Was gilt bei betriebsbedingten Kündigungen im Arbeitsrecht?

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Betriebsbedingte Kündigung

1. Folgendes Prüfungsschema gilt im Allgemeinen:

a) Betriebliche Erfordernisse

Zunächst muss das Beschäftigungsbedürfnis weggefallen sein.

  • Analytik bisheriger Zustand
  • Analytik zukünftiger Zustand und Vortrag, warum die verbliebenen AN die Arbeit ohne überobligatorische Leistungen erbringen werden können

Die unternehmerische Entscheidung, Arbeitsplätze zu streichen, ist frei und gerichtlich grundsätzlich nicht überprüfbar, muss aber folgerichtig und durchführbar sein.

Es besteht nur eine Missbrauchskontrolle, ob die Entscheidung willkürlich war. Die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, müssen dringlich sein, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Dringlichkeit liegt vor, wenn die Kündigung eine zwingende kausale Folge der betrieblichen Erfordernisse ist. Nicht erforderlich ist, dass der Grund „Gott gegeben“, mithin unabänderlich ist.

b) Sozialauswahl

Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, steht fest, dass gekündigt werden kann – die Sozialauswahl dient der Feststellung, wer vom Verlust des Arbeitsplatzes betroffen ist. Die Auswahl ist in folgenden Schritten zu ermitteln.

  • Ermittlung einer auswahlrelevanten Vergleichsgruppe
  • Welcher AN soll trotz Zugehörigkeit zur der Vergleichsgruppe ausnahmsweise ausgeklammert werden
  • Welche AN sind am wenigsten schutzwürdig (ggf. Auswahlrichtlinie i.S.v. § 95 BetrVG berücksichtigen) nach
    • Lebensalter
    • Betriebszugehörigkeit
    • Unterhaltsverpflichtungen
    • Schwerbehinderungen

Der AG muss den Betriebsrat im Rahmender Anhörung über die Sozialauswahl unterrichten.

c) Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Die dringenden betrieblichen Erfordernisse schließen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers aus.

Eine Weiterbeschäftigung ist nur möglich, wenn ein freier und geeigneter Arbeitsplatz vorhanden ist. Frei in diesem Sinn sind auch Arbeitsplätze, die während der Kündigungsfrist mit Sicherheit frei werden, sogar solche Arbeitsplätze, die erst nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sind zu berücksichtigen, wenn dem AG bis dahin eine Weiterbeschäftigung zugemutet werden kann.

Geeignet ist ein Arbeitsplatz, wenn der AN ggf. nach zumutbaren Um- und Fortbildungsmaßnahmen die Arbeit ausführen kann. Existieren im Betrieb mehrere geeignete Arbeitsplätze, ist zunächst ein gleichwertiger dem AN anzubieten. Eine Weiterbeschäftigung kann durch Versetzung oder Änderungskündigung sichergestellt werden. Der Betriebsrat ist in beiden Fällen zu hören.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit ist der Zeitpunkt, in dem die Kündigungserklärung zugeht. Ändern sich nach dem Zugang, die Verhältnisse, dann wird die Wirksamkeit der Kündigung nicht berührt. Nur wenn der AG noch keine weiteren Dispositionen getroffen hat, besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch.

Eine Pflicht zur Freikündigung besteht auch bei Schwerbehinderten nicht, wohl aber eine Pflicht, Weisungsrecht auszuüben

2. Beispiele aus der Rechtsprechung zu betriebsbedingten Kündigungen

Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit – betriebsbedingte Kündigung

Der Arbeitgeber muss einem nach § 1 KSchG geschützten Arbeitnehmer, dessen bisheriger Arbeitsplatz weggefallen ist, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit auch dann anbieten, wenn er den Arbeitsplatz nur vorübergehend einrichten und den zeitlich ungewissen Beschäftigungsbedarf mit einem Arbeitnehmer abdecken, der wirksam befristet und weiter beschäftigt werden kann. Die Möglichkeit, mit einem Stellenbewerber wirksam eine Befristung zu vereinbaren, stellt kein kündigungsschutzrechtlich beachtliches, tätigkeitsbezogenes Anforderungsprofil dar.

BAG | 26.03.2015 | 2 AZR 417/14

Kein Formzwang für unternehmerische Entscheidung, Outsourcing

Eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers unterliegt keinem Formzwang. Auch bei einem mehrköpfigen Entscheidungsgremium, das letztlich nur gemeinsam entscheiden darf, bedarf dazu in der Regel keines förmlichen Beschlusses.

Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungs- und Beweislast aus § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG zunächst dadurch, dass er – zumindest konkludent – behauptet, er habe seine fragliche Entscheidung schon vor Zugang der Kündigung getroffen. Wenn der Arbeitnehmer dies mit – in aller zunächst ausreichendem – Nichtwissen bestreitet, hat der Arbeitgeber nähere tatsächliche Einzelheiten darzulegen, aus denen unmittelbar oder mittelbar geschlossen werden kann, er habe die entsprechende Absicht bereits zum Kündigungszeitpunkt endgültig gehabt.

Dem Arbeitgeber ist es kündigungsschutzrechtlich nicht verwehrt, Tätigkeiten, die bisher von Arbeitnehmern geleistet wurden, künftig echten freien Mitarbeitern oder Mitgliedern seiner Vertretungsorgane, die keine Arbeitnehmer sind, zu übertragen.

BAG |31.07.2014 | 2 AZR 422/13

Betriebsbedingte Kündigung – Fremdvergabe von Aufgaben – greifbare Formeln

Hängt der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit von einer unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es reicht aus, wenn sich die künftige Entwicklung konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen die Absichten des Arbeitgebers, die Maßnahme vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Anderenfalls kann der Kündigungszeitpunkt nicht – wie erforderlich – hinreichend sicher prognostiziert werden, der Arbeitsplatz werde spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist entfallen sein.

Ein in diesem Sinne ernsthafter und endgültiger Entschluss kommen zur Fremdvergabe von Tätigkeiten berechtigt den Arbeitgeber nicht in jedem Fall erst dann zur Kündigung, wenn er bereits einen Vertrag mit einem Drittunternehmen über die Durchführung der fraglichen Aufgaben geschlossen hat. Es reicht aus, wenn er – etwa auf der Grundlage bereits eingeholter Angebote – berechtigterweise annehmen durfte, die Kündigungsfrist biete ihm hinreichend Zeit hierfür.

BAG | 20.11.2014 |2 AZR 512/13

Wertigkeit der Sozialkriterien bei Sozialauswahl

Im Rahmen der Sozialauswahl ist eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht geeignet, drei Unterhaltsverpflichtungen aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinerseits eine Betriebszugehörigkeit von immerhin 6 Jahren aufzuweisen hat.

Keinem der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Sozialkriterien kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern mit Blick auf die sogenannten Grunddaten zu berücksichtigen und abzuwägen. Bei der Gewichtung kommt dem Arbeitgeber ein Wertungsspielrahmen zu. Dieser führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdige Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können.

BAG | 29.01.2015 | 2 AZR 164/14

Sozialauswahl

Eine Sozialauswahl muss auch erfolgen, wenn der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern seines Betriebs kündigt, einen Teil aber zugleich im Zusammenwirken mit einem Schwesterunternehmen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet.

Bei der Sozialauswahl kommt es nicht darauf an, ob diese falsch ist, sondern darauf, ob sich die fehlerhafte Sozialauswahl auf den konkreten Arbeitnehmer auswirkt. Auch eine zufällige, aber vertretbare Auswahlentscheidung hat Bestand.

BAG | 21.05.2015 | 8 AZR 409/13

Sozialauswahl – Bildung von Altersgruppen

§ 1 Abs. 3 Satz 2 Karcher AG gestattet die Vornahme der Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen, wenn dies zur Sicherung einer ausgewogenen gebogenen Altersstruktur der Belegschaft im betrieblichen Interesse liegt.

Eine solche Ausnahme, dass die Sozialauswahl innerhalb der gesamten Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer stattzufindende hat, ist nur gerechtfertigt, wenn innerhalb der Vergleichsgruppen nach sachlichen Kriterien Altersgruppen gebildet werden, die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigung diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt wird.

Die Beteiligung der einzelnen Altersgruppen an dem Personalabbau hat auch im Anwendungsbereich des § 1 Absatz 5. 2 Karcher G streng proportional zu erfolgen.

Anderenfalls ist von einem groben Auswahlfehler auszugehen.

BAG | 26.03.2015 | 2 AZR 478/13

AO-Kündigung wegen Outsourcing trotz Sonderkündigungsschutz

Die Fremdvergabe der Aufgaben von nur einem einzelnen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist nicht per se rechtsmissbräuchlich und kann einen betriebsbedingten Wegfall des Arbeitsplatzes rechtfertigen. Im Streitfall muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, aus denen sich die Rechtsmissbräuchlichkeit der Organisationsentscheidung ergeben soll.

BAG | 18.06.2015 | 2 AZR 480/14

Änderungskündigung zur Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld unwirksam

Eine Änderungskündigung, mit der der Arbeitgeber aufgrund des ab 01.01.2015 maßgeblichen Mindestlohns bisher zusätzlich zu einem Stundenlohn unterhalb des Mindestlohns gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld streichen will, ist unwirksam.

LAG BB | 11.08.2015 | 19 Sa 819/15


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