Einschränkung des Internetvertriebs durch „Mindest-Offline-Umsatzschwelle“ zulässig?

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Seit einigen Jahren wird in der "Kartellrechts-Szene" schon diskutiert, ob und inwieweit es Herstellern von Markenprodukten möglich ist, ihren Vertriebspartnern Beschränkungen für den Internet-Vertrieb aufzuerlegen.

Ziel ist es vor allem, ein "Verramschen" zu unterbinden und dadurch das Markenimage zu schützen. Dabei geraten insbesondere Auktionsplattformen wie eBay ins Visier. Darauf abzielende Klauseln sind zuletzt wieder Gegenstand eines Urteils des KG Berlin (v. 19.09.2013, Az. 2 U 8/09) gewesen. Das KG hatte im konkreten Fall die Klauseln als unzulässig erachtet. Entgegen voreiliger Meldungen und Besprechungen des Urteils hat das Gericht die Klausel aber nicht generell beanstandet, sondern gerade auch im Hinblick auf die dort verklagte Partei („Scout" Schulranzen) einige Argumente dafür gefunden, dass eine solche Beschränkung zulässig sein müsse (in diese Richtung gingen zuvor schon OLG München und OLG Karlsruhe). Scout hatte es aber versäumt, die eigenen qualitativen Kriterien auch im Offline-Vertrieb konsequent einzufordern. Teilweise konnten die Produkte bei "Discountern" erworben werden. Daher störte sich das Gericht auch eher daran, dass die Klauseln nicht diskriminierungsfrei umgesetzt wurden. Das aber ist zwingende Voraussetzung, wenn sich der Hersteller auf seine Klauseln stützen will.

Dies aber nur zur Einleitung. Wir haben uns für eine Mandantin auch mit einem anderen Ärgernis auseinandergesetzt, dass der Internetvertrieb für traditionsreiche Markenprodukte mit sich bringt: das so genannte „Trittbrettfahrerproblem".

Dieses definiert die EU-Kommission als Situation, bei der „ein Händler von den Verkaufsförderungsanstrengungen eines anderen Händlers profitiert" (Leitlinien zur Vertikal-GVO, Rn. 107). Dieses Phänomen zeigt sich in besonderem Maße bei hochwertigen Markenprodukten, und zwar insbesondere durch den Internetvertrieb. Traditionell wird das Markenimage durch stationäre Verkaufspunkte gefördert. Die Verbraucher lassen sich regelmäßig in Fachgeschäften beraten und vergleichen vor Ort die Produkte sowohl innerhalb der Marke als auch mit Produkten anderer Marken. Der Aufwand für diese Einzelhändler ist beachtlich (Verkaufsfläche, Personal etc.). Im Internetvertrieb sind vergleichbare Leistungen zur Unterstützung des Markenimages in dieser Reichweite gar nicht möglich. Soweit wenigstens ansatzweise eine höchstmögliche Qualität für den begleitenden Service gefordert und geboten werden kann, bleibt der Aufwand hinter dem der stationären Verkaufspunkte immer noch zurück. Als Folge haben etliche Einzelhändler unserer Mandantin berichtet, dass sich Endverbraucher vor Ort informiert und sich für ein Produkt entschieden haben, dann aber noch im Ladengeschäft den Händler mit niedrigeren Preisen aus Internetangeboten konfrontiert haben.

Unstreitig ist inzwischen, dass deshalb reine Internethändler, also solche, die überhaupt kein stationäres Geschäft betreiben, von der Belieferung ausgeschlossen werden dürfen. Jedenfalls außerhalb eines selektiven Vertriebsnetzes ist es außerdem zulässig, vom Händler zu verlangen, „dass er das Produkt mindestens in einem nach Wert oder Menge bestimmten absoluten Umfang offline verkauft" (Rn. 52 lit. c) der Leitlinien zur Vertikal-GVO).

Kann der Hersteller aber auch innerhalb eines selektiven Vertriebssystems diesen Schritt weiter gehen und verlangen, dass nur solche Händler für den Internet-Vertrieb zugelassen werden, die offline einen konkret definierten Mindestumsatz erzielen?

Bedenken wurden dahin gehend geäußert, ob im Falle einer qualitativen Selektion der Vertriebspartner überhaupt noch eine weitere Beschränkung dergestalt möglich sei. Dies könnte aus Art. 4 c) der Verordnung Nr. 330/2010 vom 20. April 2010 „über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen" („Vertikal-GVO") bzw. den hierzu von der Kommission herausgegebenen Leitlinien, dort Rn. 56, zu folgern sein: „Die unter Artikel 4 Buchstabe c GVO beschriebene Kernbeschränkung schließt die Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an gewerbliche oder sonstige Endverbraucher durch Mitglieder eines selektiven Vertriebsnetzes aus; [...] Innerhalb eines selektiven Vertriebssystems sollte es den Händlern freistehen, sowohl aktiv als auch passiv und auch mit Hilfe des Internets an alle Endverbraucher zu verkaufen."

Nach unserer Auffassung muss eine derartige Bedingung für die Zulassung des Internetvertriebs innerhalb eines selektiven Vertriebssystems aber nicht nur auch, sondern insbesondere zulässig sein.

Die Verpflichtung zur Unterhaltung eines physischen Verkaufspunktes kann gerade im selektiven Vertrieb zur Pflege des Produktimages und zur Vermeidung des Trittbrettfahrer-Phänomens hilfreich sein (Ellger in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht 5. Auflage 2012, Abschnitt IV. A. II, Rn. 95).

In Rn. 54 der Leitlinien stellt die Kommission daher klar, dass der Anbieter „insbesondere" in einem selektiven Vertriebssystem von seinen Abnehmern verlangen kann, über einen oder mehrere physische Verkaufspunkte oder Ausstellungsräume zu verfügen, wenn sie Mitglied des Vertriebssystems werden wollen. Der ausschließliche Internetvertrieb kann somit nach Auffassung der Kommission untersagt werden.

Art. 4 c) besagt demnach nicht, dass jede Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs generell unzulässig ist. Vielmehr ist nach dieser Vorschrift insbesondere jede Verpflichtung als Kernbeschränkung anzusehen, nach denen dem Händler für den Online-Vertrieb Kriterien auferlegt werden, die denen für Verkäufe am physischen Verkaufspunkt nicht gleichwertig sind, vgl. Rn. 56. Das Verbot des reinen Internetvertriebs ist aber nach Rn. 54 ausdrücklich zulässig.

Die Leitlinien sind daher so zu verstehen, dass die in Rn. 52 als zulässig erachteten Möglichkeiten auch, wenn nicht sogar in besonderem Maße für selektive Vertriebssysteme gelten. Dort stellt die Kommission klar, dass es auch in selektiven Vertriebssystemen keine verbotene Beschränkung des passiven Verkaufs ist, wenn der Anbieter von Händlern verlangt, seine Produkte in einem bestimmten absoluten Umfang offline abzusetzen (vgl. Ellger aaO.; Pischel, GRUR 2010, 972, 975, mwN.).

Alles andere wäre widersinnig. Andernfalls müsste ein Hersteller nämlich, um der Trittbrettfahrerproblematik beizukommen, die sich dadurch ergibt, dass manche Händler offline besondere Anstrengungen unternehmen, die im Online-Bereich nicht erbracht werden können, entweder auf jede Form der qualitativen Selektion (und zwar auch in den physischen Verkaufspunkten) verzichten, um zur Zulassung des Online-Vertriebs einen Mindest-Offline-Umsatz verlangen zu können; dann wird auch offline den Discountern der Weg geebnet, und es fällt der Grund weg, die besonderen Anstrengungen eines Teils der Offline-Händler durch eine Mindest-Umsatzschwelle für den Internetvertrieb zu schützen. Oder er hält an den qualitativen Kriterien im Offline-Bereich fest, verzichtet aber auf eine Mindestumsatzschwelle zur Zulassung des Internetvertriebs; dann reichen schon verhältnismäßig geringfügige Anstrengungen zur Aufrechterhaltung eines zwar qualitativ ausreichenden, vom Umfang her aber eben äußerst kleinen physischen Verkaufspunktes aus, um in den Genuss der Vorteile des weniger kostenintensiven Internetvertriebs zu kommen und dabei die Anstrengungen derjenigen Händler auszunutzen, die im Offline-Bereich nicht nur die qualitativen Anforderungen erfüllen, sondern dies auch in einem deutlich größeren Umfang durchführen.

Eine vergleichbare Einschränkung sieht die Kommission übrigens in ihren Leitlinien ausdrücklich als zulässig an, vgl. Rn. 56 der Leitlinien. Zum Schutze der im Vertriebssystem zugelassenen Händler kann der Hersteller verlangen, dass die Vertragshändler nicht mehr als eine bestimmte Menge von Vertragsprodukten an einen einzelnen Endverbraucher verkauft. Im Online-Vertrieb dürfe diese Untersagung sogar strenger sein als im Offline-Vertrieb. Auch hier wird der (passive wie aktive) Vertrieb an Endverbraucher - entgegen des Wortlauts des Art. 4 c) der Vertikal-GVO - in nicht nur qualitativer Hinsicht beschränkt. Gleichwohl wird diese Form der Beschränkung wie selbstverständlich als zulässig erachtet, wohl weil sie der Sicherung eines legitimen Interesses (Schutz der zugelassenen Vertragshändler vor nicht zugelassenen Händlern) dient, ohne den Wettbewerb zulasten des Endverbrauchers ernsthaft oder überhaupt zu beschränken.

Der Höhe nach sehen die Leitlinien keinerlei Begrenzung vor. Man wird daher davon ausgehen dürfen, dass die Hersteller insofern weitgehend Freiheit haben. Nach dem Sinn und Zweck dieser Klausel einerseits und den gesetzlichen Regelungen andererseits dürfte die Grenze der Zulässigkeit allenfalls dort überschritten sein, wo die Beschränkung faktisch zu nicht mehr hinnehmbaren Wettbewerbsbeschränkungen führt, weil nur wenige Anbieter auf dem Internetmarkt zugelassen sind.

Nach unserem Kenntnisstand ist diese Frage bislang nicht Gegenstand eines Verfahrens vor Gerichten oder den Kartellbehörden gewesen. Wir lassen uns aber gerne eines Besseren belehren und sind für Hinweise oder eine weiterführende Diskussion offen.



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