BGH: Teilnehmer an sog. illegalen Autorennen sind keine Mörder

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Das Landgericht Berlin hatte erstmals nach einem tödlichen Unfall durch ein sog. illegales Autorennen die Beteiligten wegen Mordes verurteilt (LG Berlin, Urt. v. 27.02.2017, AZ: 535 Ks 8/16).

Kein Tötungsvorsatz

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 01.03.2018 (Urt. v. 01.03.2018, AZ: 4 StR 399/17) das Urteil des LG Berlin richtigerweise aufgehoben.

Der BGH stellt fest: „Auf die Revisionen der Angeklagten hat der 4. Strafsenat das Urteil des Landgerichts insgesamt aufgehoben. Die Verurteilung wegen Mordes konnte keinen Bestand haben, weil sie auf einer in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaften Grundlage ergangen ist. Der vom Landgericht Berlin festgestellte Geschehensablauf trägt schon nicht die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Nach den Urteilsfeststellungen, an die der Senat gebunden ist, hatten die Angeklagten die Möglichkeit eines für einen anderen Verkehrsteilnehmer tödlichen Ausgangs ihres Rennens erst erkannt und billigend in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren. Genau für diesen Zeitpunkt hat das Landgericht allerdings auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Möglichkeit mehr hatten, den Unfall zu verhindern; sie seien „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“. Nach diesen Feststellungen war das zu dem tödlichen Unfall führende Geschehen bereits unumkehrbar in Gang gesetzt, bevor die für die Annahme eines Tötungsvorsatzes erforderliche Vorstellung bei den Angeklagten entstanden war. Ein für den Unfall und den Tod unfallbeteiligter Verkehrsteilnehmer ursächliches Verhalten der Angeklagten, das von einem Tötungsvorsatz getragen war, gab es nach diesen eindeutigen Urteilsfeststellungen nicht.“

Auch wenn das Urteil des LG Berlin das „Gerechtigkeitsempfinden“ der Öffentlichkeit bedient hat, wirkt die Begründung erkennbar konstruiert. Der Straftatbestand Mord greift hier nicht, bzw. das Gericht lässt offen, ab wann ein Sachverhalt in den Bereich „Mord“ übergeht. Es handelte sich schon nicht um ein Rennen, denn dies ist stets eine organisierte Motorsportveranstaltung (siehe für die verschiedenen Definitionen Wikipedia). Es war ein spontanes Kräftemessen nach einem Ampelstopp, unüberlegt, die Angeklagten kannten sich nicht. Läge versuchter Mord vor, wenn solche Verkehrsteilnehmer bei Erreichen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorschriftsmäßig den Vorgang abgebrochen hätten? 

Rechtliche Mängel bei der Beweiswürdigung

Das Landgericht war auch davon ausgegangen, dass die Angeklagten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher gefühlt hätten. Auch dieser Feststellung tritt der BGH entgegen: „Davon abgesehen leidet auch die Beweiswürdigung der Strafkammer zur subjektiven Seite der Tat unter durchgreifenden rechtlichen Mängeln.Hinzu kommt, dass sie auch die Annahme, die Angeklagten hätten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher gefühlt, nicht in der erforderlichen Weise belegt hat. Sie hat diese Annahme darauf gestützt, dass mit den Angeklagten vergleichbare Fahrer sich in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Fahrzeugen regelmäßig sicher fühlten „wie in einem Panzer oder in einer Burg“. Einen Erfahrungssatz dieses Inhalts gibt es aber nicht.“ 

Es greifen die Spezialgesetze des Verkehrsrechtes

Die Annahme eines Tötungsvorsatzes hinsichtlich Mord war auch gar nicht erforderlich: Vorliegend greifen hier die Spezialgesetze der Verkehrsstraftaten und –ordnungswidrigkeiten. Eine Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld von 400,00 EUR, Fahrlässige Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs (beide Straftaten jeweils Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren). Selbst auf Totschlag hätte das Gericht erkennen können (Mindeststrafe 5 Jahre Freiheitsstrafe, in schweren Fällen lebenslänglich). Die Führerscheine der Angeklagten wurden eingezogen, die Fahrerlaubnisse lebenslang entzogen.

Keine Verschärfung von Straftatbeständen durch richterliche Rechtsfortbildung

Das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16) hatte schon in einem anderen Fall festgestellt, dass der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG es der Rechtsprechung verbiete, Tatbestände im Wege richterlicher Rechtsfortbildung etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen zu begründen oder zu verschärfen (BGH, Beschluss vom 11. September 2014 – 4 ARs 12/14, juris unter Bezugnahme u. a. auf BVerfGE 71, 108 ff.). 

Grundsätzlich hat sich hier eine typische Gefahr des Straßenverkehrs verwirklicht, die jeder Verkehrsteilnehmer kennt und mit der Teilnahme am Straßenverkehr in Kauf nimmt. Ein gemeingefährliches Tatmittel was das Landgericht Berlin angenommen hatte, stellt außerdem auf eine über den Tötungserfolg hinausgehende Gefährdung Dritter ab, die ihren Ursprung in der Ausführungsart der Tötung hat. Gemeingefährlich ist ein Mittel, wenn es durch seine Anwendung im Einzelfall eine Gefahr für eine unbestimmte Anzahl anderer Personen mit sich bringt. Auch darauf muss sich der Vorsatz des Täters beziehen. 

Wann bejaht der BGH Mord?

Bejaht hat der Bundesgerichtshof dies bisher bei Amokfahrten oder einer Geisterfahrt auf der Autobahn ohne Licht. Sie bemerken schon: In diesen Fällen hat der Täter anders als bei dem Urteil des Landgerichtes Berlin gerade keinen Kontrollverlust über sein Fahrzeug erlitten.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein. 

Arbeitsgemeinschaften: Strafrecht, Verkehrsrecht, Mietrecht und Immobilien, Verwaltungsrecht, Familienrecht


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