Anerkennung einer Schwerbehinderung

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Das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) enthält die Vorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland.

Die Anerkennung einer Schwerbehinderung führt insbesondere im Arbeitsrecht zu Besonderheiten, z.B. zusätzliche Urlaubstage, aber vor allem den besonderen Kündigungsschutz. Einem Arbeitnehmer, der im Sinne des SGB IX als Schwerbehinderte anerkannt wurde, kann ein Arbeitgeber nicht einfach so kündigen. Er muss vor Ausbruch der Kündigung eine Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Sofern in dem Unternehmen eine Schwerbehindertenvertretung eingerichtet ist, muss diese separat, wie der Betriebsrat, zur Kündigung angehört werden.*

Doch wie erwirkt man die Anerkennung einer Schwerbehinderung?

Zuständig für die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises ist in der Regel das Versorgungsamt, in manchen Fällen auch, je nach regionaler Aufgabenverteilung, die Kommunalverwaltung.

Mittlerweile, so z.B. in Nordrhein-Westfalen, kann der Ausweis auch online beantragt werden.

Hierzu hat der Antragsteller seine Leiden anzugeben und, sofern dies möglich ist, unter Vorlage von ärztlichen Attesten zu belegen.

Die Behörde wird den Sachverhalt sodann im Rahmen ihrer Ermittlungspflichten prüfen, etwaig den Antragsteller nochmals zu Einzelheiten anhören und die behandelnden Ärzte des Antragstellers konsultieren.

Sodann wird das Versorgungsamt, in der Regel unter Einbeziehung des internen medizinischen Dienstes, eine Entscheidung treffen.

Wann erhalte ich einen Schwerbehindertenausweis?

Einen Schwerbehindertenausweis erhalten diejenigen Antragsteller, denen ein Grad der Behinderung (kurz: GdB) von mindestens 50 zuerkannt wurde. 

Am Rande: Das Verwenden des Begriffs Prozente ist im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung zwar üblich, aber falsch. Allenfalls kann man hier von Punkten sprechen.

Wie errechnet sich der Grad der Behinderung?

Hierzu muss man wissen, dass die Behörde jedes Leiden, welches ihr zugetragen wird, einzelnen bewertet und jeweils einen sogenannten Einzel-GdB zuteilt. Einzel-GdB werden ausschließlich in Zehnerschritten, nicht in Fünferschritten, vergeben. Daher gibt es auch keinen Grad der Behinderung von 45.

Bsp.:

Lädiertes Knie                             30

Wirbelsäulenproblem                20

Seelische Störung                       20

Aus diesen Einzel-GdB bildet die Behörde dann den Gesamt-GdB, der ausschlaggebend ist für die Frage der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Dabei werden die Einzel-GdB aber nicht addiert, es wird auch kein Durchschnitt berechnet, sondern ähnlich wie im Strafrecht bei einer Gesamtstrafenbildung vom schwersten Leiden ausgehend Aufschläge vorgenommen.

Am obigen Beispiel könnte eine Berechnung, die so nirgendwo vorgeschrieben ist, wie folgt aussehen. Man geht vom schwersten Leiden, das mit 30 Punkten bewertet wurde, aus und addiert diese mit dem Durchschnitt (20+20=40:2=20) der anderen beiden Leiden und kommt so auf einen Gesamt-GdB von 50.

Was ist, wenn die Behörde mir nur einen GdB von 30 bescheidet?

Zunächst sollte man hier, insbesondere wenn man in einem laufenden Arbeitsverhältnis steht, zügig einen Gleichstellungsantrag bei der Agentur für Arbeit stellen. Mit diesem Gleichstellungsdauer begehrt der Antragsteller, mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gleichgestellt werden. In kommt dann auch der besondere Kündigungsschutz eines Schwerbehinderten zugute.

Gegen den Bescheid des Versorgungsamtes besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Hierfür gilt eine Frist von einem Monat, die am Tag der Zustellung des Bescheids zu laufen beginnt.

Die Behörde wird dann nochmals Ihre Entscheidung überprüfen und gegebenenfalls dem Widerspruch abhelfen, also einen höheren GdB feststellen. In den meisten Fällen wird die Behörde aber bei ihrer ersten Meinung bleiben und den Widerspruch zurückweisen. Der Bescheid, mit dem Widerspruch zurückgewiesen wird, nennt sich Widerspruchsbescheid.

Hiergegen kann der Antragsteller nicht noch mal Widerspruch einlegen. Ab Zugang des Widerspruchsbescheides läuft die Klagefrist von einem Monat, binnen derer Klage beim örtlich zuständigen Sozialgericht erhoben werden muss.

Was macht das Sozialgericht im Falle einer Klage?

Da die wenigsten Richter auch Ärzte sind, wird das Gericht seiner Ermittlungspflicht nachkommen, indem es einen Gutachter beauftragt. Da die Begutachtung der klagenden Partei aber Kosten für die Staatskasse verursacht, wird das Gericht einen Gutachtensauftrag nur dann erteilen, wenn entweder der Behördenakte ein substantieller Vortrag des Widerspruchsführers zu entnehmen ist oder die klagende Partei gegenüber dem Gericht plausible Gründe vorgetragen hat, welche das Gericht an der Richtigkeit des Erstbescheides zweifeln lässt.

Was ist ein Verschlimmerungsantrag?

Wenn sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert, kann man dies zum Anlass nehmen, der Behörde die Verschlimmerung anzuzeigen und gleichsam eine Erhöhung des GdB zu beantragen. Einen Verschlimmerungsantrag an jeder stellen, der im Vorhinein schon einmal einen Antrag gestellt hatte, unabhängig davon, ob dieser positiv oder negativ beschieden wurde. Auch jemand, der im Vorhinein nur einen Gesamt-GdB von 20 zugestanden bekommen hat, kann also einen Verschlimmerungsantrag stellen.


*Dies gilt auch für „gleichgestellte“ Mitarbeiter. Als Gleichgestellte werden Mitarbeiter besonders vor Kündigung geschützt, die zwar nicht über eine anerkannte Schwerbehinderung (hierzu wäre ein Grad der Behinderung von 50 nötig) verfügen, denen aber ein Grad der Behinderung von 30 oder 40 zuerkannt wurde und die gleichsam bei der für sie zuständigen Agentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung gestellt haben, der positiv beschieden wurde.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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