Schwerbehindertenrecht: Grad der Behinderung - Ein Überblick: Antragsstellung, Erkrankungen und Einzel-GdB, Merkzeichen

  • 5 Minuten Lesezeit

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen sind schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung in Deutschland haben.

Seit dem 01.01.2018 wurden diese Begriffsbestimmungen durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, das sog. Bundesteilhabegesetz - BTHG, modifiziert: Menschen mit Behinderungen sind demnach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.

Antragsstellung

Auf Antrag des behinderten Menschen stellt die zuständige Behörde, je nach Bundesland das Versorgungsamt bzw. das Integrationsamt oder Inklusionsamt, das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Dazu muss die Behörde jedoch zuerst Befundberichte und medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte beiziehen, falls der Antragssteller diese nicht bereits mit dem Antrag eingereicht hat. Erfahrungsgemäß übersenden manche Ärzte nur sehr zögerlich medizinische Unterlagen. Es ist deshalb sinnvoll, sich als Antragssteller einige Zeit nach Antragsstellung beim Hausarzt bzw. Facharzt zu erkundigen, ob die Behörde bereits dort angefragt hat und ob ärztliche Unterlagen bereits übersandt worden sind. Nachdem nun die angeforderten medizinischen Unterlagen, welche die Gesundheitsstörungen bezeichnen, der Behörde vorliegen, werden diese nun an den ärztlichen Dienst der Behörde weitergeleitet. Der ärztliche Dienst legt sodann nach Auswertung der Unterlagen in seiner gutachterlichen Stellungnahme für die festgestellten Gesundheitsstörungen für jede Beeinträchtigung jeweils einzeln den Grad der Behinderung fest und bildet dann daraus den Gesamt-GdB.

Gleichstellung

Menschen mit Behinderungen mit einem GdB von 30 bis 40 können Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Mit der rechtlichen Gleichstellung werden sie in den Anwendungsbereich des Schwerbehindertenrechts mit wenigen Ausnahmen einbezogen, z.B. greift der Kündigungsschutz, jedoch nicht der Zusatzurlaub. Zuständig für die Gleichstellung ist die Bundesagentur für Arbeit, konkret die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk sich der Wohnsitz oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers befindet.

Merkzeichen und Parkerleichterungen

Die Feststellung der Höhe des Gesamt-GdB ist im Behindertenrecht von zentraler Bedeutung. Anhand des GdB wird z.B., wie oben gezeigt, beurteilt, wer schwerbehindert ist (ab einem GdB von 50) oder auch, wer schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden kann (bei einem GdB 30 bis 40). Ebenso setzt die Erlangung der verschiedenen Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis (G, aG, B, H, RF, Gl/Bl, VB und EB) genauso wie die Gewährung der im Alltag überaus wichtigen Parkerleichterungen oder die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente in aller Regel das Vorliegen einer bestimmten GdB-Höhe voraus.

Vorteile

Wenn Sie einen GdB von mindestens 50 besitzen, können Sie verschiedene Vorteile genießen, z.B.:

  • Schwerbehinderteneigenschaft,
  • Steuerfreibetrag in unterschiedlicher Höhe, abhängig vom GdB,
  • Sonderkündigungsschutz,
  • Bevorzugte Einstellung,
  • Freistellung von Mehrarbeit,
  • Zusatzurlaub,
  • Vorgezogene Rente wegen Alters,
  • Wohnungskündigungsschutz,
  • Besondere Fürsorge im Öffentlichen Dienst.

Schwerbehindertenausweis

Auf Antrag des behinderten Menschen stellt die zuständige Behörde nach Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, also ab einem GdB von 50, einen Ausweis aus, aus dem der zuerkannte Grad der Behinderung sowie ggf. weitere gesundheitliche Merkmale hervorgehen.

Herabstufung

Im Falle deiner Herabstufung des Grads der Behinderung auf weniger als 50, beispielsweise nach Heilungsbewährung oder nach einer sonstigen Verbesserung des Gesundheitszustands, werden die Regelungen für Schwerbehinderte nicht mehr angewendet. Dies gilt jedoch nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst am Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des die Verringerung feststellenden Bescheides.

Überblick: Verschiedene Einzel-GdB

Nachfolgend finden Sie häufige Beeinträchtigungen und die dazugehörigen von der Versorgungsmedizin-Verordnung vorgesehenen Einzel-GdB:

  • Acne vulgaris: 0-30
  • Angeborene oder in der Kindheit erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen: 80-100
  • Autistische Syndrome 50-100
  • Bronchialasthma bei Kindern: 20-100
  • Chronische Bronchitis: 0-30
  • Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS): 0-100
  • Chronische Harnwegsentzündungen: 0-70
  • Chronische Mittelohrentzündung: 0-20
  • Chronische Nebenhöhlenentzündung: 0-40
  • Chronisch rezidivierende Urtikaria/Quincke-Ödem: 0-50
  • Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit (Enteritis regionalis): 10-80
  • Depressionen: siehe unten - Psychovegetative oder psychische Störungen
  • Einschränkungen der Herzleistung: 0-100
  • Epileptische Anfälle: 30-100
  • Fibromyalgie: kein spezifischer GdB, Auswirkungen im Einzelfall maßgebend
  • Gesichtsentstellung: 10-50
  • Gesichtsneuralgien: 0-80
  • Gicht: kein spezifischer GdB, Auswirkungen im Einzelfall maßgebend
  • Gleichgewichtsstörungen: 0-80
  • Globale Entwicklungsstörungen: 50-100
  • Hämophilie und entsprechende plasmatische Blutungskrankheiten: 20-100
  • Hämorrhoiden: 0-20
  • Hirnschäden mit psychischen Störungen: 30-100
  • Hirntumore: 50-100
  • HIV-Infektion ohne klinische Symptomatik: 10
  • HIV-Infektion mit klinischer Symptomatik (z.B. LAS, ARC, AIDS-Vollbild): 30-100
  • Hyperkinetische Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität: 10-100
  • Hypertonie 0-100
  • Kognitive Teilleistungsschwächen (z.B. Lese-Rechtschreib-Schwäche [Legasthenie], isolierte Rechenstörung) im Schul- und Jugendalter: 0-50
  • Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen (zerebral bedingt): 30-100
  • Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion: 20-100
  • Leberfibrose: 0-10
  • Leberzirrhose: 30-100
  • Menière-Krankheit: 0-50
  • Migräne: 20-100
  • Mukoviszidose (zystische Fibrose): 20-100
  • Multiple Sklerose (MS): kein spezifischer GdB, Auswirkungen im Einzelfall maßgebend
  • Muskelschwäche: 20-100
  • Nachtblindheit: 0-10
  • Narkolepsie: 50-80
  • Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen: 0-100
  • Nierenfunktionseinschränkung: 20-100
  • Oberarmpseudarthrose: 20-40
  • Oberschenkelpseudarthrose: 50-70
  • Parkinson-Syndrom: 30-100
  • Periphere Fazialsparese: 0-50
  • Pseudarthrose der Elle oder Speiche: 10-20
  • Psoriasis vulgaris: 0-50
  • Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (z.B. Alkohol, Betäubungsmittel, Medikamente): 0-100
  • Psychovegetative oder psychische Störungen (leichtere): 0-20; psychovegetative oder psychische Störungen (stärker behindernde mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen): 30-40 
  • Refluxkrankheit: 10-30
  • Rosazea, Rhinophym: 0-30
  • Rückenmarkschäden: 30-100
  • Sarkoidose: kein spezifischer GdB. Der GdB richtet sich nach der Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und nach den Auswirkungen an den verschiedenen Organen; Bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand ist ohne Funktionseinschränkung von betroffenen Organen ein GdB von 30 anzunehmen.
  • Schizophrene und affektive Psychosen: 10-100
  • Schlaf-Apnoe-Syndrom: 0-50
  • Stottern: 0-50
  • Tinnitus: 0-50
  • Verlust des Riechvermögens: 10-15
  • Verlust des Kehlkopfes: 70-80
  • Totaler Haarausfall: 30
  • Verlust der Brust (Mastektomie): 10-40
  • Verlust eines Daumens: 25
  • Wirbelsäulenschäden: 0-100
  • Zentrale vegetative Störungen als Ausdruck eines Hirnschadens (z.B. Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus): 30-50
  • Zerebral bedingte Teillähmungen und Lähmungen: 30-100
  • Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus): 0-50

Fazit

Anwaltliche Hilfe wird im Bereich des Behindertenrechts zumeist dann notwendig, wenn auf Antrag des Betroffenen der Grad der Behinderung von der Behörde nicht angemessen festgestellt bzw. wenn man zu niedrig eingestuft worden ist. Dies kann beim ersten Antrag der Fall sein, aber auch wenn nach erfolgter Feststellung auf Antrag des Behinderten eine wesentliche Änderung, insbesondere eine Verschlechterung, eingetreten ist. Auch wenn Merkzeichen zu Unrecht abgelehnt worden sind oder der bislang festgestellte GdB, etwa nach Heilungsbewährung, herabgesetzt wird, kann rechtsanwaltliche Beratung und Vertretung erforderlich werden.

Gegen Entscheidungen der Versorgungsträger können Sie Widerspruch erheben. Hat der Widerspruch keinen Erfolg, ergeht ein Widerspruchsbescheid, gegen den Sie Klage vor dem Sozialgericht erheben können.

Für Ihre Fragen stehe ich Ihnen als Fachanwältin für Sozialrecht gerne zur Verfügung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Stephanie Bröring

Beiträge zum Thema