Braucht man einen Anwalt für einen Einspruch gegen den Strafbefehl?

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Wenn Sie einen Autohändler fragen, ob Sie ein Auto brauchen, sollten Sie keine neutrale Antwort erwarten. Das Gleiche gilt, wenn Sie einen Anwalt fragen, ob ein Anwalt gebraucht wird. Lesen Sie meinen Beitrag deshalb mit Skepsis. Trotzdem denke ich, dass ich Ihnen einige Hinweise geben kann, in welchen Fällen Sie bei einem Strafbefehl unbedingt über die Beauftragung eines Anwalts nachdenken sollten.


Die Rechtslage: Kein „Anwaltszwang“ bei einem Strafbefehl

Die Rechtslage ist klar. Es gibt im Strafbefehlsverfahren grundsätzlich keinen „Anwaltszwang“, Sie können sich deshalb selbst verteidigen und auch selbst Einspruch einlegen. Im Strafrecht gibt es (eine Art) Anwaltszwang nur in den Fällen der „notwendigen Verteidigung“ — besser bekannt als Pflichtverteidigung (vgl. § 140 StPO). Strafverfahren, die mit einem Strafbefehl erledigt werden, zählen nur in Ausnahmefällen dazu. Das bedeutet, dass Ihnen in aller Regel kein notwendiger Verteidiger beigeordnet wird — und spiegelbildlich dazu Strafbefehlsverfahren in aller Regel auch ohne Verteidiger durchgeführt werden können. Sie „dürfen“ sich also selbst verteidigen. Eine gesetzliche Ausnahme findet sich in § 407 Abs. 2 S. 2 StPO: Wenn Sie mit dem Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden sollen, müssen Sie einen Verteidiger haben. Gem. § 408b StPO wird Ihnen der Richter einen Pflichtverteidiger beiordnen, wenn mit dem Strafbefehl eine Freiheitsstrafe beantragt wurde. Aber das ist, wie erwähnt, eine Ausnahme. 

Lange Rede: Bei einem „normalen“ Strafbefehl können Sie selbst Einspruch einlegen und sie können sich selbst in der Hauptverhandlung verteidigen. Ob das immer sinnvoll ist, ist natürlich eine andere Frage.


Wann brauchen Sie trotzdem einen Anwalt?

Nach dem Gesetz „brauchen“ Sie also keinen Anwalt für den Einspruch. Aber nach dem Gesetz brauchen Sie auch kein Auto – trotzdem würden viele die Frage, ob sie ihr Auto brauchen, mit einem klaren „Ja“ beantworten. Es kommt eben immer auf die Situation an und darauf, was man erreichen will. Im Strafbefehlsverfahren gibt es Konstellationen, in denen es absolut sinnvoll ist, einen Anwalt einzuschalten. In diesen Fällen brauchen Sie einen Anwalt, wenn Sie Ihr Ziel erreichen wollen:


Verteidigungsziel Freispruch

Die meisten Beschuldigten unterschätzen, wie schwierig es ist, nach einem Strafbefehl einen Freispruch zu erreichen. Es ist ein Irrglaube, man könne als Beschuldigter Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen, in die Hauptverhandlung gehen und dem Richter einfach erklären, „wie es wirklich war“. Wenn ein Strafbefehl beantragt und erlassen wird, spricht die Aktenlage gegen Sie! Als Angeklagter im Strafverfahren haben Sie das Problem, dass man Ihrer Aussage mit allergrößter Skepsis begegnen wird. „Zeugen sagen die Wahrheit, Angeklagte lügen“ –so könnte man überspitzt formuliert die Weltsicht vieler Strafrichter zusammenfassen. Viele Beschuldigte schätzen auch die Beweislage falsch ein oder haben eine falsche Vorstellung davon, was „Aussage-gegen-Aussage“ bedeutet (nämlich nicht automatisch der Freispruch). Wenn Sie überzeugt sind, dass Sie mit dem Strafbefehl zu Unrecht beschuldigt werden und wenn Sie einen Freispruch erreichen wollen, dann brauchen Sie einen Anwalt.

 

Verteidigungsziel: Einstellung ohne Hauptverhandlung

Nicht immer ist ein Freispruch realistisch. Häufig wurde eine Straftat tatsächlich begangen, häufig liegen die Dinge irgendwo dazwischen. Gerade in diesen Fällen bietet es sich an, Einspruch einzulegen mit dem Ziel, eine Einstellung gegen Geldauflage gem. § 153a StPO zu erreichen. Der Vorteil: Einstellungen werden nicht im Bundeszentralregister eingetragen und können deshalb auch nicht im Führungszeugnis auftauchen. Im Idealfall möchte man diese Einstellung in einem schriftlichen Verfahren erreichen (es sei denn, Sie sind abenteuerlustig und möchten deshalb als Angeklagter vor Gericht erscheinen). Um eine Einstellung ohne Hauptverhandlung zu erreichen, muss der Einspruch sorgfältig begründet und die Einstellung angeregt werden – und zwar am besten durch einen Anwalt. Wenn Ihr Ziel also die Einstellung des Verfahrens entweder wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) oder gegen Auflage (§ 153a StPO) ist, dann brauchen Sie einen Anwalt.


Verteidigungsziel: Vermeidung von Nebenfolgen

Häufig ist es nicht die Geldstrafe, die belastet, sondern das Fahrverbot oder –noch schlimmer – die Entziehung der Fahrerlaubnis. Solche Nebenfolgen „aus der Welt zu bekommen“ ist schwierig, manchmal sogar aussichtslos. Die Einschätzung, wann es sich lohnt und vor allem die Entscheidung, wie man das Ziel am besten erreicht, sollten Sie einem Rechtsanwalt überlassen, der Erfahrung im Verkehrsstrafrecht hat. Wenn es also um ein Fahrverbot oder um einen Fahrerlaubnisentzug geht, brauchen Sie einen Anwalt.


Risiko Einspruch – Risikominimierung durch Anwalt

Dass der Einspruch mit dem Risiko der Verschlechterung verbunden ist, sollte bekannt sein. Sie können in der Hauptverhandlung nach dem Einspruch auch zu einer höheren Strafe verurteilt werden. Die Gefahr sollten Sie nicht unterschätzen. In manchen Fällen ist das Risiko so hoch, dass man besser auf den Einspruch verzichten sollte. Dann ist es am sinnvollsten, den Einspruch zurückzunehmen, um Schlimmeres zu vermeiden. In anderen Fällen kann man das Risiko erheblich minimieren, wenn man richtig vorgeht. Das Problem: Ohne Anwalt ist die Risikoeinschätzung schwierig bis aussichtslos. Selbst wenn Sie als Beschuldigter Einsicht in die Ermittlungsakte nehmen, wird Ihnen die Erfahrung fehlen, Risiken und Chancen des Einspruchs vernünftig einzuschätzen. Ich empfehle Mandanten deshalb, mich in einem ersten Schritt nur mit dem Einspruch, der Akteneinsicht und der Prüfung der Erfolgsaussichten zu beauftragen. Anhand der Ermittlungsakte kann ich Ihnen eine fundierte Einschätzung geben, welche Chancen und Risiken in der Sache bestehen. So ein beschränkter Beratungsauftrag ist verglichen mit einer umfassenden Verteidigung günstiger. Schreiben Sie mir eine Nachricht, wenn Sie mehr dazu wissen möchten.

 

Fazit

Im Strafbefehlsverfahren „müssen“ Sie keinen Anwalt beauftragen, Sie dürfen sich selbst verteidigen. Und natürlich braucht man für den Zweizeiler, mit dem man beim Amtsgericht Einspruch einlegt, auch keinen Anwalt (ein Muster sollte genügen, alle Muster im Strafbefehlsverfahren finden Sie in meinem Ratgeber zum Strafbefehl, den Sie kostenlos anfordern können). Wenn es aber darum geht, die Chancen und Risiken in Ihrem Verfahren zu beurteilen oder darum, eine Strategie zu entwickeln, mit der Sie Ihre Verteidigungsziele erreichen, ohne dass sich die Sache am Ende verschlimmert, dann sollten Sie überlegen, einen Fachanwalt für Strafrecht zu beauftragen.

 

Foto(s): Stormseeker via Unsplash

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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