Arbeitgeberseitige Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Zum BAG-Urteil vom 13.09.2022

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Bislang ging man in Praxis und Rechtsprechung davon aus, dass nur Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit arbeitgeberseitig dokumentiert werden müssen und eine weitere, aktuelle und vor allem vollständige Arbeitszeitaufzeichnung arbeitgeberseitig nicht zwingend von Nöten seien. Diese bisher übliche Sichtweise wurde mit Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 13.09.2022, Az: 1 ABR 22/21, radikal geändert. Das Bundesarbeitsgericht hat im Leitsatz der Entscheidung mitgeteilt:

„Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.“

Im Orientierungssatz führt das Bundesarbeitsgericht sodann weiter aus:

„Da sich die aus § 3 Abs 2 Nr 1 ArbSchG folgende Pflicht eines Arbeitgebers, ein System zur Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit im Gemeinschaftsbetrieb zu etablieren, nicht zwingend auf eine Zeiterfassung in elektronischer Form bezieht, kann sich auch das dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung eines solchen Zeiterfassungssystems zustehende Initiativrecht aus § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG nicht lediglich hierauf beschränken. Das geben Inhalt und Zweck dieses Mitbestimmungstatbestands vor.“

Wie sich aus den vorbenannten Leit- und Orientierungssätzen erkennen lässt, drehte sich der vom BAG entschiedene Rechtsstreit um den Streit eines Betriebsrates mit dem Arbeitgeber um die Reichweite seiner Mitspracherechte bei Einführung eines betrieblichen Zeiterfassungssystems. Das Bundesarbeitsgericht hat hierbei, neben dem ursprünglichen Rechtsstreit zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, zugleich die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung erläutert und kam in der Begründung seines Urteils zu folgendem, die arbeitsrechtliche Praxis überraschenden, Schluss:

„Die Pflicht der Arbeitgeberinnen, ein System einzuführen, mit dem sämtliche Arbeitszeiten im Gemeinschaftsbetrieb erfasst werden, folgt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Bei unionsrechtskonformem Verständnis beinhaltet die gesetzliche Regelung auch die grundsätzliche Verpflichtung der Arbeitgeber, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, dass Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst.“

Die gesetzessprachlich weit gefasste Verpflichtung des Arbeitgebers, für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die „erforderlichen Mittel“ hierfür bereitzustellen, umfasst auch die Einführung und Verwendung eines Systems zur Erfassung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer. Somit ist festzuhalten, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet ist, ein System einzuführen und dauerhaft zu betreiben, mit dem die vollständige von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst und dokumentiert wird. Aus der Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich, dass die Verwendung einer elektronischen Zeiterfassung nicht zwingend ist und je nach Tätigkeit und Unternehmen, zumindest derzeit, auch Aufzeichnungen in Papierform genügen können. Insofern müsste nun der Gesetzgeber tätig werden und die Aufzeichnungspflicht weiter konkretisieren, wenn eine ausschließliche Verpflichtung zur elektronischen Aufzeichnung statuiert werden soll.


[Detailinformationen: RA Carsten Fleischer, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Telefon 0351 80718-80, fleischer@dresdner-fachanwaelte.de] 


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