Versicherer muss für Betriebsschließungen in Corona-Krise zahlen

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LG Mannheim bestätigt, dass Versicherer für die Betriebsschließung in der Corona-/Covid-19-Pandemie zahlen muss

RA Heiko Effelsberg, LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht

Eine richtungsweisende Entscheidung zu der umstrittenen Betriebsschließungsversicherung hat das LG Mannheim nunmehr in einem einstweiligen Verfügungsverfahren getroffen. Zwar wurde der Antrag der Versicherungsnehmerin auf „vorläufige Leistung“ (erwartungsgemäß) zurückgewiesen, das Gericht nutzte die Möglichkeit jedoch, in den Entscheidungsgründen die eigene Rechtsansicht zu den Anspruchsvoraussetzungen der Betriebsschließungsversicherung darzulegen. Die Entscheidung selbst wird der Versicherungswirtschaft wohl wenig Freude bereiten.

Dass Versicherungsgesellschaften in der Bevölkerung ohnehin nicht das beste Ansehen genießen, ist allgemein bekannt und überrascht angesichts des Regulierungsverhaltens einiger Gesellschaften nicht wirklich. Dass die gesamte Branche es aber geschafft hat, ihr Image in der Corona-Krise noch dramatisch zu verschlechtern, dürfte hoffentlich auch in einige Vorstandsetagen zum Nachdenken anregen. 

Jahrelang haben die Anbieter von gewerblichen Versicherungen neben Betriebshaftpflicht-, Inhalts- und Betriebsausfallversicherungen auch sogenannte Betriebsschließungsversicherungen an ihre Kunden mitverkauft, mit denen das Risiko abgedeckt werden sollte, dass der jeweilige Betrieb wegen einer Epidemie nach dem Infektionsschutzgesetz geschlossen wird. Ein Risiko übrigens, dass sich in der Vergangenheit nie oder wenn, dann nur im minimalen Ausmaß realisiert hat. Diese Situation hat sich bekanntlich Anfang März 2020 vollständig ins Gegenteil verkehrt, als flächendeckend Gastronomiebetriebe und andere Veranstaltungshäuser – aber auch Kindertagesstätten – unter Verweis auf das Infektionsschutzgesetz geschlossen wurden.

Umso erstaunlicher war, dass schon wenige Tage nach dem Erlass der Verfügungen durch die Behörden in den ersten Lokalzeitungen Berichte auftauchten, dass Leistungen aus den Betriebsschließungsversicherungen unter diversen Gründen verweigert wurden. Schnell zeigte sich, dass die Anbieter „durch die Bank“ Leistungen ablehnten und nach einigen Wochen Bedenkzeit diverse Verteidigungslinien in ihrer Argumentation aufbauten. Lediglich aus Kulanz boten viele Gesellschaften ihren Versicherungsnehmern die Zahlung von 15 % der Versicherungssumme an, unter der Voraussetzung, dass sie auf weitere Ansprüche verzichten. Ein bayerischer Landesminister wollte sich für diesen „Kompromiss“ denn sogar feiern lassen.

Da viele Versicherungsnehmer das Angebot nicht annahmen – meist schlichtweg, weil sie es sich nicht leisten konnten, auf den Restbetrag zu verzichten – schaffte das Thema es sogar in die überregionale Tagespresse, den Spiegel und schließlich sogar in die heute-show des ZDF. Eine sichtbare Änderung an dem Regulierungsverhalten der Versicherer ergab sich daraus jedoch bislang nicht.

Dies könnte vielleicht die jetzt vorliegende Entscheidung des LG Mannheim vom 29.4.2020, Az.: 11 O 66/20, bewirken, auch wenn die Hoffnung nicht allzu groß sein sollte.

Gerichtliche Entscheidungen zu den streitigen Fragen gab es bislang keine, da die Regulierung wegen der zögerlichen Bearbeitung durch die Versicherer in den meisten Fällen nicht abgeschlossen ist und viele Versicherungsnehmer mit der Klage deshalb noch abwarten. In den wenigen Fällen, in denen Klage eingereicht wurde, sollen Versicherer gerüchteweise Anerkenntnisse abgegeben haben, wohl auch, weil dann eine Begründung des Urteils nicht erfolgt.

Insofern muss man für die jetzige Entscheidung dankbar sein. Die Antragstellerin hatte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, nach der ihr die Versicherungsleistung schon jetzt ohne Durchführung des Hauptverfahrens ausgezahlt werden sollte. Der Antrag hatte (ersichtlich) von Anfang an wenig bis gar keine Aussicht auf Erfolg, weshalb der Versicherer kein Anerkenntnis abgegeben hat. Das LG Mannheim hat dennoch – ohne dies zu müssen – zu den diversen Argumenten der Versicherungswirtschaft Stellung bezogen. Und zwar sämtlich zum Vorteil der Versicherungsnehmer.

So lehnt das Landgericht zwar den geltend gemachten Anspruch ab, weil die Leistungshöhe und der Verfügungsgrund nicht dargelegt waren. Es erklärt aber ausdrücklich, dass „der Verfügungsklägerin aus den zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherungen jeweils ein Anspruch die vereinbarte Versicherungsleistung zusteht“ (Rn. 32). Nach der gebotenen Auslegung der Versicherungsbedingungen (Stand 2010) sei der SARS-Coronavirus ein meldepflichtiger Krankheitserreger und damit versichert. Damit wird dem Argument der Versicherer, dass nur diejenigen Krankheiten versichert seien, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags im Infektionsschutzgesetz genannt wurden, ausdrücklich nicht gefolgt. Das Gericht befasste sich auch mit dem Argument, dass der jetzt vorliegende Virus nicht in die §§ 6, 7 IFSG aufgenommen wurde, sondern in einer Rechtsverordnung enthalten ist, und erklärt, dass auch diese gesetzgeberische Gestaltung von der Auslegung der vertraglichen Regelungen mitumfasst ist.

Nach der Auslegung der Kammer soll auch die rein faktische Betriebsschließung mit einigen wenigen noch möglichen Angeboten ausreichend sein. Auch verlangt das Gericht keinen auf den jeweiligen Betrieb gerichteten einzelnen Verwaltungsakt, sondern lässt die Allgemeinverfügung ausreichen.

Die Entscheidung basiert natürlich auf der Auslegung der konkreten Versicherungsbedingungen, die dem Vertrag zugrunde lagen. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass anders gestaltete Versicherungsbedingungen abweichend ausgelegt werden könnten. Dies zeigt sich auch in der Argumentationslinie des Gerichts. Der grundsätzlich gewählte Weg, die Versicherungsbedingungen aus Sicht des um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers auszulegen und das Risiko widersprüchlicher Versicherungsbedingungen auf den Versicherer zu verlagern, entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des BGH. Wendet man diese Grundsätze auf andere Vertragsgestaltungen an, so ergeben sich ähnliche Argumentationsmöglichkeiten. Zwar kannten die Versicherungsbedingungen vorliegend keinen Katalog der versicherten Krankheiten. Sehen die anderen Versicherungsbedingungen jedoch einen Verweis auf §§ 6, 7 IfSG vor, so stellt sich auch dann die Frage, ob dieser Katalog an versicherten Krankheiten wirklich abschließend sein soll. Der Argumentation des LG Mannheim folgend spräche dann viel dafür, dass eine dynamische Verweisung auf das jeweils aktuelle IfSG versichert sein soll, es sei denn, der Versicherer hat ausdrücklich etwas anderes vereinbart. Letzteres habe ich jedoch bislang in den mir vorliegenden Versicherungsbedingungen so nicht gesehen.

Insofern bietet diese Entscheidung für viele Betroffene die Möglichkeit, eigene Leistungsansprüche geltend zu machen. Es ist auch zu erwarten, dass eine Reihe von Gerichten der in sich stimmigen Argumentation des LG Mannheim folgen werden.


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