Das Risiko der Verschlechterung nach dem Einspruch gegen Strafbefehl – Ein Beispiel

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Kein Verschlechterungsverbot nach Einspruch

Dass es am Ende schlimmer kommen kann, wenn man Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt, sollte klar sein. Die Rechtsmittelbelehrung, die dem Strafbefehl beigefügt ist, weist darauf hin, wenn auch in etwas umständlichem Juristendeutsch:

„Ist der Einspruch rechtzeitig eingegangen, findet eine Hauptverhandlung statt. In dieser entscheidet das Gericht, nachdem es die Sach- und Rechtslage erneut geprüft hat. Dabei ist es an den Schuld- und Strafausspruch in dem Strafbefehl nicht gebunden.“

„Nicht gebunden“ bedeutet, dass der Richter anders urteilen kann als im Strafbefehl. Nicht nur besser, sondern auch schlechter. Juristen sagen: Das Verschlechterungsverbot („schlimmer kann es nicht werden“) gilt nach einem Einspruch gegen den Strafbefehl nicht. Manche Beschuldigte ignorieren das Risiko und legen trotzdem Einspruch ein. Oft in der Hoffnung, dass es schon irgendwie klappen wird. Das kann böse enden. Andere haben so große Sorge vor einer Verschlechterung, dass sie einen Einspruch nicht einmal erwägen – selbst wenn es dafür gute Gründe gäbe. Realistische Chancen auf eine niedrigere Strafe, einen Freispruch oder wenigstens eine Einstellung der Sache werden nicht genutzt wegen der Angst, nach einem Einspruch „ins Gefängnis zu müssen“. Die Wahrheit liegt dazwischen: Der Einspruch bringt ein Risiko mit sich, das man ernst nehmen muss. Man sollte sich deshalb aber nicht lähmen lassen. Und es gibt Wege, das Risiko zu minimieren.


Als Strafverteidiger erhält man manchmal Einblick in Verfahren, in denen man nicht selbst verteidigt oder in denen man erst später mandatiert wird (z. B. in der Berufung, wenn die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht gut ausgegangen ist). In diesen Verfahren kann man dann beobachten, wie sich der Schuldspruch nach einem Einspruch zuungunsten des (unverteidigten) Beschuldigten erheblich verschlechtern kann. Ein Strafbefehlsverfahren, in dem ich nicht als Verteidiger, sondern aufseiten der Geschädigten tätig war, möchte ich hier als Beispiel vorstellen für das Risiko der Verschlechterung nach einem Einspruch: 


Sachverhalt: Strafbefehl und Hauptverhandlung

Dem Beschuldigten wurde mit dem Strafbefehl eine Körperverletzung zum Nachteil seiner Noch-Ehefrau vorgeworfen. Ein typischer Fall von häuslicher Gewalt - typisch auch, dass es keine weiteren Zeugen gab. Wie oft in diesen Fällen eine klassische Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Die Verletzungsfolgen waren eher gering. Der Strafbefehl verurteilte zu 60 Tagessätzen zu je 15 Euro, also insgesamt zu einer Geldstrafe in Höhe von 900 Euro. Dabei war das Einkommen des Beschuldigten für die Berechnung der Tagessatzhöhe geschätzt worden. Nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl kam es zur Hauptverhandlung. Der Angeklagte, der keinen Verteidiger hatte, bestritt, dass er seine Ehefrau, wie mit dem Strafbefehl angeklagt, geschlagen habe. Eine Art Rangelei räumte er aber ein. Die Frau als Zeugin blieb bei der Einlassung, die sie bereits in der Strafanzeige, in der polizeilichen und schließlich ein drittes Mal in einer richterlichen Vernehmung abgegeben hatte. Danach hatte es nicht nur die Rangelei gegeben, sondern auch einen schmerzhaften Schlag in den Rücken.


Einige Beweisbegehren des Angeklagten (die Verlesung von Chatprotokollen und GPS-Daten) wies das Gericht als nicht relevant zurück. Ebenso seine Argumentation, die sich auf familienrechtliche Vorschriften bezog (die Einzelheiten spielen hier keine Rolle). Nach Schluss der kurzen Beweisaufnahme beantragte der Amtsanwalt in seinem Plädoyer 80 Tagessätze zu je 50 Euro. Die höhere Anzahl der Tagessätze (also die 80 statt der 60) begründete er mit dem fehlenden Geständnis, auch wies er auf vier frühere Verurteilungen des Angeklagten hin, die sich aus der Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs ergeben hatten. Die geänderte Tagessatzhöhe ergab sich daraus, dass der Angeklagte in der Verhandlung Angaben zu seinem tatsächlichen Einkommen gemacht hatte. Damit hatte sich die im Strafbefehl vorgenommene Schätzung, die ihm das Einkommen eines ALG-II-Empfängers unterstellt hatte, erledigt. Genauere Erläuterungen zur Berechnung der Tagessatzhöhe und zum Zeitpunkt finden Sie im kostenlosen Ratgeber zum Strafbefehl. 



War der Einspruch gegen den Strafbefehl ein Fehler?

Das Gericht folgte dem Antrag der Amtsanwaltschaft teilweise. Es blieb bei den 60 Tagessätzen (wie im Strafbefehl), erhöhte aber aufgrund des höheren Einkommens die Tagessatzhöhe von 15 auf 50 Euro. Die neue Gesamtgeldstrafe belief sich damit auf 3.000 Euro. Durch den Einspruch des Angeklagten hatte sich die Strafe unter dem Strich damit mehr als verdreifacht. Hinzu kommen dann noch höhere Verfahrenskosten und (in diesem Fall) Kosten der Nebenklage.

Was genau zwischen den beiden passiert ist und wer tatsächlich die Wahrheit gesagt hat, wissen wohl nur der Angeklagte und die Zeugin. Darum geht es hier auch nicht. Klar war aber, dass nach Aktenlage eine Verurteilung sehr viel wahrscheinlicher war als ein Freispruch. Diese hätte auch, wie vom Amtsanwalt beantragt, höher ausfallen können als im Strafbefehl. Denn ein Strafbefehl unterstellt eine Art Geständnis – wird der Strafbefehl akzeptiert, wird der Beschuldigte faktisch so behandelt, als habe er die Tat eingeräumt. Legt er hingegen Einspruch ein, dann bestreitet er den Vorwurf, sodass nach den Regeln der Strafzumessung die Strafe höher ausfallen kann. Das ist – unter anderem – der Grund, weshalb viele Richter nach einem Einspruch im Urteil nach einem Einspruch eine höhere Strafe aussprechen. Dabei bezieht sich „höhere Strafe“ nur auf die Anzahl der Tagessätze, nicht auf die Tagessatzhöhe. Denn letztere hat mit der Strafzumessung grundsätzlich nichts zu tun. Die Höhe der Tagessätze bemisst sich nach dem Einkommen des Beschuldigten, genauer gesagt nach seinen „wirtschaftlichen Verhältnissen“. Bezogen auf die Strafzumessung hat das Gericht im vorliegenden Fall den Angeklagten nicht zu einer höheren Strafe verurteilt – es ist bei den 60 Tagessätzen geblieben. 

Zwingend war aber, dass das Gericht die Tagessatzhöhe anpassen musste. Denn nachdem der Strafbefehl das Einkommen des Angeklagten erheblich unterschätzt hatte, blieb dem Gericht gar nichts anderes übrig, als die Höhe der Tagessätze neu zu berechnen. Unter dem Strich muss der Verurteilte allein deshalb 2.100 Euro mehr zahlen als im Strafbefehl.


Was hätte ein Anwalt geraten?

Ich hätte dem Ehemann nach Einspruch gegen den Strafbefehl und Einsicht in die Akte geraten, den Einspruch zurückzunehmen. Die Rücknahme des Einspruchs ist unproblematisch bis zum Beginn der Hauptverhandlung möglich (danach muss die Staatsanwaltschaft zustimmen). Da wegen der Vorstrafen und wegen der Art des Vorwurfs eine Einstellung der Sache (z. B. gegen Geldauflage) so gut wie ausgeschlossen war, konnte es nur um einen Freispruch gehen – „Hopp oder Top“ sozusagen. Der Freispruch, den der Ehemann mit seinem Einspruch erreichen wollte, war aber kein realistisches Verteidigungsziel: Nach den üblichen Kriterien, nach denen Aussagen von Zeugen bewertet werden (Aussagekonstanz, Belastungstendenzen usw.) gab es hier wenig Anlass für die Hoffnung, dass das Gericht der Einlassung des Angeklagten (und nicht der Zeugin) glauben würde. „Aussage-gegen-Aussage“ führt eben nicht dazu, dass „im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen werden muss! Möglich, dass auch der Angeklagte diesem verbreitetem Irrtum unterlag. Die zwar lange zurückliegenden, aber immerhin teils einschlägigen Voreintragungen im Bundeszentralregister dürften faktisch auch nicht gerade seine Glaubhaftigkeit untermauert haben – auch das wäre jedem erfahrenen Verteidiger nach Aktenlage klar gewesen.

Die Beweisbegehren des Angeklagten und seine Argumente aus dem Familienrecht waren tatsächlich nicht relevant für den Vorwurf – das hätte ihm jeder Fachanwalt für Strafrecht erklären können. Insgesamt gab es nach Aktenlage also wenig, was die Hoffnung auf eine Verbesserung – geschweige denn einen Freispruch – hätte begründen können.

Auf der anderen Seite lag das Risiko der Verschlechterung auf der Hand. Dass der Richter hier nicht die Tagessatzanzahl erhöht hat, hatte womöglich damit zu tun, dass sich die Strafe wegen der Tagessatzhöhe sowieso schon verdreifacht hatte. Unwahrscheinlich wäre das aber nicht gewesen, das zeigt schon der Antrag der Amtsanwaltschaft. Und schließlich war klar, dass das Gericht das höhere Einkommen des Angeklagten berücksichtigen musste, wenn er das in der Hauptverhandlung offenlegt.

Schon nach Aktenlage war hier wenig zu gewinnen, dafür aber viel zu verlieren. Die Rücknahme des Einspruchs vor der Hauptverhandlung wäre deshalb meine klare Empfehlung gewesen. Die erhebliche Verschlechterung hätte man vermeiden können.

 

Fazit – Auf den Einspruch verzichten?

Hätte der Beschuldigte auf den Einspruch verzichten und den Strafbefehl akzeptieren sollen? Nein. Richtig wäre gewesen, einen Fachanwalt zu beauftragen, der Einspruch einlegt, die Akteneinsicht beantragt und dann die Chancen und Risiken bewertet. Dann hätte der Beschuldigte eine informierte Entscheidung treffen können, ob er die Sache weiter verfolgen will oder nicht. Wenn es nach Aktenlage Ansatzpunkte gegeben hätte, die Aussage der Zeugin anzuzweifeln, hätte sich eine Abwägung der Chancen und Risiken vielleicht anders dargestellt. Günstiger wäre es in jedem Fall gewesen.


Mehr Informationen zum Strafbefehl und wie man die Risiken des Einspruchs vermeiden kann, finden Sie im kostenlosen Ratgeber.

Foto(s): RA Albrecht Popken Berlin

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