Der „Deal“ im Strafrecht - eine gute Strafverteidigung?

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Eine Verständigung (so genannter „Deal") zwischen den Verfahrensbeteiligten in einem Strafprozess ist seit Jahren gang und gäbe. Inhalt solch einer Verständigung ist zumeist ein (Teil-)Geständnis des Angeklagten, der im Gegenzug von einer Strafmilderung und/oder Strafobergrenze profitiert. Während dem Angeklagten damit bereits im Prozess eine gewisse Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens gegeben wird, profitieren Gerichte und Staatsanwaltschaft von einer Verfahrensbeschleunigung.

Die Entwicklung der Verständigung

Bevor die Verständigung im Strafprozess mit dem § 257c StPO seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hatte, duldeten die Gerichte das Vorgehen bereits in engen Grenzen. Der Bundesgerichtshof (BGH) legte 1997 gewisse Grundsätze fest, unter denen eine Verständigung zulässig war (BGH, 28.08.1997 - 4 StR 240/97). So darf vor allem nicht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren verletzt werden. Darüber hinaus muss dem Öffentlichkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden. Dies soll in erster Linie die Verständigung aus den Hinterzimmern der Richter in die Hauptverhandlung bringen. Damit sind Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung jedoch nicht grundsätzlich untersagt. So dürfen weiterhin vor allem sogenannte „Vorgespräche" stattfinden. Das Ergebnis solcher Absprachen muss jedoch in der Hauptverhandlung bekanntgegeben werden und daher in diese einbezogen werden.

Auch darf das Gericht keine konkrete Strafe zusagen, sondern lediglich eine Strafobergrenze benennen, die nur dann überschritten werden darf, wenn neue schwerwiegende Umstände dies zwingend verlangen. Das Gericht muss bei der Urteilsberatung weiter frei über die Höhe der Strafe entscheiden und ein mögliches Geständnis, auch wenn es im Rahmen einer Verständigung erfolgte, strafmildernd berücksichtigen. Zusätzlich darf ein Rechtsmittelverzicht nicht Inhalt einer Absprache sein.

Der am 4.8.2009 in Kraft getretene § 257c StPO ist ein direkter gesetzlicher Niederschlag dieser richterlichen Grundsätze und sorgt für (vermeintliche) Rechtsklarheit. Damit haben die vom BGH aufgestellten Richtlinien für die Verständigung auch heute noch allgemeine Gültigkeit.

Die allgemeine Problematik

In vielen Fällen ist eine Verständigung für den Angeklagten der sicherste und schnellste Weg, die Belastung eines Strafprozesses so kurz wie möglich zu halten. Trotz der häufigen Vorteile für den Angeklagten gibt es erhebliche Bedenken an diesem Prozessinstrument in Praxis und Wissenschaft.

Mehrere Prozessmaxime des deutschen Strafprozesses werden durch die Verständigung berührt und teils auch gefährdet. So besteht die Gefahr, dass der Staat - entgegen dem Legalitätsprinzip im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO - zu freizügig über den Strafanspruch der Gesellschaft disponiert. Ungewünschte Verfahren könnten durch Strafabsprachen mit geringen Strafen schnell zu Ende gebracht werden, was (möglicherweise) dem Zweck eines Strafverfahrens zuwider läuft.

Ferner hat es auch die Regelung des § 257c StPO nicht erreicht, dass die Absprache aus den Richterzimmern in den Gerichtssaal transportiert wird. Verhandlungen über die Verständigung erfolgen zum großen Teil weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Kontrollfunktion, die auf Gericht und Staatsanwaltschaft alleine durch die (potentielle) Anwesenheit der Öffentlichkeit ausgeübt wird, läuft so ins Leere. Ebenfalls lässt sich nicht die Gefahr von der Hand weisen, dass ganze Verfahrensbeteiligte übergangen werden könnten. Möglicherweise erfolgen bereits Vorgespräche zwischen Anklagebehörde und Gericht ohne Mitwirkung des Angeklagten oder seines Strafverteidigers. Diesen Bedenken begegnet auch die Regelung nicht hinreichend, dass das Ergebnis der Absprache später in der Hauptverhandlung zu verkünden und zu protokollieren ist.


Zusätzlich ist auch der „fair trial"- Grundsatz (vgl. Art. 6 EMRK) bedroht, der dem Angeklagten einen Anspruch auf ein faires Verfahren gewährt. Denn: Es besteht nicht nur die Gefahr, dass der Angeklagte mit geringer Strafaussicht "geködert" oder mit hoher Strafaussicht eingeschüchtert werden kann, sondern auch solche, dass die Unbefangenheit des Gerichts durch eine gescheiterte Absprache gefährdet wird. Die Verweigerung des Angeklagten, sich auf eine Verständigung einzulassen, zwingt das Gericht zu einer häufig langen und schwierigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Durch diese Mehrbelastung des Gerichts kann möglicherweise eine negative Voreingenommenheit gegenüber den Angeklagten entstehen, wenn er sich nicht auf eine Verständigung einlässt. Diese Kehrseite des „Deals" wird allerdings häufig außer Acht gelassen.

„nemo-tenetur"-Grundsatz

Ein Hauptproblem liegt jedoch in einer möglichen Verletzung des „nemo-tenetur"-Grundsatzes. Anders als noch im Inquisitionsprozess, hat der Beschuldigte im reformierten Strafprozess das Recht zu schweigen. Damit sollte vor allem der mittelalterlichen Tradition der Geständniserzwingung durch Folter, beziehungsweise später durch Lügenstrafen, entgegengewirkt werden. Eine gewisse Durchbrechung des Grundsatzes besteht zwar auch heute noch durch das strafmildernde Bewerten eines Geständnisses, dies ist aber weitläufig von Rechtsprechung und Literatur akzeptiert.

Mit der Verständigung im Strafverfahren ergeben sich in diesem Punkt aber neue Schwierigkeiten. Einerseits entsteht die bereits angesprochene negative Einstellung des Gerichts gegenüber einem Angeklagten, der nicht zu einer Verständigung bereit ist, andererseits aber auch durch falsche Geständnisse.

So zeigte kürzlich eine Studie von Prof. Karsten Altenhain, im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, (vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-071), dass in der Praxis regelmäßig die Absprache rechtswidrig durchgeführt wird. Für die Studie wurden 330 Strafrichter, Staatsanwälte und Strafverteidiger befragt. 28 Prozent der Strafrichter gaben zu, dass sie Geständnisse bei einer Verständigung lediglich teilweise überprüfen. Noch erschreckender ist, dass mehr als 50 Prozent der Strafverteidiger davon ausgehen, dass ihre Mandanten „nur" falsche Geständnisse abgeben, um einer hohen Strafe zu entgehen.

Dabei stellte der BGH klar, dass die Willensentschließung des Angeklagten jederzeit gewahrt bleiben muss. Er darf weder durch zu hohe Strafandrohung noch zu geringem Strafversprechen unter Druck gesetzt werden (BGH, 14.08.2007 - 3 StR 266/07). Dabei darf auch die sogenannte Sanktionsschere, also das Verhältnis der Strafe bei einer Verständigung und bei einer möglichen Strafe ohne Verständigung, zu weit auseinander driften. (BGH, 03.03.2005 - GSSt 1/04). Zusätzlich entbindet eine Absprache das Gericht nicht von seiner Wahrheitserforschungspflicht (BGH, 31.01.2012 - 3 StR 285/11).

Somit darf die Verständigung zwar prozessbeschleunigend wirken, jedoch muss das Gericht weiterhin die Wahrheit aufklären. Dabei ist das schnelle Akzeptieren eines Geständnisses vor allem in langwierigen und komplizierten Wirtschaftsstrafsachen verlockend, wenn ein Prozess, der Monate oder Jahre dauern könnten, an einem Nachmittag erledigt werden kann.

Weitere Probleme

Zum Teil wird der § 257c StPO auch völlig umgangen. Kurzer Hand wird die Verständigung als „informelles Rechtsgespräch" und das Ergebnis als „Vorschlag" des Gerichts bezeichnet. Ohne Protokollierung und mit wirksamen Rechtsmittelverzicht nicken die Verfahrensbeteiligten solch eine Absprache abseits des Gesetzes ab. Häufig nach dem Motto: Lieber das kleinere Übel schlucken, als das Risiko einer hohen Strafe zu begegnen. Durch dieses Vorgehen wird nicht nur die gesetzliche Intention der Verständigung umgangen, sondern das Vorgehen auch der Prüfung durch Rechtsmittelinstanzen entzogen.

Obwohl dieses Vorgehen in den wenigsten Fällen aus böser Absicht geschieht, sondern häufig zu einem vermeintlich gerechterem Ergebnis führen soll, ist dieses Vorgehen „contra legem" und nicht in jedem Fall zu begrüßen.

Auch aus Opfersicht kann dieses Vorgehen unbefriedigend sein. Natürlich mag es Fälle geben, in denen Geschädigten und Zeugen eine Aussage und gegebenenfalls eine Sekundärtraumatisierung  erspart bleiben. In vielen Fällen wünschen sich die Opfer aber eine Aufklärung der Tat. Darüber hinaus kann der Strafprozess so seiner Sühnefunktion kaum gerecht werden. Und bei einem falschen Geständnis wird nicht nur ein Unschuldiger bestraft, sondern ein Täter bleibt gegebenenfalls auch unbestraft.

Aus diesem Grund ist im Ergebnis auch zukünftig kritisch mit Verständigungen im Strafprozess umzugehen. Vor allem dürfen die Gerichte die Verständigung nicht ausschließlich als Instrument der schnellen Verfahrensbeendigung auf Kosten der Wahrheitsfindung einsetzen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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