Widerspruch des Betriebsrates bei ordentlichen Kündigungen. Was gibt es zu beachten?

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Gleich zu Beginn möchte ich mit einem meiner Erfahrung nach noch weit verbreitetem Irrtum aufräumen: Ein Widerspruch des Betriebsrats* nach § 102 Abs. 3 BetrVG hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Arbeitgeber* kann ungeachtet des Widerspruchs die Kündigung aussprechen.

Doch was bringt ein Widerspruch des Betriebsrates dann und wie sollte man als Betriebsrat vorgehen? Hierbei soll der nachfolgende Artikel Hilfestellungen geben.

I.  Der Widerspruch des Betriebsrates

1. Wann kann der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung widersprechen?

Erhält ein Arbeitnehmer eine ordentliche Kündigung, so kann der Betriebsrat der Kündigung nach § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen, wenn einer der folgend genannten Widerspruchgründe vorliegt:

  • der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt
  • eine Kündigung verstößt gegen eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG (hierzu muss eine Auswahlrichtlinie zwischen den Betriebsparteien tatsächlich vereinbart sein)
  • der zu kündigende Arbeitnehmer kann an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden
  • die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich
  • eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist unter geänderten Vertragsbedingungen möglich und der Arbeitnehmer hat hiermit sein Einverständnis erklärt.

Diese Widerspruchsgründe sind abschließend. Aus anderen Gründen kann der Betriebsrat einer Kündigung nicht widersprechen. Oder anders gesagt: Liegt keiner der vorgenannten Widerspruchsgründe vor, muss sich der Betriebsrat gar nicht erst die Mühe machen, einen Widerspruch zu schreiben.

2. Wie sollte der Widerspruch verfasst werden?

a) Form

Es ist anerkannt, dass sich aus dem Zusammenhang in § 102 BetrVG ein Schriftformerfordernis für den Widerspruch des Betriebsrates ergibt. Lange Zeit wurde der Begriff „Schriftform“ untechnisch verstanden und Widersprüche erfolgten z.B. per E-Mail. Dies reichte aus, wenn die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss des Textes erkennbar war. Ob dies auch zukünftig so ausgelegt werden kann, ist nicht ganz sicher, da das Betriebsverfassungsgesetz seit der letzten Erneuerung explizit die Textform in bestimmten Bereichen vorsieht. In § 102 BetrVG wurde eine Anpassung – warum auch immer – leider versäumt. Möchte der Betriebsrat daher ganz auf Nummer sicher gehen, verfasst er den Widerspruch in Schriftform (eigenhändige Unterschrift des Vorsitzenden (mit Tinte) auf Papier).

b) Inhalt

Nicht ausreichend für einen ordnungsgemäßen Widerspruch ist jedenfalls die reine Wiedergabe des Gesetzestextes. Der Widerspruch muss so genau wie möglich begründet werden. Der Betriebsrat sollte sich neben der Nennung des Widerspruchsgrundes auch stets fragen, warum er meint, ein Widerspruchsgrund liege vor. Warum wurden z.B. die sozialen Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtig? Wurde die Betriebszugehörigkeit nicht berücksichtigt? Darf z.B. ein Kollege, der sich in der Probezeit befindet und vergleichbare Tätigkeiten macht, bleiben? Die Widerspruchsgründe sollten jedenfalls so genau wie möglich angegeben werden. Erste Hilfestellungen können hierbei Muster aus dem Internet geben. Diese aber bitte nicht blind kopieren, sondern mit Leben füllen.

c) Widerspruchsfrist

Der Widerspruch muss innerhalb einer Woche erfolgen. Geht die Betriebsratsanhörung also z.B. an einem Montag zu, muss ein Widerspruch bis zum darauffolgenden Montag erfolgen.

Achtung: Kann man den Widerspruch des Betriebsrates als abschließende Stellungnahme auslegen, so kann der Arbeitgeber die Kündigung unmittelbar nach dieser abschließenden Stellungnahme aussprechen und muss die einwöchige Frist nicht abwarten. 

  • Wenn der gekündigte Arbeitnehmer z.B. eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende hat, der Betriebsrat am 28.06. eine Anhörung zu dieser Kündigung erhält und voller Eifer am 29.06. seinen abschließenden Widerspruch abgibt, so hat er dem Arbeitnehmer 3 Monate Beschäftigungszeit geraubt.

Daher sollte der Betriebsrat stets überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, zumindest die Wochenfrist auszureizen oder eben gar nicht zu reagieren. Erfolgt keine Reaktion des Betriebsrates, so muss der Arbeitgeber jedenfalls die Wochenfrist einhalten, bis er die Kündigung ausspricht.

II. Rechtsfolgen des Widerspruchs

1. Der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch

Bei ordnungsgemäßem Widerspruch des Betriebsrates besteht für den Arbeitnehmer der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch.

Der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch kommt erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses zum Tragen. Legt der gekündigte Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage ein, hat der Widerspruch des Betriebsrates keine Auswirkungen.

Es geht hierbei um den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist aber noch vor rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses.

Hierzu folgendes Beispiel: 

  • In einem laufenden Kündigungsschutzprozess ist die Kündigungsfrist am 30.06. bereits abgelaufen. Der Kammertermin (in dem erstinstanzlich über die Wirksamkeit der Kündigung entschieden wird) steht jedoch erst am 15.10. an. Hier muss der Arbeitgeber bei ordnungsgemäßem Widerspruch des Betriebsrates die gekündigte Person auch nach dem 30.06. weiterbeschäftigen. Erfolgt kein Widerspruch des Betriebsrates, so muss der Arbeitgeber dies bis zur Entscheidung am 15.10. nicht tun.

2. Was bringt der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch genau?

Das vorgenannte Beispiel hört sich erst einmal so an, als wäre der Widerspruch für den Betriebsrat ein absolutes Muss. Hierbei sollten jedoch folgende Punkte in die Überlegungen des Betriebsrates einfließen:

  • Stellt das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung am 15.10. fest, hat der Arbeitnehmer ohnehin (auch wenn er tatsächlich nicht weiterbeschäftigt wurde) Anspruch auf Lohn für den Zeitraum nach dem 30.06. (dies nennt man Annahmeverzugslohn)
  • Stellt das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung fest, muss der Arbeitgeber spätestens nach dieser Entscheidung den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, auch wenn der Betriebsrat der Kündigung nicht widersprochen hat (dies ist der sog. Allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch)
  • Rein prozessual wird der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch gemeinsam mit den anderen Anträgen im Kündigungsschutzprozess entschieden. Das heißt im Beispiel, dass auch über den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch erst am 15.10. eine Entscheidung ergeht. Ohne Urteil kann der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch nicht durch Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Wenn der Arbeitnehmer in Kündigungsschutzprozess gewinnt, steht ihm jedoch ohnehin der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zur Seite
  • Von der Möglichkeit, den Weiterbeschäftigungsanspruch im Eilverfahren durchzusetzen, wird in der Praxis nur selten Gebrauch gemacht. Dies liegt oft daran, dass das Interesse des gekündigten Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung nach dem 30.06. nicht sonderlich hoch ist. Insbesondere, wenn die Erfolgsaussichten im Kündigungsschutzprozesses gut sind, kann der gekündigte Arbeitnehmer dem Kammertermin am 15.10. entspannt entgegenblicken, ohne arbeiten gehen zu müssen. Er erhält rückwirkend ja Annahmeverzugslohn.

III. Fazit

Bei Betriebsräten wird häufig ein enormer Aufwand bei den Widersprüchen von Kündigungen betrieben. Die Gremien sollten sich jedoch stets die Frage stellen, ob sich ein Widerspruch tatsächlich lohnt. Dazu muss zunächst einmal einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Widerspruchsgründe betroffen sein. Sonst sind jegliche Ausführungen vergebens.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Widerspruch dem gekündigten Arbeitnehmer tatsächlich hilft. Hierzu sollte sich der Betriebsrat jedenfalls mit dem betroffenen Arbeitnehmer austauschen (Achtung: Hier die Schweigepflicht beachten, § 102 Abs. 2 Satz 5 BetrVG). In der Praxis geht es den betroffenen Arbeitnehmern häufig „nur noch“ um eine angemessene Abfindung und die Rückkehr in den Betrieb wird nicht wirklich angestrebt. Auch dann macht man sich mit einem lang begründeten Widerspruch vergebens die Mühe.

Schließlich sollte der Betriebsrat nicht voreilig handeln und immer die Stellungnahmefrist nach § 102 Abs. 2 BetrVG und die Kündigungsfrist des betroffenen Arbeitnehmers beachten.

Abschließend kann man sagen, dass der Betriebsrat dem gekündigten Arbeitnehmer in vielen Fällen ebenso gut hilft, wenn er gar nichts unternimmt.


*Nachfolgende Ausführungen gelten ebenso für den Personalausschuss.

*Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Artikel verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.




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