Nun kann sich auch ein dringender Verdacht als falsch herausstellen. Daher hat ein Ermittlungsrichter die Voraussetzungen eines Haftbefehls sorgfältig zu prüfen. Zwei Tage später wurde nämlich der 17-Jährige aus der Untersuchungshaft entlassen, weil Fakten eine Täterschaft des Jungen ausschlössen, so die Staatsanwaltschaft Aurich. Details dieser Fakten wurden nicht genannt.

Der inzwischen festgenommener 18-Jährige, der sich präventiv zuvor bei der Polizei selbst angezeigt hatte, hat nun den dringenden Tatverdacht nach einer Speichelprobe auf sich gezogen. Das Ergebnis zeige, dass die DNA-Spuren vom Tatort und aus der Speichelprobe identisch seien.

Dass Lena Opfer einer Sexualstraftat war, wurde schon kurz nach dem Auffinden ihres Leichnams der Öffentlichkeit präsentiert. Die heutigen Möglichkeiten der Zuordnung von DNA-Material (Sperma, Hautschuppen, Haare) eröffnet aber mittlerweile noch Jahrzehnte nach einem Kapitalverbrechen die Zuordnung der Tat zu einem Täter oder entlastet verurteilte Unschuldige oder Beschuldigte. Dies geht soweit, dass in Ländern wie den USA Todesurteile aufgehoben werden.

Die sorgfältige Sicherung dieser Spuren gehört mittlerweile zu den Grundsätzen der Tatort- und Spurensicherung. Diese Ergebnisse lagen aber wohl erst am Donnerstag der letzten Woche, einen Tag nach Erlass des Haftbefehls, vor. Nach der Festnahme des 17-Jährigen am Dienstagabend wären die Ermittlungsbehörden befugt gewesen, die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen, die unverzüglich einer DNA-Analyse hätte unterzogen werden können.

Der Haftbefehl der Ermittlungsrichterin war wohl Gepräge des Tatgeschehens und Aufklärungsdruck der Ermittler. Ein Haftbefehl gibt jedoch dem Verfahren eine eigene Dynamik und stempelt den Betroffenen nicht zuletzt in der Öffentlichkeit zum Täter ab. Dies entwertet die Unschuldsvermutung und fügt dem Betroffenen schwere Beeinträchtigungen zu.

Erst der Erlass des Haftbefehls hatte den Mob vor der Polizeiwache in Emden wie auch dem Flashmob des sog. sozialen Netzwerks Facebook den Anlass gegeben, der dazu aufrief, den 17-Jährigen zu lynchen. In einem Rechtsstaat ein Vorgang, der an schlechte Western-Filme erinnert.

Angesichts der Tatsache, dass mit der Zuordnung von DNA-Spuren sicher zu rechnen war, hätte man mit dem Erlass des Haftbefehls in Kenntnis beider mutmaßlicher Täter warten können.

Nun liegt es an der zuständigen Staatsanwaltschaft, bei der Aufklärung der Tat des bereits zuvor polizeibekannten mutmaßlichen Täters und den Ermittlungen gegen die Polizeibeamten ihre Objektivität unter Beweis zu stellen.

Lesen Sie dazu bitte auch meinen Artikel „Verhalten im Ermittlungsverfahren und Strafverfahren" und „Strafprozess und Wahrheit".

Sobald Sie Kenntnis von Ermittlungen gegen Sie erlangen kann nur dazu geraten werden sich von einem Strafverteidiger vertreten zu lassen, zunächst zu schweigen und über Ihren Verteidiger Akteneinsicht zu beantragen.

Gem. § 137 StP0 hat der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens das Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen. Dieses Recht ist verfassungsrechtlich verbürgt. Es ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

E-Mail:kanzlei@anwalthesterberg.de


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