Mobbing, Arbeitsunfähigkeit, MDK, Rechtsschutz - Alles klar

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Rechte und Pflichten des gemobbten Arbeitnehmers sowie seines behandelnden Arztes im Falle einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen, den MDK

In Zeiten steigender Ausgaben im Gesundheitssystem und schmelzender Rücklagen der gesetzlichen Krankenversicherungen haben Kassen ein gesteigertes Interesse daran, vermeintlich zu Unrecht krankgeschriebene Versicherte aus dem Krankengeldbezug herauszudrängen. Mitarbeiter, die sich arbeitsunfähig melden, werden häufig auch vom Arbeitgeber als Ärgernis empfunden, dem man entgegentreten müsse. Einerseits werfen die kranken Arbeitnehmer die betriebliche Personalplanung über den Haufen, wenn ein anderer Mitarbeiter die Aufgaben des erkrankten Mitarbeiters übernehmen muss und der Arbeitgeber deswegen ständig neu zu disponieren hat. Andererseits kosten arbeitsunfähige Arbeitnehmer den Arbeitgeber regelmäßig Geld. Nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sind Arbeitgeber verpflichtet, einem arbeitsunfähigen Mitarbeiter bis zu 6 Wochen lang dessen Gehalt fortzuzahlen. Erst danach springt die Krankenkasse ein und übernimmt die Entgeltfortzahlung für den erkrankten Mitarbeiter.

Das allein wird von vielen Arbeitgebern bereits als unzumutbare Beeinträchtigung empfunden. Häufig glauben die Arbeitgeber insbesondere bei infolge von Mobbing psychisch erkrankten Arbeitnehmern (Depression, Burnout), diese seien nicht wirklich krank, sondern simulieren nur, weshalb sie umgehend wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen hätten. Auch den vermeintlich zu lax krankschreibenden Ärzten wollen viele Arbeitgeber ans Leder. Sie versuchen häufig für den Fall der Entgeltfortzahlung, ihre Lohnfortzahlungskosten vom Hausarzt des Arbeitnehmers im Wege der Schadensersatzklage zurückzuerlangen. Selbst vor Strafanzeigen wegen vermeintlich schuldhaften Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse durch den behandelten Arzt, §§ 277, 278 StGB, wird mittlerweile nicht mehr zurückgeschreckt.

Ein Mittel, die Krankschreibung des Arbeitnehmers durch einen von ihm ausgewählten Arzt überprüfen zu lassen, steht dem Arbeitgeber dabei indes nicht zu. Eine Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch den Betriebsarzt ist bereits gesetzlich verboten.

Als Mittel zur Durchsetzung der vorgenannten Ziele hat sich deshalb bei Krankenkassen und Arbeitgebern das Verlangen einer Anordnung der Begutachtung des erkrankten Arbeitnehmers durch den MDK mit dem Ziel der Aufhebung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung etabliert. Wobei der MDK nur bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern tätig werden darf. Bei privat versicherten Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber von vornherein auf Hausbesuche und sonstige Kontrollen beschränkt, die zudem dem Mitbestimmungsrecht des Betriebs-/Personalrats unterliegen. Die Fallzahlen aus dem Jahre 2014 legen offen, dass es sich bei der Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch den MDK um ein Phänomen bisher ungeahnten Ausmaßes handelt. Rund 1.500.000 geprüfte Krankschreibungen, von denen über 230.000 aufgehoben wurden, verzeichnet die Statistik, nicht umfasst in den eben genannten Fallzahlen sind die Anträge auf Begutachtung durch den MDK, denen bereits aufgrund fehlender Voraussetzungen nicht entsprochen wurde.

Voraussetzung für die Einholung eines MDK-Gutachtens über die Arbeitsfähigkeit des Arbeitsnehmers sind Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit sind insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oft auf einen Arbeitstag am Beginn oder Ende einer Woche fällt. Der Arbeitgeber hat Tatsachen vorzubringen, die seine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, die also den Arbeitgeberverdacht, der Arbeitnehmer mache nur blau, nähren. Lehnt die Krankenkasse ohne hinreichenden Grund die Einschaltung des MDK ab, kann der Arbeitgeber Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht erheben. Es kommt auch ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in Betracht. Im Folgenden werde ich auf die zahlreichen Möglichkeiten des infolge von Mobbings erkrankten Arbeitnehmers eingehen, im chronologischen Verlaufe des Begutachtungsprozesses durch den MDK sein Recht auf jeder Stufe des Begutachtungsprozesses zu wahren und den Spieß umzudrehen, das heißt, konsequent gegen den Arbeitgeber vorzugehen, der regelmäßig den Begutachtungsprozess mit dem Verdacht des Krankfeierns angeleiert hat.

Bevor ein wegen Mobbings psychisch erkrankter Arbeitnehmer einen Termin bei dem MDK bekommt, fragt seine Krankenkasse regelmäßig telefonisch beim Erkrankten zu der aktuellen Situation nach. Hierbei erkundigt sich die Krankenkasse insbesondere nach den konkreten Erfordernissen und Belastungen am Arbeitsplatz. Im Telefonat kann der Arbeitnehmer schon mitteilen, dass er gar nicht an einer weiteren Untersuchung interessiert ist. Bevor beim MDK dann ein Untersuchungstermin bestimmt wird, wird dort die sozialmedizinische Fallberatung (SFB) tätig und entscheidet, ob ein Untersuchungstermin notwendig ist. Die Informationen der Krankenkasse und des behandelnden Arztes müssen berücksichtigt werden. Die Krankenkasse kann und wird deshalb die Untersuchung durch den MDK verweigern, wenn die ihr vorliegenden Unterlagen ergeben, dass der Arbeitnehmer eindeutig arbeitsunfähig war und ist. Kommt es jedoch zu einem Auftrag des MDK, hängt das weitere Vorgehen davon ab, ob Initiator der MDK-Untersuchung der Arbeitgeber oder die Krankenkasse war. Überdies kann das Verfahren rein nach Aktenlage oder im Wege einer persönlichen Untersuchung des Arbeitnehmers durchgeführt werden.

Die Begutachtung bei Arbeitgeberzweifeln erfolgt im Unterschied zur Begutachtung nach längerer Arbeitsunfähigkeit nicht facharztspezifisch, weil die hierfür erforderlichen Informationen nicht vorliegen. Eine fachspezifische Untersuchung erfordert einen Vorlauf. Es müssen Informationen vorliegen, die im Voraus erkennen lassen, in welchem Fachgebiet die Ursache der Arbeitsunfähigkeit anzusiedeln ist Der MDK hat jedoch für die Arbeitgeber Kapazitäten zur Begutachtung freizuhalten und eine zeitnahe Begutachtung innerhalb von drei Arbeitstagen sicherzustellen. Soweit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht bei der Krankenkasse vorliegt, die Krankenkasse demnach nur aus dem Arbeitgeber-Fax schließen kann, dass eine Krankmeldung vorliegt, ist dies vom MDK nicht zu realisieren.

In der Regel wird der Auftrag der Erstellung einer ärztlichen Stellungnahme zur Frage der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vom MDK ohne persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers bearbeitet. Die Berechtigung zur Bearbeitung nach Aktenlage ergibt sich aus den sogenannten Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien. Diese Richtlinien regeln zusammen mit der Anleitung zur Beratung und Begutachtung bei Arbeitsunfähigkeit (kurz ABBA 2004) auch alle weiteren Einzelheiten der Zusammenarbeit von behandelndem Arzt und Krankenkasse. Beachtung finden muss hierbei jedoch, dass die Tatsache der überwiegenden Anzahl von Gutachten nach Aktenlage sich in Widerspruch zu § 25 Muster-Berufsordnung Ärzte befindet, wonach Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Arztes regelmäßig nur durch persönliche Begutachtung und nur ausnahmsweise nach Aktenlage durchzuführen sind, was natürlich auch entsprechend für die Ärzte des MDK als Grundlage ihrer Untersuchung gilt.

Die Begutachtung nach Aktenlage muss also der hehre Ausnahmefall bleiben. Eine nur ausnahmsweise vorzunehmende Begutachtung des MDK nach Aktenlage kann deshalb nur dann rechtmäßig erfolgen, wenn strenge Maßstäbe eingehalten werden. Die der Begutachtung zugrunde liegende Befunde des Hausarztes müssen aktuell, vollständig und umfangreich sein. Überdies ist Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Begutachtung nach Aktenlage, dass der MDK Rücksprache mit dem behandelndem Arzt hält.

Immer dann, wenn der behandelnde Arzt die gesundschreibende medizinische Beurteilung des MDK nicht teilt, er somit von einer andauernden Arbeitsunfähigkeit des Patienten ausgeht, kann er ein sogenanntes Zweitgutachten bei der Krankenkasse des Patienten beantragen. Der Vorteil der Beantragung des Zweitgutachtens liegt in dem Umstand begründet, dass der behandelnde Arzt, ohne dass es weiterer neuerer Untersuchungen und Bewertungen der bestehenden Erkrankung bedarf, seinen Patienten weiterhin wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit krankschreiben kann. Mit dem Antrag auf ein Zweitgutachten verteidigt der behandelnde Arzt faktisch die von ihm gestellte Diagnose gegenüber dem MDK.

Das Vorgehen des Arztes gegen die ärztliche Einschätzung des MDK verspricht nur dann Erfolg, wenn der Arzt nicht nur seine bereits bekannten Diagnosen, die bei der MDK Begutachtung bereits vorlagen, wiederholt, sondern den Patienten erneut untersucht und seine Ausführungen gegen die MDK Einschätzung insbesondere auf die erneute Untersuchung und die dabei neu gewonnenen Erkenntnisse stützt. Hier wird der MDK nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig eine neue Begutachtung einholen müssen.

Widerspruch gegen den Bescheid der Krankenkasse legt der Patient und nur er selbst ein. Dies gilt auch für den notwendigen Widerspruch gegen den Bescheid über die Einstellung der Krankengeldzahlung. Dabei sollte der Arbeitnehmer von seinem Recht auf Akteneinsicht in das MDK-Gutachten Gebrauch machen, damit er seinen Widerspruch ausreichend begründen kann. Häufig ergibt bereits die Akteneinsicht insbesondere in Fällen psychischer Erkrankungen, dass der MDK allein nach Aktenlage entschieden hat. Nach ständiger Rechtsprechung hat der MDK aber seiner Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung des medizinischen Sachverhalts nachzukommen, was bei bloßer Entscheidung nach Aktenlage nicht der Fall ist. Zwar hat die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt keine bindende Wirkung für die Krankenkasse, ihr komme nur die Bedeutung einer ärztlich-gutachterlichen Stellungnahme zu.

Wolle die Kasse jedoch von dieser ärztlichen Stellungnahme abweichen, so müsse der MDK ein medizinisches Gegengutachten vorlegen, das die ärztlichen Befunde bewertet und methodisch untersucht. Gerade bei psychischen Krankheiten sei dabei die Befragung und Untersuchung des Patienten zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit unerlässlich. Der MDK hat aber bei einer Entscheidung nach Aktenlage weder die behandelnden Ärzte noch die Patientin befragt bzw. untersucht.

Darüber hinaus stehen den Arbeitnehmern zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit ausschließlich die Atteste ihrer behandelnden Ärzte zur Verfügung. Kommen die Krankenkassen ihrer Pflicht zu einer möglichst schnellen Aufklärung des medizinischen Sachverhalts nicht nach, so wird es für sie mit dem Zeitablauf immer schwieriger, eine frühere Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Der dadurch entstehende prozessuale Nachteil für die Versicherten kann nach Rechtsprechung dann durch Beweiserleichterungen ausgeglichen werden. Ermittelt die Krankenkasse nicht pflichtgemäß, verringern sich zugunsten des Versicherten die Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit. Im Einzelfall kann das sogar bis zu einer Umkehr der Beweislast führen, dann muss die Krankenkasse den Beweis führen, dass der Versicherte arbeitsfähig war.

Der Arzt allerdings ist nach den Regelungen der Bundesmantelverträge gehalten, dann, wenn er weiterhin Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung durch den MDK in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit des Patienten hat, den Widerspruch des Patienten zu unterstützen, indem er seine Zweifel begründet und die bereits erwähnte zusätzliche Begutachtung veranlasst. Der Therapeut des Arbeitnehmers ist hierzu nicht berechtigt, wenn ihm die ärztliche Approbation fehlt, was für viele niedergelassene Psychologen und Psychotherapeuten gilt.

Der Widerspruch gegen den Bescheid der Krankenkasse, dass Arbeitsunfähigkeit nach dem Ergebnis der Untersuchung des MDK nicht mehr bestehe, hat keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, er bleibt solange wirksam, bis er wieder – im Widerspruchsverfahren oder durch das Gericht in einem anschließenden Gerichtsverfahren – aufgehoben wird. Solange ist der Arbeitnehmer verpflichtet, zumindest zur Arbeit zu erscheinen und seine Arbeitskraft anzubieten.

Wörtlich heißt es im Gesetz: § 39 SGB X – Wirksamkeit des Verwaltungsaktes

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

Der Arbeitnehmer erhält bis zur Fertigstellung des zweiten Gutachtens kein Krankengeld von seiner Krankenkasse. Kommt das zweite Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer doch arbeitsunfähig war, zahlt seine Krankenkasse das Krankengeld rückwirkend. In der Zwischenzeit allerdings muss er trotz fachärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit wieder arbeiten, will er in der Zeit bis zur Erstellung des Zweitgutachtens seinen Unterhalt nicht ohne Einnahmen oder allein mit Arbeitslosengeld II bestreiten.

Der Arbeitgeber wird nur über das Ergebnis der Begutachtung des MDK informiert. Dies auch nur solange ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers besteht. Die Krankenkasse und nicht der MDK teilt ihm hierbei mit, wenn die Arbeitsunfähigkeit seines Arbeitnehmers nicht, für kürzere oder längere Zeit besteht als durch den Arzt des Mitarbeiters attestiert. Lohnfortzahlung muss er dann für die von der Krankenkasse attestierte Zeit leisten. Informationen über die Krankheit des Mitarbeiters erhält er nicht.

Abschließend darf ich darauf hinweisen, dass jedes Verlangen des Arbeitgebers, die Krankenkasse möge dem MDK wegen Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers einen Gutachtenauftrag zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arbeitnehmers erteilen, den Vorwurf enthält, der Arbeitnehmer mache blau. Ein Vorwurf, der, wenn er zuträfe, nicht nur einen Betrug gegenüber dem lohnfortzahlenden Arbeitgeber abgäbe, sondern auch zur fristlosen Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber berechtigte. Stellt der MDK daher fest, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gegeben war, ist also die Unrichtigkeit des Vorwurfs des Arbeitgebers festgestellt, dann sollte der Arbeitnehmer überlegen, ob er den Arbeitgeber nicht wegen der mit dem Gutachtenauftrag verbundenen Verletzung der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht und der Schädigung seines Rufes auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen oder diesen abmahnen will. In Ausnahmefällen dürfte auch die Arbeitnehmereigenkündigung gekoppelt mit Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitgeber in Betracht kommen.


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