Die Beweislast im Kündigungsschutzprozess

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Recht haben und Recht bekommen, so die Redewendung, sind zwei verschiedene Dinge. Der Grund dafür liegt häufig darin, dass man es auch beweisen muss, dass man Recht hat.

Nachfolgend möchte ich die Frage der Beweislast einmal exemplarisch am Kündigungsschutzprozess darstellen, dem Hauptanwendungsfall der Klagen vor dem Arbeitsgericht.

Im Arbeitsrecht heißt die Frage hier immer: Wer trägt die Beweislast, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

1. Zugang der Kündigung

a) Die Partei, die behauptet, das Arbeitsverhältnis rechtswirksam gekündigt zu haben, muss nachweisen, dass die Kündigung dem Vertragspartner form- und fristgerecht zugegangen ist. Bei einer Arbeitgeberkündigung muss also der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer die Kündigung erhalten hat.

b) Details lasse ich an dieser Stelle aus Platzgründen weg. Im Einzelfall kann es hier durchaus zu einer Reihe von Problemen kommen, die sich dann – wegen der Beweislastverteilung – regelmäßig zulasten des Kündigenden auswirken.

2. Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes

a) Der Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses und häufig auch die Höhe der Abfindung hängen entscheidend davon ab, ob für das betreffende Arbeitsverhältnis des Kündigungsschutzgesetz gilt. Dies setzt, vereinfacht ausgedrückt, voraus, dass in dem betreffenden Betrieb in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer (ausschließlich der Auszubildenden) beschäftigt werden (vergleiche hierzu § 23 KSchG).

b) Vom Grundsatz her muss der Arbeitnehmer beweisen, dass sein Arbeitsverhältnis dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt. In der Praxis kommt es hier jedoch zu einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast:

Zunächst muss der Arbeitnehmer (schlüssig) behaupten, dass in dem Betrieb in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Will der Arbeitgeber das bestreiten, dann muss er substantiiert Angaben zum Umfang und zur Struktur der in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer machen, also zum Beispiel darlegen, dass der Mitarbeiter XY kein Arbeitnehmer, sondern freier Mitarbeiter ist oder dergleichen. Zu diesen Ausführungen des Arbeitgebers muss sich dann der Arbeitnehmer wiederum substantiiert äußern, indem er zum Beispiel vorträgt, dass der Mitarbeiter XY tatsächlich eben doch weisungsgebunden und in den Betrieb eingegliedert ist, bestimmte Arbeitszeiten zu befolgen hat usw. Bleiben Behauptungen streitig, wird das Gericht Beweis erheben und kann zu diesem Zweck zum Beispiel den Mitarbeiter XY als Zeugen laden.

3. Personenbedingte Kündigung (Krankheit)

a) Auch nach dem Kündigungsschutzgesetz kann eine Kündigung berechtigt sein, wenn es hierfür Gründe gibt, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Krankheit kann ein solcher personenbedingter Kündigungsgrund sein.

b) Eine krankheitsbedingte Kündigung (seitens des Arbeitgebers) setzt voraus, dass eine negative Gesundheitsprognose besteht. Dazu muss der Arbeitgeber krankheitsbedingte Fehlzeiten darlegen, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitnehmer auf nicht absehbare Zeit krank ist (langandauernde Krankheit) oder dass auch künftig mit häufigeren Kurzerkrankungen in erheblichem Umfang gerechnet werden muss.

c) Die Beweislastverteilung sieht hierbei wie folgt aus:

Zunächst muss der Arbeitgeber Art und Dauer der bisherigen Erkrankungen angeben. Legen diese eine negative Gesundheitsprognose nahe, ist es sodann Sache des Arbeitnehmers darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt – anders als vom Arbeitgeber angenommen – eben doch mit einer alsbaldigen Genesung bzw. zumindest künftig mit weniger häufigen Erkrankungen zu rechnen ist. Dies kann der Arbeitnehmer dadurch tun, dass er seine Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, sodass diese konkret darlegen können, warum keine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft gegeben ist.

Gelingt dem Arbeitnehmer das, dann ist die Indizwirkung, die von den bisherigen Fehlzeiten ausgeht, erschüttert. Es wäre dann wiederum Sache des Arbeitgebers, den Beweis dafür zu erbringen, dass eben doch eine negative Gesundheitsprognose gegeben ist, zum Beispiel durch ein entsprechendes (ärztliches) Sachverständigengutachten.

4. Verhaltensbedingte Kündigung (Pflichtverletzung)

a) Eine Kündigung kann auch rechtmäßig sein, wenn sie durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt ist.

b) Für das Vorliegen einer schuldhaften Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmer und ihre betrieblichen Auswirkungen ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.

c) Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt zudem in der Regel eine ordnungsgemäße Abmahnung voraus. Auch dafür, dass er den Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt hat, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.

d) Viele verhaltensbedingte Kündigungen scheitern in der Praxis daran, dass es dem Arbeitgeber nicht gelingt, die schuldhafte Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer und die vorangegangene ordnungsgemäße Abmahnung im Prozess zu beweisen.

5. Betriebsbedingte Kündigung (Wegfall des Arbeitsplatzes)

a) Die weitaus häufigsten Arbeitgeberkündigungen werden auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegenstehen (sogenannte betriebsbedingte Kündigung).

b) Der Umstand, dass solche Prozesse häufig in einem Vergleich enden, liegt auch daran, dass die Regeln zur Darlegungs- und Beweislast im Falle einer betriebsbedingten Kündigung durchaus komplex sind und dass die entsprechenden Beweise häufig nicht einfach zu erbringen sind.

Aber sehen wir uns das einmal der Reihe nach an:

a) Eine betriebsbedingte Kündigung setzt zunächst einmal eine entsprechende Unternehmerentscheidung voraus. Dazu muss der Arbeitgeber darlegen, wer wann eine solche Entscheidung getroffen hat. Wird das dann vom Arbeitnehmer bestritten, muss es vom Arbeitgeber konkret bewiesen werden.

Bei der betriebsbedingten Kündigung muss man unterscheiden: Wird die Kündigung auf innerbetriebliche oder auf außerbetriebliche Umstände gestützt? – Details aus Platzgründen gestrichen.

c) Des Weiteren obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen besteht. Auch insoweit gelten wieder eine abgestufte Darlegung und Beweislast:

Bestreitet der Arbeitnehmer den Vortrag des Arbeitgebers substantiiert, dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass eine vom Arbeitnehmer konkret vorgetragene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit tatsächlich nicht besteht. – Details aus Platzgründen gestrichen.

d) Letzter Punkt: Soziale Auswahl. Von der Beweislast her sieht es wie folgt aus: Der Arbeitnehmer muss rügen, dass der Arbeitgeber entweder gar keine soziale Auswahl vorgenommen hat oder dass die vom Arbeitgeber vorgenommene soziale Auswahl fehlerhaft ist. Sodann hat der Arbeitgeber die Gründe für die getroffene Auswahl mitzuteilen. Dazu gehört, dass er darlegt, mit welchen anderen Arbeitnehmern der gekündigte Arbeitnehmer vergleichbar ist (Vergleichsgruppe), welche anderen Arbeitnehmer also in die Sozialauswahl einbezogen wurden. Der Arbeitgeber muss außerdem darlegen, welche sozialen Gesichtspunkte (Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) er zugrunde gelegt und wie er sie bewertet hat.

An der fehlerhaften sozialen Auswahl scheitern die meisten betriebsbedingten Arbeitgeberkündigungen.

6. Außerordentliche Kündigung (fristlose Kündigung)

a) Eine außerordentliche, fristlose Kündigung setzt gemäß § 626 BGB voraus, dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegt. Dies muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen.

b) Die Kündigung kann außerdem nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 626 Abs. 2 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Kündigung innerhalb dieser Zwei-Wochen-Frist liegt, trägt der Arbeitgeber.

7. Fazit und noch etwas wichtiges zum Schluss

a) So, das waren die wichtigsten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast bezogen auf zentrale Themen des Kündigungsschutzprozesses.

Ist das jetzt schon alles? Nein, natürlich nicht. Zum einen gibt es noch sehr viele weitere Einzelfälle, auf die ich oben nicht näher eingegangen bin. Die Auflistung ist also keineswegs vollständig.

b) Vor allem aber gibt es noch ein paar allgemeine Grundsätze, die man im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast kennen muss:

aa) Darlegen und beweisen ist nicht das gleiche. Darlegen bedeutet zunächst einmal, dass man substantiiert und konkret bestimmte Tatsachen behauptet. Die Aussage, der Arbeitnehmer habe eine „schwere Arbeitspflichtverletzung“ begangen, wäre beispielsweise keine konkrete substantiierte Darlegung, sondern lediglich eine pauschale Behauptung. So etwas reicht nicht.

bb) Beweisen muss man nur das, was von der Gegenseite auch bestritten wird. Unstreitiges muss man dagegen nicht beweisen. Wenn der Arbeitgeber also beispielsweise darlegt, dass der Arbeitnehmer (Taxifahrer) während der Arbeitszeit eine Flasche Whiskey getrunken hat, dann muss der Arbeitgeber das nur dann beweisen, wenn es vom Arbeitnehmer bestritten wird.

cc) In diesem Zusammenhang muss man auch wissen, dass in zivilgerichtlichen Verfahren für beide Parteien die Wahrheitspflicht gilt. Auch vor dem Arbeitsgericht müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer daher immer die Wahrheit sagen, sonst machen sie sich gegebenenfalls sogar strafbar (Prozessbetrug).

dd) Und wenn man sich zu einem relevanten Punkt nicht äußert, obwohl man dazu etwas sagen kann, dann gilt die gegnerische Behauptung als zugestanden. Wenn sich unser Arbeitnehmer von oben bb) also z. B. wie folgt einlässt: „Ob ich während der Arbeitszeit eine Flasche Whiskey getrunken habe oder nicht, sage ich nicht; das soll mir der Arbeitgeber doch erst mal beweisen“. – dann unterliegt er einem Irrtum. Die Behauptung des Arbeitgebers wird vielmehr als unstreitig behandelt und muss vom Arbeitgeber nicht bewiesen werden.

Dr. Wolfgang Gottwald

Rechtsanwalt


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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