Blitzer „LEIVTEC XV3“ stillgelegt - gemeinsame Informationen eines Sachverständigen und eines Rechtsanwalts

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Bereits seit dem Jahre 2019 gibt es konkrete Hinweise, dass das mobile Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 eine nicht zu tolerierende Fehleranfälligkeit aufweist und daher nicht zuverlässig ist. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) und weitere Sachverständige haben daher spezielle Konstellationen nachgestellt, um die Zuverlässigkeit des Blitzers zu untersuchen. Aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchungen veröffentlichte die PTB am 12.03.2021 einen Hinweis zum Messgerät LEIVTEC XV3 (https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_kinematik/1.31/PTB_Stellungnahme_XV3_Zwischennachricht_2.pdf.). Die Untersuchungen haben hervorgebracht, dass es spezielle Szenarien gibt, „bei denen es […] zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann.“

Der Hersteller des LEIVTEC XV3 nahm dies zum Anlass ebenfalls eine Stellungnahme zu veröffentlichen:

"Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden. Wir sind uns der Tragweite unseres Schreibens bewusst, sehen jedoch in der Sache keine andere Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten."

Wieso genau ist das LEIVTEC XV3 stillgelegt?

Das LEIVTEC XV3 berechnet den Geschwindigkeitswert durch den bekannten physikalischen Zusammenhang „Weg durch Zeit = Geschwindigkeit“. 

Dabei sendet der Sensor des Messgerätes in zeitlich definierten Abständen Laserimpulse aus, die an dem zu messenden Fahrzeug reflektiert und vom Messgerät wieder empfangen werden. Aus der Laufzeit dieser Signale errechnet das Messgerät zuerst die Entfernung zum Fahrzeug und aus der Änderung der Entfernung in einer bestimmten Zeit, final die Geschwindigkeit. 

In den veröffentlichten Untersuchungen wurde nun festgestellt, dass es zu Messwertabweichungen kommen kann, wenn es zu sogenannten Stufenprofilmessungen kommt. 

Bei einer Stufenprofilmessung trifft der Laserstrahl während der Messung auf zwei ähnlich gute Reflektoren am Fahrzeug. Es kann dabei sein, dass die Reflektoren nacheinander getroffen werden, wodurch es zu einer „Stufe“ kommt.

Man kann sich vorstellen, dass der „erste“ Laserimpuls das vordere Kennzeichen trifft und der „zweite“ Laserimpuls die Windschutzscheibe. Der Abstand zwischen Kennzeichen und Windschutzscheibe entspricht dabei der Stufe.

Durch diese Stufe ändert sich die eigentliche Messstrecke um den Abstand zwischen vorderem Kennzeichen und Windschutzscheibe. 

Diese Abstandsdifferenz führt bei den Messzeiten des LEIVTEC XV3 zu Abweichungen des berechneten Geschwindigkeitswertes, die außerhalb der zugelassenen Toleranz liegen. Die veröffentlichten Ergebnisse zeigten dabei Abweichungen, die um das Dreifache über der zugelassenen Verkehrsfehlergrenze lagen und reproduziert werden konnten. 

Je besser die Reflektoren sind umso wahrscheinlicher ist der Stufensprung. So konnte mittels einer Warnweste auf dem Beifahrersitz (wie es im Transportwesen öfter vorkommt) eine Abweichung von 12,7% erreicht werden.

Als Konsequenz dieser Erkenntnisse:

  • bat der Hersteller die Behörden das Messgerät nicht mehr für amtliche Messungen einzusetzen und

  • informierte die PTB die zuständigen Stellen der Markt- und Verwendungsaufsichtsbehörden und begann mit eigenen Versuchen, deren Ergebnisse noch ausstehen.


Was bedeutet dies für aktuelle Bußgeldverfahren?

Im Moment ist noch unklar, wie die Bußgeldstellen bzw. die Gerichte auf die aktuelle neue Situation reagieren und diese bewerten. Aus unserer Sicht kann es allerdings nur eine Rechtsfolge geben: Aktuelle Bußgeldverfahren sind einzustellen bzw. die Beschuldigten sind freizusprechen.

Grundlage für die Überführung eines Geschwindigkeitsverstoßes können aus rechtsstaatlichen Gründen nur zuverlässige Beweismittel sein. Da selbst der Hersteller des LEIVTEC XV3 zum Ergebnis kommt, dass unzulässige Messwertabweichungen nicht auszuschließen sind, darf das mobile Geschwindigkeitsmessgerät nicht zu Beweiszwecken herangezogen werden.


Was bedeutet dies für abgeschlossene Bußgeldverfahren?

Die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Aus Gründen der Rechtsklarheit kann auch ein fehlerhaftes, aber rechtskräftiges Urteil grundsätzlich nicht mehr aufgehoben werden. Eine Wiederaufnahme kann diese Rechtskraft allerdings durchbrechen. 

§ 85 Abs. 2 OWiG sieht vor, dass eine Wiederaufnahme von Ordnungswidrigkeitenverfahren nur zulässig ist, wenn eine Geldbuße in Höhe von über 250,00 € verhängt wurde und seit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung noch keine drei Jahre verstrichen sind.

Der Gesetzgeber lässt die Wiederaufnahme von rechtskräftigen Entscheidungen – also von rechtskräftigen Bußgeldbescheiden der Bußgeldstelle oder von gerichtlichen Entscheidungen – gemäß § 85 Abs. 1 OwiG in Verbindung mit § 359 Nr. 5 StPO zu, „wenn neue Tatsachen […] beigebracht sind, die […] die Freisprechung des Angeklagten […] zu begründen geeignet sind.“ Unseres Erachtens können die neuen Erkenntnisse zur Unzuverlässigkeit des Blitzers grundsätzlich geeignet sein, rechtskräftige Verfahren neu aufzurollen. Wie die Gerichte hierzu entscheiden werden, bleibt abzuwarten.


Was bedeutet dies für künftige Ordnungswidrigkeitenverfahren?

Es ist davon auszugehen, dass dasmobile Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC VX3 entsprechend der Empfehlung des Herstellers aktuell nicht zum Einsatz kommt. Im Frühjahr 2021 sollte es daher keine neuen Blitzerfotos des LEIVTEC XV3 geben. 

Sollte der Blitzer jedoch durch den Hersteller modifiziert und in der Folge wieder eingesetzt werden, kann unserer Auffassung nach jedenfalls zunächst nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne eines standardisierten Messverfahrens „unter gleichen Bedingungen gleich Ergebnisse erzielt werden“. Auch bei künftigen Verfahren empfiehlt es sich daher, gegen die Bescheide vorzugehen und mit der Unterstützung eines Sachverständigen Fehler bei der konkreten Anwendung des LEIVTEC XV 3 aufzudecken. 

Sind auch andere Blitzer betroffen?

Aktuell liegen noch keine Erkenntnisse zu anderen Messgeräten vor. Jedoch gibt es eine Reihe von zugelassenen Messgeräten, die technisch vergleichbar funktionieren.  

Dazu zählen alle Lasermessgeräte, die nach einem Weg-Zeit-Verfahren durch Laserimpulse die Geschwindigkeit errechnen wie z.B.:

  • LEIVTEC XV2

  • Jenoptik LaserPatrol

  • Jenoptik TraffiPatrol / XR

  • Marksman LTI 20.20

  • Riegl FG21-P


Wer trägt die Kosten des Bußgeldverfahrens? Wer trägt die Kosten für einen Sachverständigen?

Grundsätzlich hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen, wenn dieser im gerichtlichen Verfahren freigesprochen oder wenn das Bußgeldverfahren eingestellt wird. Kommt es hingegen zu einer Verurteilung trägt der Betroffene die Kosten. 

In der Vergangenheit waren die Aufwendungen für die Einholung von Privatgutachten in der Regel nicht erstattungsfähig. Begründet wurde dies damit, dass die Interessen des Betroffenen im Bußgeldverfahren bereits durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, des Rechts zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz „in dubio pro reo“ ausreichend geschützt. In der neueren Rechtsprechung zeigt sich glücklicherweise eine Tendenz zu weitgehender Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten, wenn das Gutachten ursächlich für die Entscheidung geworden ist. 

Sofern Sie eine Verkehrsrechtsschutzversicherung haben, trägt diese die Kosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens.


Was muss ich tun, wenn ich geblitzt wurde?

Sobald Ihnen das Blitzerfoto durch die Bußgeldstelle zugestellt wurde, sollten Sie sich unverzüglich kundig beraten lassen. 

Ihnen wird im Rahmen des Bußgeldverfahrens die Möglichkeit eingeräumt, sich zur Sache einzulassen. Ohne Einsicht in die vollständige Verfahrensakte sollten Sie sich jedoch unter keinen Umständen äußern.

Der Sachverständige Alexandru Popescu und Rechtsanwalt Neels Lamschus arbeiten eng zusammen und setzen sich bestmöglich für Sie ein. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen kommt es immer wieder zu Fehlern bei der Anwendung, die nur mit Hilfe eines Sachverständigen aufgedeckt werden können.

Sprechen Sie uns an


Alexandru Popescu, Sachverständiger

www.central-gruppe.de


Neels Lamschus, Rechtsanwalt






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Foto(s): Alexandru Popescu

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