Strafbefehl ohne Zeugen?

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Ein Strafbefehl ohne Zeugen – geht das? Mandanten äußern mir gegenüber häufig ihr Unverständnis, weil sie überzeugt sind, dass es für die Straftat im Strafbefehl gar keine Zeugen gibt — ein Freispruch nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl also eigentlich eine sichere Sache sei. Doch ganz so einfach ist es nicht. Dass ein Strafbefehl ohne Beweismittel beantragt wird, ist die Ausnahme. Und tatsächlich gibt es in aller Regel mindestens einen Zeugen — nämlich den Geschädigten.

 

Strafverfahren ist kein Parteiverfahren

Dass der Geschädigte im Strafverfahren selbst Zeuge sein kann, hat damit zu tun, dass das Strafverfahren keine Parteien kennt. Das ist im Zivilverfahren anders. Dort klagt eine Partei gegen eine andere Partei. Etwa ein Mieter gegen den Vermieter. Beide Parteien stehen sich dann im Prozess gleichberechtigt gegenüber. Dabei ist es grundsätzlich so, dass Kläger und Beklagter im Zivilverfahren nicht gleichzeitig Zeuge sein können. Es braucht also neben den Parteien andere Zeugen oder weitere Beweismittel, die die Klageforderung beweisen können.

Im Strafverfahren ist das anders. Hier gibt es keine Parteien. Eine Straftat wird angeklagt von der Staatsanwaltschaft. Der Beschuldigte der Straftat ist Angeklagter, Kläger ist grundsätzlich die Staatsanwaltschaft — und nicht der Geschädigte. Dieser ist im Strafverfahren grundsätzlich „nur“ Zeuge. 


Ein Beispiel

A verletzt den B fahrlässig. Im Zivilverfahren klagt B auf Schadensersatz und auf Schmerzensgeld. In diesem Verfahren stehen sich A und B als Kläger und Beklagter gegenüber. B muss Beweise dafür vorlegen, dass A die Verletzung begangen hat und dass ihm ein Schaden entstanden ist. Er selbst kann dabei nicht als Zeuge auftreten. Beide stehen also Kläger und Beklagter gleichberechtigt vor dem Richter. A und B sind Parteien des Prozesses.

Kläger und Beklagter als Parteien vor dem Richter

Im Strafverfahren hingegen klagt nicht B den A an, sondern der Staatsanwalt klagt A an (häufig durch einen Strafbefehl, der die Anklage ersetzt). Die Staatsanwaltschaft ist also (An-) Klägerin, A als Beschuldigter der Straftat ist nicht Beklagter, sondern Angeklagter. Als anklagende Behörde muss die Staatsanwaltschaft dem Gericht die Beweise vorzulegen, die zu einer Verurteilung des A führen. Eines der Beweismittel ist die Zeugenaussage des B. Er tritt hier also nicht wie im Zivilverfahren als Kläger auf, sondern als Zeuge (manchmal kann er darüber hinaus als Nebenkläger auftreten, aber das ändert nichts daran, dass er weiterhin Zeuge ist). Der Geschädigte B wird also zum Zeugen für die Straftat, die er erlitten hat.  Auch wenn nur A und B am Geschehen beteiligt waren und es keine weiteren Zeugen gibt, ist das kein Verfahren ohne Beweismittel:


Rolle des Zeugen im Strafverfahren

Strafbefehl wirklich ohne Beweise?

In aller Regel handelt es sich bei den „Strafbefehlen ohne Beweise“ um Konstellationen, in denen es allein den Geschädigten als Zeugen gibt - also wie oben im Beispiel allein den B. Nur, weil es keinen „neutralen“ Zeugen gibt, heißt das aber nicht, dass es keine Beweismittel gibt. Man spricht hier, weil es keine weiteren Beweismittel gibt, von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Häufiges Missverständnis: In diesen Fällen muss nicht „in-dubio-pro-reo“ freigesprochen werden. Das Gericht kann sehr wohl allein aufgrund der Aussage eines einzigen Belastungszeugen verurteilen! Wenn der Richter also der Aussage des Zeugen B mehr Glauben schenkt als der bestreitenden Einlassung des A, kann es zu einer Verurteilung kommen!


Fazit

Strafbefehle, die ohne Beweise eine Straftat anklagen, gibt es in der Praxis kaum. Wenn es keine Urkunden oder anderen Beweismittel gibt, dann kommt es auf den Zeugenbeweis an. Und Zeuge kann auch der Geschädigte selbst sein. 


Mehr Informationen zum Strafbefehl

Mehr Informationen zum Strafbefehl, vor allem auch zur Hauptverhandlung nach einem Einspruch, finden Sie in meinem Ratgeber zum Strafbefehl, den Sie kostenlos anfordern können. 

Foto(s): RA Albrecht Popken Berlin

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