Radfahrer haben auch dann Vorfahrt, wenn sie den Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren

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Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 04.08.2017 (AZ: 9 U 173/16) entschieden, dass ein Fahrradfahrer gegenüber einbiegenden Verkehrsteilnehmern auch dann das Vorfahrtsrecht behält, wenn er den für seine Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radweg benutzt. Der Fahrradfahrer muss sich jedoch ein anspruchsminderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen.

Im vorgenannten Fall befuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad die Straße auf einem linksseitigen Radweg. Diesem folgte sie auch, als er nur noch für Radfahrer aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung freigegeben war. Sie beabsichtigte, die Einmündung der untergeordneten Straße zu überqueren, um dann nach links einzubiegen. Der Beklagte befuhr mit seinem Pkw die Straße und wollte nach rechts abbiegen. Er hatte zunächst angehalten, war dann aber langsam abgebogen. Dabei kollidierte sein Mercedes mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Klägerin fiel zunächst auf die Motorhaube und rutschte sodann, das Fahrrad zwischen den Beinen, auf die Straße. Sie schlug mit dem Kopf auf die Fahrbahn auf und erlitt hierbei schwerste Verletzungen, unter anderem ein Schädelhirntrauma und einen Schädelbasisbruch.

Die Fahrradfahrerin verklagte den Halter und seinen Haftpflichtversicherer auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht gab der Klage teilweise statt und sprach der Klägerin 80 % ihres Schadens zu. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberlandesgericht das Urteil ab und bewertete das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3.

Das Oberlandesgericht ist zu der Ansicht gelangt, dass der Beklagte wartepflichtig war. Die Klägerin hat ihr Vorfahrtsrecht nicht dadurch verloren, dass sie den Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren hat, obwohl dieser für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war. Ein Radfahrer behält demnach sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen auch dann, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutzt.

Die Klägerin ihrerseits hat den Unfall jedoch mitverschuldet, denn sie hat mit ihrem Fahrrad den an der Unfallstelle vorhandenen Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst wenige Meter zurückgelegt hatte, entlastet sie nicht. Sie befand sich verbotswidrig auf dem Radweg. Das ihr zustehende Vorfahrtsrecht schuf für sie auch keine hinreichende Vertrauensgrundlage, dass der Beklagte sie registrierte und ihr das Vorfahrtsrecht einräumen würde. Denn die Klägerin wusste, dass sie den Radweg entgegen der zugelassenen Fahrrichtung benutzte und sich nicht verkehrsgerecht verhielt, was das Risiko einer Kollision mit dem einbiegenden und ihren Fahrweg kreuzenden Verkehr erhöhte. Auch ein Vertrauen darauf, dass der Beklagte sie zunächst passieren lassen würde, hätte die Klägerin nur in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie sich zuvor mit dem Beklagten verständigt hätte, durch Blickkontakt und gegebenenfalls Geben von Handzeichen. Beides ist unterblieben. Auch wenn der Beklagte mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem querenden Radweg angehalten hat, durfte die verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen, dass der Beklagte sie wahrgenommen hatte und ihr den Vorgang einräumen würde. Deshalb war das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3 zu bewerten.

Rechtsanwältin Helena Meißner, Kanzlei Wohlfeil, Gießen


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