Überprüfungsanträge hinreichend begründen!

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Eine Besonderheit des Sozialrechts ist der Überprüfungsantrag. Mit einem Überprüfungsantrag können Sozialleistungen (z.B. Arbeitslosengeld, „Hartz IV“, Grundsicherung, Krankengeld, Pflegegeld, Rente, Verletztengeld, etc.) bzw. höhere Sozialleistungen erwirkt oder Rückzahlungsverpflichtungen beseitigt bzw. verringert werden, obwohl die Angelegenheit „eigentlich“ bereits durch bestandskräftigen Verwaltungsakt abgeschlossen ist.

Überprüfungsanträge können jedoch nicht nur betreffend Sozialleistungen, sondern betreffend alle sozialrechtlichen Verwaltungsakte, also z.B. auch betreffend GdB- oder Status-Feststellungen oder Sozialversicherungsbeitragsbescheide gestellt werden.

Dass Überprüfungsanträge gestellt werden können, ergibt sich nicht auf den ersten Blick aus dem Gesetz. Maßgeblich ist hier das 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X – X die römische Ziffer für 10), in dem sich die allgemeinen Regelungen zum Sozialverwaltungsverfahren finden.

In § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X findet sich jedoch eine Regelung betreffend die Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkende Leistungen zu erbringen sind, wenn die Behörde auf einen Antrag tätig geworden ist. Entsprechend setzt das Gesetz voraus, dass ein Antrag – ein Überprüfungsantrag – gestellt werden kann.

§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X – Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes – bestimmt, dass wenn sich der Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist.

Dies bedeutet, dass die Behörde von sich aus – von Amts wegen – zu Gunsten des Betroffen tätig wird, wenn ihr aufgefallen ist, dass Recht falsch angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde. Da Behörden jedoch nicht verpflichtet sind, sich mit abgeschlossenen Vorgängen zu befassen und „auf Fehlersuche zu gehen“, kommt den Überprüfungsanträgen der Betroffenen so große Bedeutung zu.

Überprüfungsanträge können grundsätzlich jederzeit (ab Bestandskraft) des zu überprüfenden Bescheides gestellt werden. Überprüfungsanträge können auch noch gestellt werden, wenn man betreffend den ursprünglichen Verwaltungsakt prozessiert hatte (und das gerichtliche Verfahren abgeschlossen ist). Es ist auch möglich, mehrfach nacheinander die Überprüfung desselben Verwaltungsakts zu beantragen.

Die Art und Weise, wie ein Überprüfungsantrag zu stellen ist, ist im Gesetz nicht konkret geregelt. Ausgehend von den allgemeinen sozialverwaltungsrechtlichen Regeln ist keine spezielle Form einzuhalten; bei mündlichen Anträgen oder bei E-Mails kann es jedoch das Problem geben, dass der Betroffene ggf. den Eingang und den Zeitpunkt des Eingangs seines Antrages bei der Behörde nicht beweisen kann.

Mangels spezieller gesetzlicher Regelungen zum Überprüfungsantrag ist man versucht, auf den ersten Blick zu meinen, dass es auch keine Regelungen betreffend die Konkretisierung und die Begründung von Überprüfungsanträgen gäbe. 

Jahrelang waren Konkretisierung und Begründung von Überprüfungsanträgen auch kein großes Thema bei den Behörden und vor den Sozialgerichten und Landessozialgerichten.

In der Regel reichte es, wenn kundgetan worden war, dass eine Überprüfung begehrt wird. War der Antragsteller mit dem Ergebnis der behördlichen Überprüfung nicht einverstanden, konnte er regelmäßig noch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren erläutern, warum er meint, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtswidrig ist (also welcher Rechtsanwendungsfehler vorliegt oder wie die Sachlage tatsächlich war).

Mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.10.2014 – B 14 AS 39/13 R – wurde jedoch eine vielen – im Stadium der Überprüfungsantragstellung regelmäßig (auch vor dem Hintergrund der fehlenden Kostenerstattungsregelung) nicht anwaltlich vertretenen – Betroffenen nicht bekannte Trendwende (oder Rückbesinnung) eingeläutet.

Spätestens bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens (bzw. des Widerspruchsverfahrens) muss konkretisiert sein, welcher Verwaltungsakt überprüft werden soll und zumindest im Ansatz nachvollziehbar mitgeteilt werden, welche rechtliche Bewertung angegriffen wird bzw. inwiefern von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde. 

Eine wirksame Nachholung im gerichtlichen Verfahren ist nicht möglich.

Wird ein Überprüfungsantrag gestellt oder leitet die Behörde von Amts wegen ein Überprüfungsverfahren ein, wird ein neues Verwaltungsverfahren eröffnet, welches mit einem Verwaltungsakt abgeschlossen wird, welcher von dem Betroffen ggf. mit Widerspruch bzw. Klage angefochten werden kann.

§ 44 Abs. 4 SGB X bestimmt, dass Nachzahlungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahre vor dem 1. Januar des Kalenderjahres, in dem der Überprüfungsantrag eingegangen ist. Erfolgt die Überprüfung von Amts wegen, wird erst auf das Datum der Rücknahmeentscheidung abgestellt.

Die allgemeine Vier-Jahres-Zeitraum-Regelung wird in verschiedenen Spezialregelungen verkürzt. Die wohl größte praktische Bedeutung haben die Regelungen des § 40 Abs. 1 SGB II und des § 116a SGB XII, denen gemäß für alle Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII der Vier-Jahres-Zeitraum auf ein Jahr reduziert wird.

Beim Sozialhilferecht ist darüber hinaus die Besonderheit zu beachten, dass (gemäß Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.12.2015 – B 8 SO 25/14 R –) die Bedürftigkeit nicht bloß zu dem Zeitpunkt, zu dem die Leistung hätte gewährt werden müssen, sondern auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Überprüfungsantrag (und im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Sozial- oder Landessozialgericht) vorliegen muss.

Überlegungen dahingehend, ob ein Überprüfungsantrag gestellt werden soll, sollten jederzeit (und bei SGB II- und SGB XII-Leistungen, also insbesondere bei „Hartz IV“ und Grundsicherung besonders zeitnah), insbesondere jedoch gegen Jahresende angestellt werden, da mit Ablauf eines Kalenderjahres etwaige Nachzahlungsansprüche für bis zu einem gesamten Kalenderjahr untergehen.

Konkret bedeutet das: 

  • Geht ein Überprüfungsantrag z. B. betreffend eine Rentenversicherungsleistung im Jahr 2017 ein, kommen Nachzahlungen für die Zeit ab dem 01.01.2013 in Betracht. Geht der Antrag am 01.01.2018 um 00:01 Uhr ein, so kommen      Nachzahlungen nur noch für die Zeit ab dem 01.01.2014 in Betracht.
  • Geht ein Überprüfungsantrag betreffend eine SGB II- oder SGB XII-Leistung im Jahr 2017 ein, kommen Nachzahlungen für Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII die Zeit ab dem 01.01.2016 in Betracht. Geht der Antrag am 01.01.2018 um 00:01 Uhr ein, so kommen Nachzahlungen nur noch für die      Zeit ab dem 01.01.2017 in Betracht.
  • (Betreffend den Eingangszeitpunkt sei angemerkt, dass es, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I, auch ausreicht, wenn der Überprüfungsantrag rechtzeitig bei einem unzuständigen anderen Leistungsträger, einer Gemeinde oder einer amtlichen      Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eingeht.)

Ein typischer Fall für einen Überprüfungsantrag liegt z. B. vor, wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II oder XII die bloß teilweise Anerkennung seiner Kosten für Unterkunft und Heizung wegen (angeblicher) Unangemessenheit erduldet hat und nachträglich – z.B. aufgrund der Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen in entsprechenden Fällen – Zweifel aufkommen, ob sich die Behörde auf eine Unterkunftskosten-Richtlinie stützt, die den in der Sozialgerichtsbarkeit gestellten (unter dem Begriff „schlüssiges Konzept“ zusammengefassten) Anforderungen genügt.

Entsprechend ergibt sich folgendes – auf den jeweiligen Einzelfall anzupassende – „Minimal“-Muster:

„An das Jobcenter …

…, den 30.03.2017

Vorab per Telefax an: …

BG Nr. …

Leistungsbescheid vom 15.11.2015

Leistungszeitraum XII/15 – V/16

Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich die Überprüfung des (bestandskräftigen) Leistungsbescheides vom 15.11.2015 für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.05.2016 gemäß § 44 SGB X.

In den Monaten Januar bis Mai 2016 musste ich monatlich 350 € an meinen Vermieter bezahlen. Sie haben jedoch bloß 320 € als angemessen anerkannt und bei der Bedarfsermittlung und Leistungsberechnung berücksichtigt.

Der Bescheid vom 15.11.2015 ist rechtswidrig, da die tatsächlichen Kosten nicht unangemessen hoch sind und da die KdU-Richtlinie, auf die Sie Ihre Entscheidung gestützt haben, die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept nicht erfüllt. 

Mit freundlichen Grüßen“



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