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Scheinselbständigkeit und Statusfeststellung

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Die Vermeidung von Scheinselbständigkeit ist aufgrund der enormen wirtschaftlichen, aber ggf. auch strafrechtlichen Risiken für Unternehmen und insbesondere für deren verantwortliche Personen, wie z.B. Geschäftsführer, von elementarer Bedeutung. Wird nämlich eine eigentlich als reines Auftragsverhältnis angesehene Geschäftsbeziehung von den zuständigen Stellen als abhängiges Beschäftigungsverhältnis eingestuft, drohen Unternehmen - ggf. über mehrere Jahre - Nachforderungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, aber auch strafrechtliche und zivilrechtliche Haftungsrisiken für die verantwortlichen Personen (zu den konkreten Haftungsrisiken lesen Sie bitte unseren Rechtstipp „Für Unternehmen: Haftungsrisiko Gesamtsozialversicherungsbeitrag und Betriebsprüfung“).

Abgrenzung Beschäftigungsverhältnis und (Schein-) Selbständigkeit häufig schwierig:

In den letzten Jahren wurden von der Rentenversicherung und der Rechtsprechung immer mehr Auftragsverhältnisse nicht weiter als selbständige Tätigkeit, sondern als abhängiges und somit für den Arbeitgeber bzw. vermeintlichen Auftraggeber beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis beurteilt (z.B. Honorarärzte, nebenberufliche Notärzte, „selbständige“ Pflegekräfte, Fitnesstrainer, IT-Freelancer, „freie“ juristische Mitarbeiter/Anwälte, zahnärztliche Prophylaxehelferin, etc. etc.). Beschäftigen Sie Kleinunternehmer, Freiberufler oder Solo-Selbständige sollten Sie stets wachsam sein.

Das noch vielen bekannte Kriterium, dass eine Selbständigkeit bereits bei mehreren Auftraggebern vorläge und eine Scheinselbständigkeit nur bei denjenigen bestünde, die nur für einen Auftraggeber tätig werden, hat nur noch eine untergeordnete Bedeutung und ist allein nicht geeignet, den Vorwurf der Scheinselbständig auszuräumen.

Vielmehr erfolgt seitens der Rentenversicherung und auch der zuständigen Sozialgerichte eine Gesamtbeurteilung nach diversen Kriterien. Erhebliche Bedeutung kommt dabei z.B. diesen Aspekten zu:

- Können dem Auftragnehmer Weisungen erteilt werden; ist er zeitlich und örtlich bei der Auftragsbearbeitung vollkommen frei?

- Erfolgt eine Einbindung in die betriebliche Organisation des Auftraggebers (nutzt der Auftragnehmer Arbeitsmittel, Räume oder bspw. Dienstkleidung des Auftraggebers? Arbeitet er eng mit angestellten Arbeitnehmern des Auftraggebers zusammen? Erfolgt die Aufnahme in Schichtpläne?).

- Ist der Auftragnehmer verpflichtet, Tätigkeitsnachweise zu erbringen oder muss er Berichtspflichten nachzukommen?

- Geht der Auftragnehmer tatsächlich durch Investition von eigenem Kapital oder eigener Arbeitskraft ein unternehmerisches Risiko ein und kommt ihm damit als Äquivalent auch eine unternehmerische Chance auf höheren Gewinn bzw. höhere Einkünfte zugute?

- Ist die Vergütung gleichbleibend, erfolgt sie nach Stunden oder wird die Vergütung vom Auftraggeber vorgegeben oder kann sie tatsächlich verhandelt werden?

- Beschäftigt der Auftragnehmer eigene Angestellte?

- Ist die Arbeitsleistung persönlich geschuldet, darf sie also allein der Auftragnehmer selbst erbringen?

- Tritt der Auftragnehmer werbend für sich am Markt auf?

            - …

Die Kriterien sollen nur einen kleinen Überblick verschaffen, es können diverse weitere, teilweise branchenabhängige hinzutreten. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Kriterien von Laien häufig missinterpretiert werden. Ist der vertragliche Ausschluss von Kranken- und Urlaubsgeld tatsächlich ein Hinweis auf Selbständigkeit oder nur die Abwälzung eines Risikos auf den (Schein-) Selbständigen? Führt allein die Nutzung des eigenen Pkw oder des eigenen Laptops zu einem hinreichenden Eigenkapitaleinsatz? Ein mit der rechtlichen Materie und der dazu ergangenen Rechtsprechung vertrauter Spezialist sollte unbedingt beteiligt werden. Für unsere Mandanten halten wir eine Checkliste mit allen maßgeblichen Aspekten bereit, um uns einen umfassenden Überblick zu verschaffen und sodann eine zutreffende rechtliche Einordnung vornehmen zu können.

Rechtliche Klärung und Risikominimierung durch ein Statusfeststellungsverfahren?

Der Gesetzgeber hat erkannt, wie relevant die Klärung des versicherungsrechtlichen Status für alle Beteiligten ist und bereits in der Vergangenheit das Statusfeststellungverfahren gesetzlich kodifiziert. Zum 01.04.2022 wurde es noch einmal geändert und bietet folgende Möglichkeiten:

- Sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber können die Statusfeststellung bei der dafür zuständigen Rentenversicherung beantragen. Bei Dreiecksverhältnissen (Fremdpersonaleinsatz, Arbeitnehmerüberlassung) kann nunmehr auch der Dritte den Antrag stellen.

 - Der Antrag kann jetzt bereits vor Aufnahme der Tätigkeit gestellt werden. Es erfolgt sodann eine Prognoseentscheidung anhand der beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung und der schriftlichen Vertragsbedingungen.

Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einen Monat nach der Tätigkeitsaufnahme, hat unverzüglich eine Anzeige zu erfolgen, ansonsten können sich Betroffene nicht auf die Feststellung der Rentenversicherung berufen.

- Der Antrag kann aber auch noch nach Beendigung der Beschäftigung (z.B. auch durch unzufriedene Auftragnehmer) gestellt werden. Wird sodann eine abhängige Beschäftigung festgestellt, haftet der Auftraggeber bzw. sodann Arbeitgeber zumeist vollständig allein (zu den konkreten Haftungsrisiken lesen Sie bitte unseren Rechtstipp „Für Unternehmen: Haftungsrisiko Gesamtsozialversicherungsbeitrag und Betriebsprüfung“).

- Es ergeht ein verbindlicher Verwaltungsakt zum Erwerbsstatus (beachte: eine Entscheidung über die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung ist damit nicht verbunden; der Arbeitgeber hat ggf. im Anschluss zu prüfen, ob eine Versicherungsflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, der Arbeitslosen- und Rentenversicherung besteht).

- Eine Gruppenfeststellung für identisch durchgeführt Auftragsverhältnisse mehrerer Beschäftigter ist nunmehr möglich.
Beachte: Bei der Gruppenfeststellung erfolgt nur eine sog. gutachtliche Äußerung der Rentenversicherung, es ergeht kein verbindlicher Verwaltungsakt. Die gutachtliche Äußerung gilt für alle gleichgelagerten Beschäftigungsverhältnisse, die innerhalb der nächsten zwei Jahre geschlossen werden. Eine später möglicherweise abweichende Beurteilung des Erwerbsstatus ist in diesen Fällen sodann ausschließlich für die Zukunft möglich, für die Vergangenheit besteht also Vertrauensschutz.

Fazit und Empfehlung aus fachanwaltlicher Sicht:

  1. Aufgrund der zumeist schwierigen rechtssicheren Beurteilung, ob eine Beschäftigung als selbständige oder als abhängige Beschäftigung gilt, ist die Beantragung einer Statusfeststellung sinnvoll und kann Vertrauensschutz begründen. Dies gilt insbesondere, wenn das Beschäftigungsverhältnis neu eingegangen wird, da insoweit noch keine exorbitanten Nachforderungen für die Vergangenheit drohen, sollte von der Rentenversicherung eine abhängige Beschäftigung angenommen werden.
  2. Lief das Beschäftigungsverhältnis bereits längere Zeit und drohen für den Arbeitgeber bei einer Einordnung als sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung Beitragsnachforderungen für viele Jahre, ist hingegen eine rechtliche Beratung vorzugswürdig, um Möglichkeiten der Schadensbegrenzung zu erörtern.
  3. Da das „neue“, seit April 2022 geltende Recht der Statusfeststellung nur den Erwerbsstatus klärt, jedoch keine Aussage zur Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung trifft, muss der Arbeitgeber im Anschluss ggf. individuell für jeden Arbeitnehmer noch die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie Arbeitslosen- und Rentenversicherung prüfen.

Sollten Sie eine persönliche Beratung unter Berücksichtigung Ihrer konkreten Ausgangslage wünschen, sprechen Sie uns gerne an.

Tobias Blume
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht 

(Stand April 2022 - alle Angaben nach bestem Wissen, ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit)


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