Unterhalt bei Wechselmodell: Ergänzungspfleger?

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Wenn beide Eltern sorgeberechtigt sind, dann kann derjenige Elternteil den Kindesunterhalt geltend machen, in dessen Obhut sich das Kind befindet, § 1629 Absatz 2 Satz 2 BGB. Es hat derjenige Elternteil das in Obhut, bei dem sich das Kind überwiegend aufhält. Beim echten paritätischen Wechselmodell ist die aber nicht Fall. Wer also darf in einem solchen Fall die Unterhaltsansprüche des Kindes geltend machen? Es gibt hier die Möglichkeit, einem Elternteil die Allentscheidungsbefugnis zu übertragen oder für die Unterhaltsfrage einen Ergänzungspfleger zu bestellen, der anstelle der Eltern oder eines Elternteils den Unterhalt für das Kind geltend macht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat zu dieser Frage eine Entscheidung getroffen.


OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.03.2023 - 11 UF 214/22 (II. Instanz)

AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Beschluss vom 07.10.2022 - 2 F 987/22 (I. Instanz)



Die unverheirateten Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht für ihr Kind haben, streiten über Unterhaltsansprüche für das Kind. Seit 2018 lebten sie ein paritätisches Wechselmodell basierend auf einer Vereinbarung, die eine wöchentliche Betreuung durch beide Parteien vorsah. Zusätzlich betreute der Vater das Kind am Samstagvormittag, weil die Mutter arbeiten musste. 

Nachdem der Vater im April 2022 das Kind nicht mehr herausgab und keinen Kontakt zur Mutter zuließ, gestützt auf Verdachtsmomente gegenüber dem Lebensgefährten der Mutter bezüglich sex. Missbrauchs, beantragte diese beim Familiengericht die Wiedereinsetzung des Wechselmodells, was im Juni 2022 auch so beschlossen wurde. Die Mutter verpflichtete sich, während der noch laufenden Verfahren keinen Kontakt zwischen ihrem Lebensgefährten und dem Kind zuzulassen. Sie machte die Unterhaltsansprüche für das Kind geltend  und beantragte die Übertragung der Entscheidungskompetenz bezüglich des Kindesunterhalts auf sich, hilfsweise aber die Einsetzung eines Ergänzungspflegers. Der Vater widersprach und forderte die Entscheidungskompetenz für sich. Schließlich wurde im Oktober 2022 eine Ergänzungspflegerin bestellt, um die Unterhaltsansprüche des Kindes durchzusetzen. 

Die Mutter war mit dieser Entscheidung einverstanden, aber der Vater legte Beschwerde gegen den Beschluss ein. 


Kindesunterhalt bei gemeinsamer elterlicher Sorge

Das OLG Stuttgart führte aus, dem Vater kann die Beschwerdebefugnis nicht mit der Argumentation abgesprochen werden, mangels einer „Obhut“ im Sinn des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB stünde ihm schon kein Vertretungsrecht für das Kind hinsichtlich der Unterhaltsansprüche zu. Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft tangiert ihn also rechtlich nicht. Anderenfalls müsste schon bei der Prüfung der Zulässigkeit geklärt werden, ob ein echtes Wechselmodell vorliegt oder nicht. Würde bereits auf der Ebene der Beschwerdebefugnis das Vorliegen eines Wechselmodells geprüft, könnte dies in streitigen Fällen bereits dort eine Beweisaufnahme notwendig machen kann. Vorzugswürdig ist ein Vorgehen entsprechend den doppelrelevanten Tatsachen, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen sowohl Gegenstand der Zulässigkeits- wie auch der Begründetheitsprüfung ist. Das Gericht hielt es für ausreichend, dass der Vater es schlüssig in Abrede gestellt hat, dass die Beteiligten ein Wechselmodell praktizieren und vielmehr ein Betreuungsübergewicht bei ihm bestehe. Wäre dem so, dann wäre die Anordnung der Ergänzungspflegschaft zu Unrecht erfolgt und hätte den Vater in seinem Vertretungsrecht verletzt. Der Vater durfte die Beschwerde also zunächst erst einmal einlegen.


Obhut

Im weiteren Verfahren ging das Gericht aber davon aus, dass die Eltern ein echtes Wechselmodell praktizierten. Daran änderte auch nichts, dass der Vater das Kind am Samstagvormittag betreut hatte und auch nicht, dass der Vater das Kind dann nicht mehr an die Mutter herausgegeben hat. Dieses einseitige Schaffen von Fakten überzeuge das Gericht nicht. Denn die so erfolgte Beendigung des Wechselmodells erfolgte entgegen dem Willen der Mutter. Außerdem ist später das Wechselmodell dann doch wieder praktiziert worden.

 Der Vater konnte also nicht darlegen und unter Beweis stellen, dass das Kind sich im rechtlichen Sinne in seiner Obhut befand. Das Gericht prüfte nun weiter, ob der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis für die Geltendmachung des Kindesunterhaltes hätte eingeräumt werden müssen oder ob, wie erstinstanzlich auch beschlossen - eine Ergänzungspflegschaft einzurichten war.

Das Gericht wägt nun zwischen der Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis und der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft ab:

Alleinentscheidungsbefugnis

Gemäß § 1628 BGB kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen, wenn sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können.

Das Gericht führte hierzu aus, dass beim Wechselmodell beide Eltern dem Kind Barunterhalt schulden. Dies sei kein solcher Interessenkonflikt im Sinne des § 1789 Abs. 2 S. 4 BGB, der die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft rechtfertigt. In ähnlichen Situation befinden sich auch solche Eltern, bei denen die Barunterhaltspflicht eines Elternteils aufgrund großer Einkommensunterschiede gegeben ist, obwohl das Kind bei dem Elternteil lebt, welches so viel mehr als der andere verdient.

Zudem wird argumentiert, dass, falls doch kein echtes Wechselmodell besteht, die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft auch nicht vorliegen. Ein Elternteil könnte dann die unzulässige Ernennung eines Ergänzungspflegers anfechten. Dann müsste im Beschwerdeverfahren zur Ergänzungspflegschaft geklärt werden, ob ein echtes paritätisches Wechselmodell oder ein Residenzmodell mit erweitertem Umgangsrecht vorliegt. Durch § 1628 BGB wird auch geklärt, wer die Entscheidung über die Einleitung eines Unterhaltsverfahrens trifft. Insgesamt wäre dieser Weg  mit erheblichen Kosten für die Eltern verbunden, die durch den Ergänzungspfleger verursacht würden.

Ergänzungspflegschaft

Das OLG Stuttgart führt hier zunächst ein dogmatisches Argument an: § 1629 Abs. 2 BGB ist eine abschließende Sonderregelung zu § 1629 Abs. 1 BGB und setzt voraus, dass beide Eltern vertretungsberechtigt sind. Das ist aber beim Wechselmodell nicht der Fall, da kein Elternteil das Kind überwiegend in Obhut hat.


Das Gericht gibt der Ergänzungspflegschaft den Vorrang. Hierfür gibt nicht nur das dogmatische Argument den Ausschlag, sondern auch der Umstand, dass sich bis zur Volljährigkeit des Kindes weitere Streitigkeiten zum Unterhalt ergeben könnten, die jeweils anwaltlich vertreten werden müssten. Verfahrensökonomischer sei deshalb die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft. Außerdem stellt nur dieser Weg sicher, dass die Interessen des Kindes unvoreingenommen vertreten werden, da sich kein Elternteil zulasten des Kindes finanziell herauf- oder herunterrechnen kann.

Foto(s): www.istockphoto.com - JillianSuzanne; Nadezhda1906

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