Wie der Grad der Behinderung gebildet wird - Basiswissen (nicht nur) für die Schwerbehindertenvertretung

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Die Zuerkennung des Grad der Behinderung – schwerbehindert oder nicht, Gleichstellung etc. – hat große Bedeutung für das Arbeitsrecht. Gleichberechtigte Teilhabe im Arbeitsleben läßt sich nur gemeinsam erreichen! Erste Anlaufstelle bzgl. Fragen um den GdB bzw. bei Problemen mit der zuständigen Behörde ist in der Regel die Schwerbehindertenvertretung. Aber nicht nur arbeits- oder rentenrechtliche Fragestellungen fallen in ihr Ressort; es sollte essentiell für die Schwerbehindertenvertreter sein, die Grundlagen der Bildung des Grad der Behinderung zu kennen – und die - in meinen Augen - wichtigste Besonderheit: Die Heilungsbewährung.

In diesem Rechtstipp gebe ich einen Überblick über die Grundregeln.


Die Bildung des Grad der Behinderung


Zunächst werden Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und dem medizinischen Dienst der Behörde vorgelegt.

Dieser med. Dienst ist nicht der gleiche wie der MDK (= med. Dienst der KV). Er ist eine Abteilung innerhalb der Behörde und besteht nur aus Ärzten. Unterschätzen Sie die niemals: Sie arbeiten (meistens) zwar nicht praktisch, aber sie werten täglich unzählige Befundberichte aus.

Aus diesen Berichten werden zunächst  Einzel – GdB gebildet anhand der Tabelle der versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Die VMG sind eine Art Katalog, in dem die häufigsten Erkrankungen aufgelistet sind. Diese Erkrankungen haben darin jeweils einen Grad der Behinderung. Z. B. Hüftgelenk, beidseitige Endoprothese = 20; Kniegelenk, beidseitige Endoprothese = 30.

Dann erfolgt die Zuordnung jeder Gesundheitsstörung / Funktionsbeeinträchtigung in ein sog. Funktionssystem. Der menschliche Körper ist in 17 Systeme unterteilt; beispielsweise Haut, Augen, Psyche, Kreislauf, untere Gliedmaßen. Innerhalb eines Funktionssystems wird ein GdB gebildet.

Bei Vorliegen mehrerer GdB aus Funktionsstörungen werden diese nicht addiert (also nicht 50 + 20 = 70). Bei der Beurteilung des Gesamt - GdB muß man von der Beeinträchtigung ausgehen, die am schwerwiegendsten ist. Dann werden die anderen GdB dahingehend untersucht, wie sie diese Beeinträchtigung beeinflussen.

Feststellungen werden erst getroffen, wenn der GdB mind. 20 beträgt (A 3 d ee). Zehnergrade sind unbeachtlich.

Der Unterschied Behinderung ./. Schwerbehinderung

Ein Schwerbehindertengrad liegt erst ab einem GdB von 50 vor. Erst ab diesem Grad der Behinderung ist es möglich, sog. "Nachteilsausgleiche" zu erhalten, z. B. "G" = gehbehindert; "RF" = Befreiung von Rundfunkgebühren. Ab einem GdB von 50 gelten auch die besonderen arbeits- und rentenrechtlichen Schutzrechte.

Die Gleichstellung und ihre Auswirkung

Gleichstellung, §§ 2 Abs. 3, 151 Abs. 2 SGB IX, hat nur im Arbeitsrecht eine Bedeutung. Sie gilt für Arbeitnehmer oder Arbeitsuchende, die einen GdB von mindestens 30, aber nicht 50 haben. Die Gleichstellung muß bei der Arbeitsagentur beantragt werden. Voraussetzungen: Ein Arbeitnehmer ist konkret von Kündigung aufgrund seiner Behinderung bedroht oder ein Arbeitsuchender findet aufgrund seiner Behinderung keinen Arbeitsplatz.

Für gleichgestellte Arbeitnehmer gilt der Anspruch auf Zusatzurlaub, § 208 SGB IX, nicht.

b) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch (§ 164 Abs. 4 SGB IX) auf:

  • Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,
  • bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,
  • Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilhabe an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,
  • behindertengerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,
  • Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung,
  • Teilzeitarbeit, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist (Abs. 5).

Integrationsämter, §§ 184 ff. SGB IX: sind Behörden in den Ländern, die für die Sicherung der Integration schwerbehinderter Menschen in das Arbeitsleben zuständig sind.

Gem. § 207 SGB IX werden sowohl schwerbehinderte Arbeitnehmer als auch ihnen gleichgestellte behinderte Menschen auf ihr ausdrückliches Verlangen hin von Mehrarbeit freigestellt.

Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung haben basierend auf einer 5-Tage-Woche Anspruch auf einen bezahlten Zusatzurlaub von 5 Tagen, § 208 SGB IX. Diese Urlaubstage treten zu dem Grundurlaub hinzu, der den schwerbehinderten Beschäftigten laut Arbeits- oder Tarifvertrag bzw. nach gesetzlichen Bestimmungen ebenso wie den nicht behinderten Arbeitnehmern ohnehin zusteht. Besteht die Schwerbehinderung nicht das ganze Jahr, so wird der Zusatzurlaub gezwölftelt.

§ 208 regelt aber nur einen Mindestzusatzurlaub. Sehen vertragliche, betriebliche oder tarifliche Vereinbarungen einen längeren Zusatzurlaub für Schwerbehinderte vor, gehen diese natürlich vor.

Sofern eine Herabstufung auf einen Grad der Behinderung (GdB) von weniger als 50 erfolgt ist, besteht der Anspruch auf Zusatzurlaub bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides, mit dem die Verringerung festgestellt wurde, § 199 Abs. 1 SGB IX.

Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer haben zusätzlich Anspruch auf Teilzeitarbeit , § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX. Danach besteht für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer die Möglichkeit, eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit zu verlangen, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist. Hier gibt es keine Mindestanforderungen an die Betriebsgröße und eine Mindestdauer der Beschäftigung sowie keine Regelungen zu Antragsfristen. Aufgrund dieser gesetzlichen Normierung sind Schwerbehinderte nicht auf die Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes angewiesen.

Aber: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann seinen Anspruch auf Verkürzung der Arbeitszeit nicht durchsetzen, sofern dies für den Arbeitgeber gem. § 164 Abs. 5 S. 3, Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht zumutbar oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden oder unvereinbar mit Arbeitsschutz- oder beamtenrechtlichen Vorschriften ist.

Sonderfall: Heilungsbewährung und "Befristung" des GdB

Grds. werden Ängste, daß eine Behinderung sich verschlimmern könnte, nicht mitbewertet. Ausnahme ist die Heilungsbewährung = Eine Krankheit, die erfahrungsgemäß zum Rezidiv neigt (alle Karzinome z. B.). Unmittelbar nach der Entfernung des Tumors erhält der Erkrankte einen wesentlich höheren GdB, als er nach den VMG normalerweise vergeben wird. Dieser GdB wird auf 5 Jahre befristet (= Zeitspanne, in der die "Heilung" sich "bewähren" muß). Ist das Karzinom nach 5 Jahren nicht wieder aufgetaucht, sinkt der GdB drastisch.

Bsp: Nierentumor. Verlust der Niere: grds. 20-30. Nach Entfernung eines Nierentumors beträgt der GdB für 5 Jahre mind. 80, danach 20-30.

Hier ist die Schwerbehindertenvertretung gefragt!

Sich für andere zu engagieren kostet Kraft, Zeit und Nerven.  Arbeitsrecht, Sozialrecht, und "nebenbei" auch noch der eigene Job – wer kann das alles überschauen? Hoffentlich konnte ich Ihnen hier einen kurzen Überblick verschaffen. Bei weitergehenden Fragen können Sie mich gerne kontaktieren!


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