Pflichtteilsrecht trotz lebzeitiger Zuwendung an Pflichtteilsberechtigten

  • 2 Minuten Lesezeit

Bei unentgeltlichen lebzeitigen Zuwendungen als „vorweggenommene Erbfolge” an einen Pflichtteilsberechtigten sollte vom Erblasser eindeutig geregelt werden, ob die Zuwendungen auf Pflichtteilsansprüche anzurechnen sind.

Beispielfall: Die Erblasserin überträgt ihrem Sohn zu Lebzeiten eine Immobilie. In dem Übergabevertrag heißt es „im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich". Wenige Jahre später setzt die Erblasserin ihre Tochter testamentarisch als Alleinerbin ein.  Nach dem Tod der Mutter macht der enterbte Sohn gegen seine Schwester als Alleinerbin Pflichtteilsansprüche geltend. Strittig ist, ob und wenn ja in welcher Höhe der Sohn den Wert der bereits auf ihn übergegangenen Immobilie auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss.

Lebzeitige Vorausempfänge, wie hier die Immobilie, können sich höchst unterschiedlich auf die Pflichtteilsberechnung auswirken. Im Gesetz sind drei unterschiedliche Gestaltungsformen denkbar.

Wie wichtig eine klare Regelung ist, verdeutlicht nachfolgendes Rechenbeispiel:

Der Wert der Immobilie soll sich auf € 400.000,00 belaufen, derjenige des Nachlasses soll € 800.000,00 betragen. Bei einer Anrechnung nach § 2315 Abs. 1 BGB stünde dem Sohn kein weiterer Pflichtteil mehr zu. Denn in diesem Fall wird zunächst sein Pflichtteil unter Einbeziehung der lebzeitigen Zuwendung berechnet und davon sodann die Zuwendung abgezogen (€ 800.000,00 + € 400.000,00 = € 1.200.000,00 : 4 (Pflichtteilsquote) = € 300.000,00 abzüglich € 400.000,00 = - 100.000,00. Wäre hingegen eine Ausgleichung nach § 2316 Abs. 1 BGB vorzunehmen, so müsste der Wert der Zuwendung vom Erbteil abgezogen werden und erst danach der Pflichtteil berechnet werden (€ 800.000,00 + € 400.000,00 = € 1.200.000,00 : 2 (Zahl der Abkömmlinge) = € 600.000,00 - € 400.000,00 = € 200.000,00 : 2 = € 100.000,00 Pflichtteilsanspruch. Ist schließlich nach § 2316 Abs. 4 BGB von einer gleichzeitigen Ausgleichungs- und Anrechnungsordnung auszugehen, ist der Pflichtteil zunächst im Wege der Ausgleichung zu ermitteln. Dieser Wert ist um die Hälfte des Zuwendungswertes zu kürzen (€ 100.000,00 - € 200.000,00 = - € 100.000,00). Dem Sohn stünde in diesem Fall kein weiterer Anspruch mehr zu.

Der Erblasser hat es selbst in der Hand, durch rechtzeitige und eindeutige Bestimmung die konkret gewollte Form der Berücksichtigung der Zuwendung festzulegen. Die von der Erblasserin gewählte Formulierung „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich" ist auslegungsbedürftig. Für die Frage, ob ein Pflichtteilsanspruch des Sohnes besteht, kommt es entscheidend auf den Willen der Erblasserin an, als sie ihrem Sohn die Immobilie „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich" übertragen hat.

Da es an einer gesetzlichen Vermutung fehlt, hat das Gericht in einem derartigen Fall sämtliche relevante Umstände zur Ermittlung des Erblasserwillens einzubeziehen. Dabei seien, so der BGH, insbesondere der zeitliche Zusammenhang zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Vermögensgegenstand und seine wirtschaftliche Verwertbarkeit durch den Empfänger vor dem Erbfall, sowie die Größenordnung der vorgezogenen Vermögenszuwendung zu berücksichtigen. Bedeutsam könnte auch die Motivation der Erblasserin sein, ihre Kinder gleichmäßig zu behandeln sein. Der BGH geht davon aus, dass ein Erblasser, der mit seiner Zuwendung zugleich eine Enterbung des Empfängers festlegt, regelmäßig Pflichtteilsansprüche wünscht.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Astrid Weinreich

Beiträge zum Thema