Widerrufsrecht bei online-Kauf – auch bei vorherigem, unmittelbarem Kontakt mit dem Verkäufer?

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Das Widerrufsrecht für Verbraucher bei Fernabsatzverträgen, dabei zumeist online-Kaufverträgen, ist sicherlich weitestgehend bekannt. Wird seitens eines Verbrauchers ein Vertrag online oder in sonstiger Weise unter Nutzung von „Fernkommunikationsmitteln“ geschlossen (Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB), dann steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu. Aber gilt das immer? Sinn und Zweck des Widerrufsrechts ist es, dem Käufer, der den Vertragsgegenstand nicht vor seinem Kauf persönlich in Augenschien nehmen kann, eine Möglichkeit zugeben, nach eingehender Prüfung der Ware doch noch vom Vertrag Abstand zu nehmen. Genau wie im Ladengeschäft soll dem Käufer also vor seiner Kaufentscheidung die Prüfung der Ware ermöglicht werden.

Was aber ist, wenn der Verbraucher als Käufer mit dem Verkäufer zuvor direkten Kontakt hatten? Habe ich beispielsweise auch dann ein Widerrufsrecht, wenn ich mir im Laden einen Artikel ansehe, mich beim Verkäufer umfassend informiere und mir den Artikel erst später im online-shop kaufe? Liegt dann immer noch ein Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB vor? 

Entsprechende Sachverhalte tauchen immer wieder auf, dabei oft in einer Variante, bei der die stets unleidliche Standard-Antwort eines Anwalts unvermeidlich ist: „Es kommt darauf an…“


Dazu folgender Beispielsfall:

A hat Interesse an einem hochwertigen Möbelstück, welches mehrere tausend Euro kostet und neben reinen Wohnzwecken auch technische Aspekte aufwies, dabei insbesondere eine Soundoption, welche für Entspannungszwecke bestimmt war. V stellt solche Möbel her. Um seine Möbelstücke zu vermarkten, veranstaltet V in regelmäßigen Abständen bundesweit sogenannte „Wellnesstage“. Diese werden stets unter wechselnden Mottos wie etwa „Tage der Entspannung“ veranstaltet. Dort werden den Interessenten in erster Linie die Gesundheits- und Wellness-Vorzüge in sogenannten „Seminaren“ erklärt und über die technischen Systeme der Möbelstücke in Grundzügen informiert. Dies erfolgt an Beispielmöbelstücken, nicht an der gesamten Produktpalette. Daneben hielt V im Sommer 2020 über seinen online-shop einen „Sommerrabatt“ für Einkäufe bereit.

A nahm an einer solchen Veranstaltung im Sommer 2020 teil. Ende Dezember 2021, also gut 1,5 Jahre später, kaufte A bei V online eines der Möbelstücke, welches er sich zuvor aus dem aktuellen online-Katalog ausgesucht hatte. Der „Sommerrabatt 2020“ galt hier natürlich nicht mehr. Das Möbelstück wurde geliefert. Kurze Zeit darauf widerrief A gegenüber V den Vertrag.

V wies den Widerruf zurück mit Verweis darauf, er, der A, habe bereits im Jahr 2020 bei einem der Motto-Tage alle notwendigen Informationen erhalten, er sei dabei insbesondere über die Vorzüge und die technischen Besonderheiten informiert worden. Auch wenn der endgültige Kaufvertrag erst Ende 2021 geschlossen wurde, liege kein Fernabsatzvertrag und damit kein Recht zum Widerruf des Vertrags vor.

Ist die Auffassung des V zutreffend?


Grundsätzliches zu Widerrufsrecht bei vorherigem Kontakt mit dem Verkäufer

Wie eingangs angemerkt, steht Verbrauchern bei einem Fernabsatzvertrag i.S.v. § 312c BGB ein Widerrufsrecht zu, sofern der jeweilige Vertrag unter Einsatz von Mitteln zur Fernkommunikation geschlossen wurde – und zwar ausschließlich unter Einsatz der Fernkommunikation. Damit stellt sich die Frage, wie weit der Vertragsschluss zu definieren ist, denn der Vertragsschluss selbst bedingt oftmals nicht nur den finalen Klick im Internet auf den „Jetzt Kaufen“-Button. Zum Vertragsschluss gehört durchaus auch eine vorgelagerte Vertragsanbahnung. Und genau das ist regelmäßig die Problematik.

Der BGH XI ZR 160/17 nimmt dazu an, dass ein Vertrag jedenfalls dann nicht unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikation zustande gekommen ist, wenn der Verbraucher und der Unternehmer im persönlichen Kontakt im Zuge einer „Vertragsanbahnung“ standen und sich über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände verständigt haben. Wird der Vertrag anschließend im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang geschlossen, wirkt die vorherige persönliche Vertragsanbahnung auf den Vertragsschluss, sodass mangels Fernabsatzvertrags auch kein Widerrufsrecht besteht.

Fraglich ist dabei, was denn von einer Vertragsanbahnung alles umfasst sein muss. Grob gesagt muss der Verbraucher „alle für den Vertragsschluss erforderlichen Informationen“ erhalten haben. Damit muss zumindest einmal im Detail über den konkreten Kaufgegenstand eine Verständigung stattgefunden haben. Wer beispielsweise einfach in den Laden geht, sich umschaut, allgemein informiert und erst im Anschluss über das Internet an den Verkäufer herantritt, um den Vertrag für ein bestimmtes Produkt zu schließen, für den wird nicht anzunehmen sein, dass bereits eine konkrete Vertragsanbahnung im Ladengeschäft stattgefunden hat.

Auch dürfte im Einzelfall problematisch sein, welche Informationen für den Käufer überhaupt relevant sind, dass sie bei einem persönlichen Kontakt im Zuge der Vertragsanbahnung mitgeteilt werden müssen. Schaut sich der Kunden im Laden um und der Verkäufer sagt, „wie haben alle Artikel auch in blau oder grün“, dann dürfte das erst einmal keine wesentliche Information für die Vertragsanbahnung sein, selbst wenn der Kunde den Artikel später in blau oder grün kauft.

Informiert sich hingegen der Verbraucher beim Händler persönlich, lässt sich den Artikel detailliert vorführen, fragt gar nach Zahlungsvarianten und erhält er auch noch im Laden ein Rabatt-Code, den er einlösen kann, wenn er den Artikel binnen 48 Stunden online bestellt, dann dürften alle relevanten Informationen bereits im Laden gegeben worden sein, sodass bei einem zeitnahen nachgelagerten online-Kauf exakt dieses Artikels ein Fernabsatzvertrag abzulehnen wäre.

Wird nach Erhalt dieser Informationen daher der Vertrag kurze Zeit später online oder mit ähnlichen Fernkommunikationsmitteln geschlossen, dann scheidet ein Fernabsatzvertrag und somit ein Widerrufsrecht aus.

Nun aber wäre fraglich, welche Anforderungen denn an einen zeitlichen Zusammenhang zwischen persönlicher Vertragsanbahnung und online-Kauf zu stellen sind. Das Gesetz selbst sieht jedenfalls keine ausdrückliche zeitliche Komponente vor. Jedoch geht die Rechtsprechung davon aus, dass zumindest Vertragsanbahnung und Vertragsschluss noch in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang gesehen werden müssen. Feste Richtlinien dafür gibt es aber nicht. Das AG Frankfurt 31 C 2577/10 (17) geht beispielsweise davon aus, dass eine Lücke von 1,5 Monaten zwischen Vertragsanbahnung im Ladengeschäft und abschließenden online-Kauf nicht mehr als „unmittelbar anschließend an den persönlichen Kontakt“ zu werten ist. Je größer also die zeitliche Lücke, je weniger wirkt der persönliche Kontakt nach. Wenige Tage, vielleicht auch ein oder zwei Wochen werden mit guter Argumentation wohl noch als „an den persönlichen Kontakt anschließend“ gewertet werden können. Bei mehreren Wochen oder gar Monaten, dürfte das nicht mehr der Fall sein. Jedoch können, je nach Vertragsgegenstand, sicherlich Ausnahmen und Abweichungen bestehen.


Damit gilt stets zu klären,

  • Hat während der vorherigen „Vertragsanbahnung“ ein persönlichen Kontakt stattgefunden?
  • Wenn das der Fall ist, wurden dabei dem Verbraucher die für einen Vertragsabschluss wesentlichen Informationen gegeben?
  • Wenn auch das der Fall ist, wurde der Vertrag anschließend im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang online (oder vergleichbar) finalisiert?

Sind alle Punkte vertretbar gegeben, scheidet ein Fernabsatzvertrag und damit ein Widerrufsrecht für den Verbraucher aus. Fehlt es an einem dieser Punkte, dürfte ein Fernabsatzvertrag mit der Folge des Widerrufsrechts für den Verbraucher vorliegen.


Damit zurück zu unserem Beispielfall.

Schon mit Blick auf die drei relevanten Prüfschritte wird klar, dass die Auffassung des Verkäufers V nicht zutreffend war. Zwar hat sicherlich ein persönlicher Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer stattgefunden. Allerdings wurden allenfalls „Wellnesstage“ abgehalten, bei denen der therapeutische Vorteil und dergleichen veranschaulicht worden sind. Ob das wesentliche Informationen für einen Vertrag sind, wäre mehr als fraglich. Jedenfalls wurde nicht das später gekaufte, konkrete Möbelstück beworben und vorgestellt, sondern allenfalls Beispielmöbel, an denen das „grundsätzliche System“ veranschaulicht worden war. Das später gekaufte konkrete Möbelstück war demnach überhaupt nicht Gegenstand des persönlichen Kontakts.

Daneben wirkt hier die zeitliche Komponente gleich mehrfach: der persönliche Kontakt fand im Sommer 2020 statt. Im Sommer 2020 galt jedoch ein befristet gesenkter Mehrwertsteuersatz. Waren steuerlich gesenkten Produktpreise jedoch bei der Vertragsanbahnung wesentlich, dann waren diese im Dezember 2021 komplett Makulatur. Letztlich hielt der Verkäufer für den Sommer 2020 ein „Sommerrabatt“ bereit, sofern ein Möbelstück gekauft wird. Auch dieser Rabatt als Entscheidungsmotivation war im Dezember 2021 in keinerlei Hinsicht mehr aktuell. Selbst dann, wenn man dies alles unberücksichtigt ließe, wäre eine zeitliche Lücke von 18 Monaten keinesfalls mehr „zeitnah“ mit Blick auf den persönlichen Kontakt.

Damit ist der Kaufvertrag trotz des persönlichen Kontakts im Rahmen des Fernabsatzes zustande gekommen. A stand ein Widerrufsrecht zu. Er konnte den Vertrag wirksam widerrufen.


Zusammenfassend und als Praxistipp:

Das Widerrufsrecht bei einem Fernabsatzvertrag (online-Kauf etc.) ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil Käufer und Verkäufer vorherigen persönlichen Kontakt hatten. Das wäre nur dann der Fall, wenn sich beide im Rahmen des persönlichen Kontakts über alle wesentlichen Vertragsbestandteile verständigt haben und der abschließende Vertrag unter Nutzung des Fernkommunikationsmittels (z.B. online-shop, Telefon usw.) zeitnah zustande gekommen ist.

Auf der anderen Seite besteht ein Widerrufsrecht nicht allein deshalb, nur weil der Kauf am Ende mittels einfachen Klicks im Internet oder durch Telefonanruf beim Händler finalisiert wurde. Hier müssen beide Vertragsparteien bei möglichen Zweifeln genau prüfen und nicht voreilig etwaige Ansprüche zurückweisen.

Für Verbraucher, welche immer wieder einmal an „Informationstagen“ von Anbietern teilnehmen: prüfen Sie genau, ob eine „Vertragsanbahnung“ im persönlichen Kontakt stattgefunden hat. Nicht jedes Werbegespräch ist Austausch wesentlicher Informationen für einen später geschlossenen Vertrag. Lassen Sie sich daher bei späteren online-Käufen nicht voreilig den Wind aus den Segeln nehmen, wenn ein Widerrufsrecht allein aufgrund der Teilnahme an einer solchen Informationsveranstaltung abgelehnt wird. Je größer zudem der Zeitraum zwischen persönlichem Kontakt und späterem Kauf ist, je weniger wirkt der vorherige Kontakt auf den späteren Vertragsschluss nach.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich über das Kontaktformular oder per Email.

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Foto(s): ©Adobe Stock/hedgehog94


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