Schluss mit hohen/überhöhten Abfindungen im Kündigungsschutzprozess?

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1. Wie es bisher war


Als ich vor etwa 30 Jahren meine Anwaltstätigkeit begonnen habe, damals noch in Frankfurt am Main, liefen Kündigungsschutzverfahren regelmäßig wie folgt ab:


Das Arbeitsgericht, im Raum Hessen Süd gern auch als Arbeitnehmer-Gericht bezeichnet, wies den Arbeitgeber in der Güteverhandlung darauf hin, dass Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung bestehen. Dann erfolgte regelmäßig der durchaus auch als „Drohung“  zu verstehende Satz:


Wenn sich dann nach gegebenenfalls mehreren Jahren der Prozessführung in der dritten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht herausstellt, dass die Kündigung eben doch unwirksam war, dann müssen Sie als Arbeitgeber den Lohn für die gesamte Zeit nachzahlen. 


Dieser Hinweis verfehlte im Regelfall nicht seine Wirkung, sondern führte dazu, dass der Arbeitgeber im Gütetermin zähneknirschend eine relativ hohe Abfindung (gegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses) akzeptierte.


Soweit ich das beobachten konnte, hat sich an diesem Mechanismus  in den letzten 25 Jahren nicht viel geändert. Zwar gab und gibt es lokale Unterschiede, zB zwischen den Arbeitsgerichten in Frankfurt und denen in München. Aber im Grunde genommen schwebte über dem Arbeitgeber immer das Damoklesschwert hoher Lohnnachzahlungsansprüche, wenn der Prozess nach vielen Jahren dann eben doch verloren geht.


2. Neuere Rechtsprechung als Game Changer?


Neuere Urteile des Bundesarbeitsgerichts, das LAG Berlin und des Arbeitsgerichts Stuttgart erscheinen aus meiner Sicht geeignet, die Karten zwischen den Konfliktparteien Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess neu zu mischen.


a) Ausgangspunkt § 11 KSchG


Ausgangspunkt ist die Regelung in § 11 Kündigungsschutzgesetz. Danach muss sich der Arbeitnehmer auf den sogenannten Annahmeverzugslohn das anrechnen lassen, „was er durch anderweitige Arbeit verdient hat oder was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen“.


Die gesetzliche Regelung selbst ist nicht neu. Neu aber erscheint die Art und Weise, wie die Gerichte diese Regelung anwenden.


b) BAG vom 27.5.2020, 5 AZR 387/19


So hat zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 deutlich gemacht, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, den Arbeitgeber ausführlich darüber zu informieren, welche Job Angebote ihm von Seiten der Arbeitsagentur unterbreitet wurden – „unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung“ - und wie er darauf reagiert hat.


c) LAG Berlin-Brandenburg vom 30.9.22, 6 Sa 280/22


Das LAG Berlin-Brandenburg  hat in seiner Entscheidung vom September 2022 verdeutlicht, dass einem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zusteht, wenn er keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen nachweist.


Konkret: 103 Bewerbungen in 29 Monaten sind nicht genug, wobei es auch auf die „Qualität“ der Bewerbungen ankommt.


d) Arbeitsgericht Stuttgart vom 23.2.23, 25 Ca 956/22


Das Arbeitsgericht Stuttgart schließlich ist sogar der Auffassung, dass die Klage des Abeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nicht nur als „zurzeit unbegründet“, sondern als „insgesamt unbegründet“ abzuweisen sei, wenn der geltend gemachte Annahmeverzugslohn aufgrund der fehlenden Auskunft nicht berechenbar ist.


3. Was heißt das nun für die Abfindungsverhandlungen?


Vor dem Hintergrund dieser neueren Rechtsprechung ist das Risiko des Arbeitgebers, nach einem langen Prozess über die Rechtmäßigkeit der Kündigung schließlich auch zu hohen Lohnnachzahlungen verurteilt zu werden, deutlich gesunken. Denn die Anforderungen an den Arbeitnehmer, sich um eine anderweitige Beschäftigung während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens zu bemühen und dies dann auch prozessual sachgerecht vorzutragen, sind gestiegen.


Lohnnachzahlungsforderungen für den Fall, dass sich die Kündigung letztendlich als unwirksam erweist, sind also keineswegs mehr ein Selbstläufer für den Arbeitnehmer. Dies hat meines Erachtens Auswirkungen auf die Verhandlungspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Gütetermin.


Bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtspraxis auf diese neueren arbeitsgerichtlichen Urteile einstellen wird.



Dr. Wolfgang Gottwald

Rechtsanwalt


Foto(s): wogo

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