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Auschwitz-Prozess: SS-Mann Gröning steht vor Gericht

  • 3 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

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In Lüneburg hat der sog. Auschwitz-Prozess gegen den SS-Mann Oskar Gröning begonnen. Der 93-Jährige war im Dritten Reich mehr als zwei Jahre Buchhalter im Vernichtungslager Auschwitz. Der strafrechtliche Vorwurf lautet: Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen. Angesichts des Holocaust kann das Strafrecht keine „Sühne“ bringen. Trotzdem ist es wichtig, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden – gerade auch heute.

Mord verjährt nicht

Mindestens 900.000 Menschen waren in dem Vernichtungslager interniert und meist unmittelbar nach der Ankunft getötet worden. Sie wurden getäuscht und in den Tod geführt. Sie landeten statt in Duschen in der Gaskammer und wurden dort mit Zyklon B auf grausame Weise umgebracht. Die Abläufe sind aus strafrechtlicher Sicht relevant, da sie mehrere Mordmerkmale erfüllen: Arglist, Grausamkeit und Rassenhass als niedriger Beweggrund. Weil inzwischen alle anderen Straftaten verjährt sind, stützt die Staatsanwaltschaft die Anklage auf Mord, denn Mord verjährt nicht.

Grenzen des Strafrechts

Wie in einem „normalen“ Strafverfahren muss das Gesetz zur Anwendung kommen. Der Vorsitzende der 4. Strafkammer stellte deshalb zum Prozessbeginn klar: „Dennoch bitte ich zu beachten, dass es sich nur um ein Strafverfahren handelt, in dem das zentrale Element die strafrechtliche Aufklärung sein wird.“ Dem Angeklagten muss sein Beitrag juristisch konkret nachgewiesen werden. Das nüchterne Strafrecht wird dem Entsetzen nicht gerecht werden können, das die Aussagen von den Verfahrensbeteiligten zu den NS-Verbrechen hervorruft. Es ist ein rechtlicher Grenzbereich, den solche Prozesse darstellen.

Zahllose Freisprüche

Die Nachkriegsjustiz hat versagt. In der Vergangenheit sind die meisten NS-Verbrecher strafrechtlich nicht belangt worden. Hauptargument war oft, sie seien ja nur Befehlsempfänger gewesen. Doch inzwischen hat sich das Strafrecht weiterentwickelt, auch durch die Rechtsprechung. Spätestens seit dem Prozess gegen John Demjanjuk, dem Wachmann in Sobibor, haben sich neue Möglichkeiten eröffnet, die NS-Verbrecher strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

Demjanjuk-Prozess

Im Mai 2011 hatte das Landgericht München den SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord in 28.060 Fällen verurteilt und damit erstmals eine rechtliche Sanktionierung der sogenannten „Handlanger“ möglich gemacht. Demjanjuk wurde schuldig gesprochen, weil er „Teil eines eingespielten Apparats zum Zweck der systematischen Ermordung möglichst vieler Menschen“ war. Demjanjuk verstarb, bevor der Bundesgerichtshof das Urteil der Münchner Richter bestätigen konnte. Trotzdem war es richtungsweisend und hatte Folgen. Denn die Ermittler der „Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ begannen, die Akten in den Archiven unter den neuen juristischen Aspekten durchzuarbeiten. Mit Erfolg. Dazu zählt auch der Prozess gegen Gröning.

Grönings konkreter Beitrag

Grönings konkreten Beitrag in Auschwitz sieht die Staatsanwaltschaft in seiner Funktion als Buchhalter. Er hat damals das Geld verwaltet und auf das Gepäck der Opfer an der Rampe aufgepasst. Dadurch habe er dazu beigetragen, dass die Rampe geräumt werden konnte und die – im Gröning-Fall hauptsächlich aus Ungarn kommenden – Juden arglos in die Gaskammern geführt werden konnten, wo sie grausam ermordet wurden.

Opfer als Nebenkläger

An dem Prozess sind auch 65 Überlebende von Auschwitz und deren Angehörige als Nebenkläger beteiligt. Sie sollen stellvertretend für Hunderttausende stehen. Welche Belastungen das Verfahren für sie mit sich bringt, ist unvorstellbar. Nicht zuletzt, weil vor dem Gerichtsgebäude bereits Neonazis aufgetaucht sind und versucht haben, in den Gerichtssaal zu gelangen. Die Opfer werden durch Aussagen und Zeugenaussagen erinnert, was ihnen persönlich angetan wurde, ihren Familien und ihren Mitmenschen.

Grönings bisheriges Auftreten

Die bisherigen Aussagen Grönings hinterlassen bei vielen Prozessbeobachtern nicht den Eindruck, er habe sich von den NS-Verbrechen distanziert. Immer wieder verwendet er den Jargon der Nazis. Beim Prozessauftakt sagte er zum Gericht: „Es steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe. Das bekenne ich voller Reue und Demut. Über die strafrechtliche Schuld müssen Sie entscheiden.“

Das ist der Kern, um den es geht.

Es wird vom Gericht aufzuklären sein, welches Grauen sich damals im Vernichtungslager Auschwitz abgespielt hat, welchen Beitrag Gröning dazu als Rädchen der Vernichtungsmaschinerie leistete und letztlich, ob er juristisch dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann.

(WEL)

Foto(s): ©Fotolia.com

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