Pflegesatzverhandlungen – nach dem 1. Juli...

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Am 1. Juli ist das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft getreten. Aber nicht alles ist positiv zu bewerten. Was die Änderungen hinsichtlich der Pflegesatzverhandlungen betrifft, wäre eigentlich ein Aufschrei von Seiten der Heimbetreiber zu erwarten gewesen.

Die Pflegeversicherung hat bei den Versicherten wie Pflegebedürftigen ein hohes Maß an Akzeptanz erreicht ..."

Mit diesen Worten beginnt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG). Gleiches kann man knapp 100 Tage nach dem Inkrafttreten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes zum 1. Juli 2008 von dieser Neuregelung des Sozialgesetzbuchs XI sagen. Je nach persönlicher Betroffenheit oder Lobby hört und liest man zwar, dass die Leistungen da oder dort noch ein wenig weiter gehen könnten, aber im Großen und Ganzen ist die Bewertung dieser Neuregelung in allen Medien recht positiv.

§§ 84 SGB XI enthält viel Brisanz

Interessant ist, dass eigentlich in allen Publikationen allein die verbesserten Leistungen für die Versicherten besprochen werden. Die Veränderungen, die es für die Leistungserbringer, also z. B. die stationären Pflegeeinrichtungen gegeben hat, werden bis zum heutigen Tage, selbst von denen, die es angeht, also den Betreiber der Pflegeeinrichtungen, nicht erkennbar wahrgenommen. Zwar weint wohl niemand dem Wegfall des § 80 SGB XI (Weiterentwicklung der Pflegequalität) oder den Einschränkungen bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 79 SGB XI eine Träne nach.

Aber bei dem § 84 SGB XI, in dem es im zweiten Abschnitt des achten Kapitel um die Bemessungsgrundlage für die Vergütung der stationäre Pflegeleistungen geht, hätte man eigentlich einen Aufschrei der Leistungserbringer erwarten wollen. Gleichwohl ist die öffentliche Resonanz kaum hörbar ausgefallen.

Kann man deshalb die provokante These wagen, dass für viele Betreiber das Thema der Pflegesätze noch immer nicht von existenzieller Bedeutung ist? Oder ist dieses brisante Thema im § 84 SGB XI einfach zu gut versteckt?

Tatsächlich wurde in der Neufassung des § 84 Abs. 2 lediglich folgender Satz angefügt:

„Bei der Bemessung der Pflegesätze einer Pflegeeinrichtung können die Pflegesätze derjenigen Pflegeeinrichtungen, die nach Art und Größe sowie hinsichtlich der in Absatz 5 genannten Leistungs- und Qualitätsmerkmale im Wesentlichen gleichartig sind, angemessen berücksichtigt werden". Was das genau bedeutet, kann man auf Seite 169 der offiziellen Gesetzesbegründung nachlesen.

Danach ist mit dieser Gesetzesänderung eine Einschränkung der Rechtswirkung der Urteile des Bundessozialgerichts vom 14. 12. 2000, Az.: B 3 P 17/99 R und B 3 P 19/00 R, dahingehend verbunden, dass die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Maßstäbe, insbesondere zum „externen Vergleich", nicht gegen den Willen einer Vertragspartei, sondern nur noch auf gemeinsamen Wunsch aller Vertragsparteien zur Anwendung kommen dürfen.

Hier hat der Gesetzgeber, der sich nicht selten seiner Verantwortung dadurch entzieht, dass er darauf wartet, dass unsere obersten Gerichte zu Fragen Stellung nehmen, die parteipolitisch nicht so einfach zu entscheiden sind, es einmal umgekehrt gemacht. Er hat de facto die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze für die Bemessung der Pflegesätze außer Kraft gesetzt.

Externer Vergleich noch Basis für Festlegung der Pflegesätze?

Wir erinnern uns: In den vom Gesetzgeber angesprochenen Entscheidungen, insbesondere in der Entscheidung B 3 P 17/99 R hatte das Bundessozialgericht am 14.12.2000 sehr eindringlich seine Vorstellungen zur Höhe der leistungsgerechten Vergütung für die Pflegeleistung niedergelegt. Die Aussage, dass der externe Vergleich der Einrichtungen die Methode der Wahl sei, um für die angebotenen Leistungen die leistungsgerechte Vergütung zu ermitteln, wird hier in nachlesenswerter Form dargestellt.

Deshalb sei nachfolgend auszugsweise aus dieser Entscheidung zitiert: „Unter den Bedingungen des vom Gesetzgeber angestrebten freien Wettbewerbs bestimmen beim Güteraustausch Angebot und Nachfrage den Preis einer Ware; dies ist die leistungsgerechte Vergütung. Es kommt weder auf die Gestehungskosten des Anbieters noch auf die soziale oder finanzielle Lage des Nachfragers der Leistung an. Diese Umstände sind nur mittelbar von Bedeutung, weil nämlich der Anbieter seinen Preis nicht - jedenfalls nicht auf Dauer - unterhalb seiner Gestehungskosten kalkulieren kann, der Nachfrager andererseits im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten bleiben muss. Der sich bildende Marktpreis ist das Ergebnis eines Prozesses und der Ausgleich der unterschiedlichen Interessenlagen". Eine gradlinige Begründung, die in ihrer Stringenz sicher nicht jedem der Beteiligten an Pflegesatzverhandlung so geschmeckt hat.

Zukünftig können also diese Grundsätze für den externen Vergleich nur noch dann herangezogen werden, wenn es der gemeinsame Wunsch aller Vertragsparteien, also auch der Träger der Sozialhilfe ist. Damit wird der „externe Vergleich" bei der Festlegung der Pflegesätze in Zukunft wohl bis auf weiteres nicht mehr das Mittel der Wahl sein. Zu sehr ist in den letzten Jahren seitens der Leistungsträger gegen dieses Instrument gekämpft worden.

Geht es damit zurück zum Selbstkostendeckungsprinzip?

Wohl nicht. Auch nach dem neuen § 84 SGB XI bleibt es dabei, dass eine Pflegeeinrichtung wirtschaftlich arbeiten können muss. Was darunter allerdings zu verstehen ist, war und bleibt wohl eine Frage, die nur mit Unterstützung der Sozialgerichte definiert werden kann. Zwar führt der Gesetzgeber in seiner Begründung a. a. O. aus, dass „der Zweck der Vergütungsregelungen des Pflegeversicherungsrechts nicht darin besteht, ohne Rücksicht auf die Qualität zu möglichst niedrigen Preisvereinbarungen zu kommen. Vielmehr ist es erforderlich, entsprechend den individuellen Gegebenheiten des Pflegeheims eine leistungsgerechte Vergütung zu vereinbaren, die auch eine über das notwendige Mindestmaß hinausgehende Personalausstattung zulässt. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ohne eine gute Personalausstattung keine gute Pflege möglich ist."

Ob dies nur ein wohl formuliertes Lippenbekenntnis ist, oder aber die Basis für zukünftige Vergütungsverhandlungen darstellt, man darf gespannt sein. Zumindest muss man in diesem Zusammenhang neben dem § 84 SGB XI auch den § 72 SGB XI sehen, in dem nunmehr geregelt ist, dass Versorgungsverträge nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten, sowie eine in Pflegeeinrichtungen ortsübliche Vergütung an ihre Beschäftigten zahlen. Gerade die Frage der ortsüblichen Vergütung dürfte bei der überwiegend von den Personalkosten abhängigen Vergütung der stationären Pflegeleistungen spannend werden.

Hat der Mindestlohn Auswirkungen auf die Pflegesätze?

Im Rahmen einer Besprechung über die Umsetzung des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes am 7. Juli 2008 im Bundesgesundheitsministerium mit den Verbänden der Leistungserbringer wurde seitens des Ministerium klargestellt, dass man mit dieser Regelung ein regionales Mindest-Lohnniveau errechen will, um sog. Billiganbieter unter Druck zu setzen. Leider blieben die Vertreter des Ministeriums auf die Frage, ob denn der Mindestlohn auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Pflegesätze habe, eine Antwort schuldig.

Damit bleibt es in Zeiten knapper Kassen dabei, dass man zwar gerne anspruchsvolle Ziele formuliert, deren konkrete Finanzierung aber dann im Ungewissen lässt. Solange § 84 Abs. 2 SGB XI formuliert, dass die Pflegesätze es einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen müssen, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen und Überschüsse beim Pflegeheim verbleiben, wie auch Verluste von ihm zu tragen sind, solange lassen sich die zuvor dargelegten Ausführungen des Bundessozialgericht im Ergebnis nicht aushebeln.

Wie Pflegesatzverhandlungen in Zukunft ablaufen werden, bleibt damit für alle interessierten Betreiber nicht nur eine spannende, sondern eine existentielle Frage. Umso weniger verständlich ist, wie eingangs ausgeführt, die weitgehende Sprachlosigkeit zu den Änderungen im PfWG, die nicht die Fragen der unmittelbaren Pflege betreffen. Man kann allen Betroffenen nur raten, sich zukünftig noch besser auf anstehende Pflegesatzverhandlungen vorzubereiten. Anderenfalls steht zu befürchten, dass der Begriff der „leistungsgerechten Vergütung" in den nächsten Monaten neu definiert wird. Und der Weg bis zu einer neuen Entscheidung des Bundessozialgerichts ist bekanntlich lang...

Prof. Dr. Jürgen Samland

RA und Fachanwalt für Sozialrecht

Kanzlei für Sozial- und Gesundheitsrecht

Behlertstr. 33a, 14467 Potsdam

Tel.: 03 31 / 74 74 30, e-Mail: potsdam@gkmp.de



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