Unterkunftskosten sind auch im gerichtlichen Eilverfahren ohne vorherige Räumungsklage zu bewilligen

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Oftmals geraten SGB II-Empfänger mit Mietzahlungen in Rückstand. Hintergrund ist oft ein Streit mit dem Jobcenter über die Hilfebedürftigkeit, Stichwort: eheähnliche Gemeinschaft, sodass das Jobcenter zunächst keine Unterkunftskosten bewilligt. 

Teilweise entstehen bei einem Leistungsempfänger plötzlich unerwartete Aufwendungen im persönlichen Bereich, die allein aus dem Regelsatz nicht zu schultern sind.

So geraten sie mit Zahlungen von zwei Monatsmieten schnell in Rückstand, sodass sie die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs erhalten. 

Die Wohnraumsicherungsstellen lehnen oftmals vorschnell ein Notdarlehen nach dem SGB II ab oder verweisen zunächst auf weitere Verhandlungen mit dem Vermieter. Es kommt dann zur Räumungsklage nach deren Erhebung eine Nachzahlung der Mieten in zeitlich beschränktem Umfang ab Rechtshängigkeit der Klage zwar oftmals noch möglich ist (Schonfrist), jedoch entstehen für den Hilfeempfänger hier bereits beträchtliche Anwaltskosten.

Jahrelang haben das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen und andere Obergerichte im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens nur Regelsatz-, jedoch keine Unterkunftsleistungen gegen das Jobcenter bewilligt.

So hat z. B. auch der 12. Senat des LSG NRW LSG Nordrhein-Westfalen in Essen im Beschluss vom 17. Februar 2015 Az. L 12 AS 47/15 B ER seit jeher betont, dass erst vom Vermieter Klage erhoben worden sein müsse, damit ein Anordnungsgrund und damit eine besondere Dringlichkeit anzunehmen sei. Vorher sei ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, z. B. auf Darlehen, abzuweisen (ebenso Beschluss vom 31. Juli 2012 – L 7 AS 1145/12 B ER).

Dem hat zunächst der 6. Senat in dieser Pauschalität später widersprochen.

Die Anwaltskosten im Räumungsrechtsstreit konnte somit bisher der Hilfebedürftige dann mühsam abstottern.

Damit ist jetzt Schluss. Die Essener Richter des 7. Senates haben vom Bundesverfassungsgericht dafür einen Dämpfer bekommen, nach 5 Jahren Verfahrensdauer vor dem BVerfG.

„Völlig überspannt“, so die Antwort des BVerfG. Eine derart pauschale Ablehnung eines Anordnungsgrundes sei verfassungsrechtlich bedenklich. Relevante Nachteile, so das Bundesverfassungsgericht, könnten nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen.

Das Landessozialgericht überspanne die Anforderungen an den Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dadurch, dass es schematisch auf eine schon erhobene Räumungsklage und damit auf einen starren und späten Zeitpunkt abstellt, zu dem eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Betroffenen bereits eingetreten sei.

§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gebe vielmehr die Übernahme der „angemessenen“ Kosten vor und diene im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen (vgl. BVerfGE 125, 175 ff.). Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten (vgl. in diesem Zusammenhang BSG, Urteil vom 7. November 2006 – R 7b AS 18/06 R –, juris, Rn. 21). 

Daher sei bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliege, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte. 

Diesen Anforderungen wird das Landessozialgericht vorliegend nicht gerecht. Es stelle allein und schematisch auf die Erhebung der Räumungsklage ab und lege seiner Entscheidung damit ein der gesetzgeberischen Zwecksetzung nicht entsprechendes, zu enges Verständnis des wesentlichen Nachteils zugrunde.

http://www.bverfg.de/e/rk20170801_1bvr191012.html


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