Der Verteidiger hat in Bußgeldverfahren ein Recht auf Einsicht in die „Lebensakte“ des Messgerätes

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Dem Verteidiger in Bußgeldverfahren ist die sog. „Lebensakte“, bzw. die Reparaturbelege i.S.d. § 32 MessEG im Hinblick auf das verwendete Messgerät zur Verfügung zu stellen. Dies hat das OLG Jena entschieden und gut und nachvollziehbar begründet.

Ohne die Einsicht könne ein Beweis(ermittlungs)antrag nicht konkreter gefasst werden; das sei für den Betroffenen – würde man dem Amtsgericht folgen – ein „Teufelskreis“. Das OLG Jena erkennt damit als eines der ersten Oberlandesgerichte die Problematik des bereits vom Kollegen Burhoff herausgearbeiteten „Teufelskreises“ (vgl. Burhoff in StRR 2013, 231), wenn Behörden oder Gerichte einerseits die Herausgabe der Unterlagen verweigern aber andererseits konkreten Vortrag fordern, wieso eine Fehlmessung vorliegen solle, damit dann genau diese Unterlagen herausgegeben werden. So hatte nämlich das OLG Frankfurt in krasser Verkennung der Sach- und Rechtslage zuvor entschieden. Das OLG Jena hat dies ausdrücklich gesehen und die von Burhoff verwendete Bezeichnung „Teufelskreis“ ausdrücklich als zutreffend bewertet.

Das OLG Jena hat festgestellt, dass die Ablehnung des Antrags den Betroffenen durch das Amtsgericht Suhl ihn in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt hat.

Das OLG Jena führt explizit aus, dass dann eine Ausnahme vom Grundsatz der Erforderlichkeit konkreter Anhaltspunkte für die gerichtliche Pflicht zur weiteren Aufklärung dann vorliegt, wenn die Verwaltungsbehörde l keinen Zweifel daran lässt, dass sie weder jetzt noch später bereit sei bzw. bereit sein werde, Einblick in die das Messgerät betreffenden Unterlagen zu gewähren. Damit nämlich sei dem Betroffenen von vornherein die Möglichkeit genommen, die an sich erforderlichen konkreten Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der Eichung des Messgerätes entgegenstehenden Reparatur oder eines sonstigen Eingriffs in das Messgerät aufzufinden (vgl. Burhoff, Anm. zu OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.4.2013 – 2 Ss-OWi 137/13, StRR 6/2013, 231 mit der treffenden Bezeichnung „Teufelskreis“).

Nach Auffassung des OLG Jena war es dem Betroffenen auch nicht zum Vorwurf zu machen, dass er bzw. seine Verteidigerin gegen die ablehnenden Entscheidungen der Verwaltungsbehörde nicht Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG durch das gem. § 68 Abs. 1 OWiG zuständige Amtsgericht gestellt hat, da die die Erfolgsaussicht eines solchen Antrags auf gerichtliche Entscheidung gleichwohl so ungewiss war, dass es sich verbietet, dem Betroffenen allein unter Hinweis auf das Nichtgebrauchmachen von der Möglichkeit eines solchen – zudem mit einem Kostenrisiko verbunden – Antrags Nachteil im vorliegenden Bußgeldverfahren zuzufügen.

Indem das Amtsgericht den in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Beiziehung der Lebensakte unter Hinweis auf einen fehlenden Grund zu Zweifeln am Fortbestand einer gültigen Eichung infolge eichrelevanter Reparaturen zurückwies, verletzte es seine Aufklärungspflicht (§§ 244 Abs. 2 StPO, 71, Abs. 1 OWiG) und das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

Das OLG Jena stellt auch klar, dass diese Rechtsauffassung auch nicht zu einer dem Charakter des Bußgeldverfahrens als Masseverfahren zuwiderlaufenden Behinderung führt.

(OLG Jena, Beschluss vom 01.03.2016, Az. 2 OLG 101 Ss Rs 131/15).



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