Die sogenannte Unfallflucht nach § 142 StGB – was es zu beachten gilt

  • 7 Minuten Lesezeit

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 StGB (auch Unfallflucht genannt) ist kein Kavaliersdelikt. Der Gesetzgeber sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe für das unerlaubte Entfernen vor, sodass eine Beratung durch einen Rechtsanwalt für Strafrecht in vielen Fällen ratsam wäre. Es ist nämlich oft nicht ganz einfach zu beantworten, wann konkret sich eine Person der Unfallflucht strafbar macht. Häufig machen sich Menschen trotz bester Absichten gemäß § 142 StGB strafbar, weil sie den Straftatbestand missverstehen. So reicht zum Beispiel – entgegen der vielerorts verbreiteten Ansicht – das Hinterlassen der Adresse auf einem Zettel an der Windschutzscheibe nicht aus, um den Pflichten aus § 142 StGB nachzukommen. Dazu kommt, dass der Fluchtinstinkt tief im Menschen verwurzelt ist. Eine Flucht vor der überraschenden und ungewöhnlichen Stresssituation eines Unfalls ist eine natürliche Reaktion und häufig wird eine Fahrerflucht ohne böse Absicht begangen. Diesem Umstand trägt das Gesetz an verschiedenen Stellen Rechnung und erlaubt unter gewissen Umständen auch noch eine nachträgliche Strafmilderung.

Dieser Artikel soll die Voraussetzungen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort erörtern und mögliche Verhaltenstipps geben.

Wann liegt ein Unfall vor?

Ein Unfall im Sinne des § 142 StGB ist ein plötzliches Ereignis im Straßenverkehr, das unmittelbar mit dessen einhergehenden typischen Gefahren in Zusammenhang steht und einen nicht ganz belanglosen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. [1] Zum Beispiel der Zusammenstoß zweier Fahrzeuge im fließenden Verkehr, das Anstoßen eines parkenden Autos oder aber auch das Anfahren von Verkehrsschildern oder Leitplanken fallen unter dieser Definition. Ferner beschränkt sich § 142 StGB nicht nur auf Kraftfahrzeuge. Auch Fahrradfahrer oder Fußgänger können sich der Unfallflucht strafbar machen. Daher liegt ein Unfall beispielsweise auch dann vor, wenn mit einem Einkaufswagen ein anderes Fahrzeug auf einem Supermarktparkplatz beschädigt wird.

Ein Unfall im Sinne des § 142 StGB muss im Straßenverkehr erfolgt sein. Damit sind nicht nur die öffentlichen Straßen gemeint, sondern auch (private) Parkplätze oder sonstige Plätze, die allgemein öffentlich zugänglich sind. So gehört der Supermarktparkplatz auch nach Geschäftsschluss zum Straßenverkehr, so lange der Platz ohne Hindernisse öffentlich betreten werden kann. Dagegen ist ein Parkplatz, der abends mit einer Schranke oder ähnlichem verschlossen wird, regelmäßig nicht mehr als ein Teil des öffentlichen Straßenverkehrs anzusehen.

Als Korrektiv darf ferner kein ganz belangloser Schaden entstanden sein. Bei einem Personenschaden ist der Schaden lediglich dann als belanglos einzustufen, wenn nicht einmal eine einfache Körperverletzung nach §§ 223, 229 StGB erfüllt ist. Dies kann zum Beispiel dann gegeben sein, wenn lediglich die Kleidung verschmutzt wurde.

Wann ein Sachschaden dagegen belanglos ist, ist schwer festzulegen. Die Gerichte gehen häufig lediglich von einer Wertgrenze von 25 Euro aus, vereinzelt wird auch noch ein Schaden von unter 50 Euro als belanglos angesehen. [2] Grundsätzlich sollte der Schaden aber eher zu hoch als zu niedrig geschätzt werden. Vor allem bei „Parkremplern“ kann der Schaden häufig höher liegen als es auf dem ersten Blick den Anschein hat, denn bereits bei kleinen Berührungen oder Lackschäden könnte der Austausch der gesamten Stoßstange oder Seitenspiegel notwendig sein. Im Zweifel sollte daher die Feststellung der Personalien ermöglicht werden.

Wann bin ich Unfallbeteiligter?

Wann eine Person Unfallbeteiligter ist, definiert das Gesetz in § 142 Abs. 5 StGB. Demnach ist jeder Unfallbeteiligter, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Dabei zielt das Gesetz ausdrücklich auf die Möglichkeit der Verursachung ab. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Person tatsächlich den Unfall verursacht hat, sondern ausschließlich darauf, dass die Person möglicherweise den Unfall verursacht haben könnte. Dies bedeutet folglich auch, dass alle potentiellen Unfallverursacher am Unfallort bleiben müssen, sofern der Unfallverursacher nicht eindeutig klar ist.

Kein Unfallbeteiligter ist jedoch zum Beispiel ein passiver Mitfahrer in einem Fahrzeug. Erst wenn der Mitfahrer in das Lenkrad gegriffen oder auf sonstige Weise den Fahrer verkehrswidrig abgelenkt hat, kommt eine Unfallbeteiligung in Frage.

Was muss ich am Unfallort tun?

Neben einer möglichen Versorgung von Verletzten, dem Absichern des Unfallortes und/oder dem Verständigen von Polizei und Rettungsdienst, hat der Gesetzgeber ein Verbot des sich Entfernens gesetzlich normiert. Gemäß § 142 Abs. 1 StGB darf sich ein Unfallbeteiligter erst dann vom Unfallort entfernen, wenn er entweder die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung ermöglicht oder aber, wenn er eine angemessene Zeit gewartet hat.

Sind feststellungsbereite Personen anwesend, ist § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig. Dem Unfallbeteiligten trifft eine Anwesenheits- und Vorstellungspflicht. Er muss somit gegenüber dem Unfallgegner seine Unfallbeteiligen offenlegen. Das heißt, der Unfallbeteiligte muss seinen Namen und Kontaktmöglichkeiten angeben. Dabei reicht es jedoch nicht aus, wenn lediglich ein Zettel hinterlassen wird. Die Feststellung der Person muss ferner von einer feststellungsbereiten Person getroffen werden können. Problematisch ist diesbezüglich, inwieweit ein Unfallbeteiligter eine darüber hinausgehende Mitwirkungspflicht hat, so zum Beispiel über die Art und Umfang der Unfallbeteiligung.

Bedenklich erscheint dies vor allem deswegen, da sich keiner (im möglicherweise folgenden Strafverfahren) selbst belasten muss. Daher wird es in der Regel für ausreichend erachtet, dass lediglich die Personalien mitgeteilt werden.[3] Darauf sollte sich im Zweifel auch beschränkt werden, da ein mögliches Schuldeingeständnis später nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen ist und sich Unfälle im Nachhinein oft noch ganz anders darstellen, als es den ersten Anschein hat. Dies besteht auch bezüglich Angaben gegenüber der Polizei. Aus diesem Grund sollte zumindest Rat von einem Strafverteidiger oder Fachanwalt für Strafrecht gesucht werden.

Kleiner Hinweis: Hier empfehlt es sich von dem Schweigerecht Gebrauch zu machen und lediglich Angaben zu der eigenen Person zu machen. Erklärungen können, gegebenenfalls nach Absprache mit dem Strafverteidiger, auch im späteren Verfahren immer noch abgegeben werden, wenn sich der erste Schock gelegt hat oder dies im Einklang mit einem Rechtsanwalt für Strafrecht getroffen wird.

Befindet sich keine feststellungsbereite Person in der Nähe, trifft dem Unfallbeteiligten eine angemessene Wartepflicht nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Dauer der Wartepflicht hängt vom Einzelfall ab. Kriterien sind unter anderen Art und Schwere des Unfalls, Verkehrsaufkommen, Uhrzeit, Witterungsverhältnisse und der Zeitpunkt, wann mit dem Eintreffen einer feststellungsbereiten Person gerechnet werden kann.[4] Eine verbindliche Zeitangabe kann und soll hier pauschal nicht getroffen werden. Während bei Bagatellen eine Wartezeit von 15 Minuten ausreichen kann, ist bei größeren Sach- und vor allem Personenschäden teilweise eine Wartezeit von mehreren Stunden angemessen.

Das Entfernen vom Unfallort

Unter „Entfernen“ vom Unfallort versteht das Gesetz eine willensgetragene Ortsveränderung. An einer Willensgetragenheit fehlt es, wenn zum Beispiel ein Schwerverletzter vom Krankenwagen abtransportiert wird. Verlässt ein Unfallbeteiligter nur kurzfristig den räumlichen Bereich, um zum Beispiel seinen Wagen in kurzer Entfernung zu Parken, einen Verletzten zu versorgen oder von einer nahen Telefonzelle die Polizei zu verständigen, macht er sich nur im Sinne des § 142 StGB strafbar, wenn er sich anschließend entschließt, nicht mehr zurückzukehren. [5]

Was ist zu tun, wenn die Wartezeit abgelaufen ist?

Wurde die Wartepflicht eingehalten, schreibt § 142 Abs. 2 StGB das weitere Vorgehen vor. Demnach müssen die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglicht werden. Es darf keine vorwerfbare Verzögerung der Nachholpflicht eintreten. Der § 142 Abs. 3 StGB nennt zwei Möglichkeiten der Nachholung. Besonders praxisrelevant ist das Informieren einer nahe gelegenen Polizeidienststelle, optional kann aber auch erneut versucht werden, den Geschädigten direkt zu informieren. Dabei sind die beiden Beispiele jedoch nur als Minimalvoraussetzungen anzusehen. So können auch andere Vorgehensweisen die Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel das erneute Zurückkehren am Unfallort, um sich dort gegenüber Polizisten oder dem Geschädigten zu erkennen zu geben.

Und wenn es schon zur Unfallflucht kam?

Aus verschiedenen Gründen kann es letztendlich bereits zu einer Unfallflucht gekommen sein. Ein Fluchtinstinkt, um sich der Stresssituation entziehen zu wollen, ist von Natur aus gegeben. Diese Erkenntnis hat auch der Gesetzgeber im § 142 Abs. 4 StGB berücksichtigt. Es baut dem Unfallflüchtigen eine“ goldene Brücke“, wenn er innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall die Nachholung der Feststellungen freiwillig ermöglicht. Dabei kann er sich auch hier direkt an den Geschädigten wenden oder aber eine nahe gelegene Polizeidienststelle aufsuchen. Voraussetzung für die Anwendung des § 142 Abs. 4 StGB, der eine Strafmilderung oder vollständiges Absehen von Strafe vorsieht, ist, dass der Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs stattfand, also zum Beispiel ein Parkrempler, und bei dem es ausschließlich zu einem nicht bedeutenden Sachschaden kam. Dabei ist die Grenze momentan bei etwa 1300 Euro anzusehen. [6]

Da der § 142 Abs. 4 StGB an einige Bedingungen geknüpft ist und auch auf der Rechtsfolgenseite sowohl einen Strafverzicht, als auch eine Strafmilderung vorsieht, ist bereits zu diesem Zeitpunkt eine Beratung durch einen Strafverteidiger sinnvoll, um die möglichen rechtlichen Probleme korrekt einzuordnen.

Es drohen weitere Sanktionen wie das Fahrverbot

Generell ist bei Verkehrsdelikten auch immer zu beachten, dass es nicht nur isoliert um eine Bestrafung aus dem Strafgesetzbuch (§ 142 StGB) geht, sondern auch immer noch weitere Sanktionen im Raum stehen, an denen im ersten Moment gar nicht Gedacht wird. Bereits ab einem Sachschaden von rund 500 Euro droht ein Fahrverbot von mehreren Monaten. Bei höheren Schadenssummen kann auch die Fahrerlaubnis aufgrund charakterlicher Ungeeignetheit entzogen und gegebenenfalls eine Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPI) angeordnet werden. Zusätzlich werden 7 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen.

Befindet sich die betroffene Person darüber hinaus noch in der Probezeit, drohen bei der Fahrerflucht ein Aufbauseminar und eine Verlängerung der Probezeit um weitere zwei Jahre. Daher ist vor allem in solchen Fällen, in denen weitere Konsequenzen drohen, eine umfassende anwaltliche Beratung empfehlenswert.

[1] BGH Urteil vom 27.07.1972 (4 StR 287/72)

[2] OLG Nürnberg, Urteil vom 24.01.2007 (2 St OLG Ss 300/06)

[3] OLG Dresden StraFo 2008, 218

[4] Fischer, StGB, § 142 Rn. 36-

[5] BGH, 25.01.1955, 2 StR 366/54

[6] Fischer, StGB, § 142 Rn. 64.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Sascha Böttner

Beiträge zum Thema