Müssen jetzt alle ihre Arbeitszeit detailliert aufschreiben? – das neue EuGH-Urteil

  • 3 Minuten Lesezeit

Am 14. Mai 2019 entschied der EuGH über ein wichtiges, jeden Arbeitnehmer betreffendes Thema: Die Große Kammer hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers lückenlos erfasst werden muss.

Bisher war im deutschen Recht eine Dokumentationspflicht nur für Überstunden und Sonn- und Feiertagsarbeit vorgesehen (§ 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz), nicht aber für die reguläre Arbeitszeit. Grundsätzlich ist hierbei der Arbeitgeber für die Aufzeichnung verantwortlich, nach der herrschenden Meinung kann er diese Aufzeichnung aber auch auf den Arbeitnehmer übertragen (insbesondere bei sogenannter Vertrauensarbeit). Dass der Arbeitnehmer die Arbeitszeit dann auch tatsächlich aufzeichnet, muss der Arbeitgeber organisatorisch sicherstellen.

EuGH macht strengere Vorgaben

Es stellte sich nun die Frage, ob mit den bisherigen Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung ein wirksamer Schutz für die Einhaltung der täglichen Höchstarbeitszeit und der Ruhezeiten gewährleistet werden kann. Und die Antwort des EuGH dazu lautet: Nein.

Die Mitgliedsstaaten der EU müssen vielmehr gewährleisten, dass Mindestruhezeiten beachtet werden und eine Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindert werden. Und das könne durch die bloße Erfassung von Überstunden nicht umfassend geschehen.

Der EuGH begründet seine Entscheidung damit, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsvertrages sei und der Arbeitgeber ihm nicht die Beschränkung seiner Rechte auferlegen dürfe. Ohne ein entsprechendes Dokumentationssystem könne weder die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden.

Arbeitnehmerschutz ist ein gewichtiges Argument in der Entscheidungsbegründung des EuGH:

Der Arbeitnehmer dürfe erstens nicht abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen und zweitens müsse ihm dies auch ermöglicht werden. Denn ohne ein Instrument zur objektiven und verlässlichen Feststellung der geleisteten Arbeitszeit erscheine es für den Arbeitnehmer „äußert schwierig oder gar praktisch unmöglich“, seine Rechte durchzusetzen. Dies werde gerade durch ein solches Dokumentationssystem, bei dem der Arbeitgeber jederzeit einen aktuellen Überblick über die vom Arbeitnehmer durchgeführten Arbeitszeiten hat, ermöglicht.

Überstunden können schließlich auch nur dann als Überstunden qualifiziert werden, wenn die Dauer der geleisteten Arbeitszeit zuvor gemessen wurde. Durch subjektive Darlegungsmöglichkeiten wie beispielsweise Zeugenaussagen, Schriftverkehr oder die Untersuchung von Smartphone-Gesprächsverläufen sei ebenfalls keine verlässliche und insbesondere objektive Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit möglich, weswegen eine konsequente Arbeitszeiterfassung auch erforderlich sei.

Konkrete Maßnahmen zur Durchführung werden durch den EuGH nicht vorgeschrieben.

Die Mitgliedsstaaten sollen die „erforderlichen Maßnahmen treffen“, ihnen wird dahingehen ein Spielraum gelassen. Folge ist also, dass die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.

Bei der Durchführung ist es sinnvoll, die Form des Systems und Besonderheiten an Eigenheiten bestimmter Unternehmen und deren Größe anzupassen. Wie die Durchführung des Arbeitszeiterfassungssystems schließlich im deutschen Recht umgesetzt wird, bleibt nun abzuwarten. Die Arbeitgeber, die ein derartiges Arbeitszeiterfassungssystem in ihrem Betrieb noch nicht eingeführt haben, können entweder bereits Maßnahmen zur Einführung eines solchen Systems treffen oder sich aber bereits darauf vorbereiten, dass diese demnächst zu treffen sind.

Das Arbeitszeitgesetz kann Arbeit 4.0

Die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, §§ 22, 23 ArbZG, sehen Bußgelder oder sogar Freiheitsstrafe bei entsprechenden Verstößen vor. Andererseits lässt das Arbeitszeitgesetz in § 7 ArbZG viele Ausnahmen zu. Hier empfiehlt es sich, gemeinsam mit dem Betriebsrat eine auf den jeweiligen Betrieb zugeschnittene Betriebsvereinbarung zu verhandeln. Das mittlerweile 25 Jahre alte Arbeitszeitgesetz, richtig angewendet, bietet immer noch genug Flexibilität, auch für die Arbeitswelt 4.0.

[EuGH, Urteil vom 14.05.2019 in der Rechtssache C 55/18]


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Daniel Balzert LL.M.

Beiträge zum Thema