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Zahnarzthaftung: Verlust der Bissmodelle bringt keine Beweiserleichterung bei CMD

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Ca. 12 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer Fehlstellung des Unterkiefers zum Oberkiefer. Das Erscheinungsbild der craniomandibulären Dysfunktion (CMD) kann sich in vielfältigen Symptomen zeigen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar auf ein zahnmedizinisches Problem schließen lassen. Zu den Beschwerden zählen meist ausstrahlende Schmerzen in Zähne, Mund, Gesicht, Kiefer, Nacken, Schulter, Rücken und in die Halswirbelsäule. Teilweise können damit auch Beschwerden des Beckens und der Hüfte einhergehen. Umso gravierender können die Folgen eines zahnärztlichen Behandlungsfehlers sein, wenn eine fehlerhafte Okklusion vorliegt. Die CMD ist ein Überbegriff für strukturelle, funktionelle, biochemische und psychische Fehlregulationen der Muskel- oder Gelenkfunktion der Kiefergelenke.

Das OLG Köln (Urteil des OLG Köln vom 19.11.2014 – 5 U 166/12) hatte darüber zu entscheiden, ob durch die zahnmedizinische Behandlung eine fehlerhafte Veränderung des Bisses und eine fehlerhafte Okklusion vorlagen. Zudem lag das Bissmodell beim behandelnden Zahnarzt nicht mehr vor. Dadurch hat sich aber keine Beweiserleichterung zu Gunsten der Klägerin ergeben.

Zum Sachverhalt

Die Klägerin befand sich in zahnmedizinischer Behandlung bei dem Ehemann der Beklagten, welcher zwischenzeitlich verstorben ist. In 2003 versorgte er die Zähne der Klägerin nach der Anfertigung von Bissmodellen mit Inlays und (Teil-)Kronen. Da die Klägerin unter Schmerzen litt, glich sie die Rechnungen nicht aus und ließ sich ab 2004 von einem Nachbehandler versorgen. Die ursprünglich eingegliederte Versorgung wurde entfernt und Langzeitprovisorien eingegliedert. Es wurde eine CMD diagnostiziert. Auf dem Klagewege machte die Klägerin Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend mit der Begründung, der Ehemann der Beklagten habe ihren Biss fehlerhaft verändert, so dass sie nunmehr unter Schmerzen und mangelhafter Kaufunktion leide. Da die Bissmodelle verloren gegangen waren, stellte sich die Rekonstruktion sehr aufwendig dar.

Das OLG Köln konnte einen Behandlungsfehler nicht feststellen. Aus den erhobenen Befunden könne nicht auf eine fehlerhafte Veränderung des Bisses und Ausführung der Okklusion geschlossen werden. Vielmehr stellte das Gericht fest, dass bei der Klägerin zudem konkurrierende Faktoren vorlagen. So wurde sie seit 2003 sechs Mal an der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule operiert und befand sich in psychiatrischer Behandlung wegen einer depressiven Symptomatik. Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Befundsicherungs- und Dokumentationspflicht kamen der Klägerin nicht zugute, da die räumliche Zuordnung zwischen Ober- und Unterkiefer nach einer Präparation unabdingbar neu erfolgen müsse. Die verlorenen Ausgangsmodelle hätten daher ohnehin nicht genutzt werden können.

Weitere Entscheidungen zu dem Erkrankungsbild CMD

Aufgrund des Erkrankungsbildes craniomandibuläre Dysfunktion wurden in den vergangenen Jahren vermehrt Gerichtsverfahren geführt. Sofern eine vorbestehende CMD diagnostiziert wurde, hat die bisherige Rechtsprechung – insbesondere der 5. Senat des OLG Köln – klar umrissene Behandlungsstandards entwickelt: Die CMD muss vor einer zahnärztlichen Versorgung behandelt werden, andernfalls lieg ein grober Behandlungsfehler vor, vgl. OLG Köln Urt. v. 23.08.2006 – 5 U 22/04.

Anders verhält es sich, wenn das Erkrankungsbild der CMD erst während oder nach der prothetischen Behandlung auftritt und eine Diagnose im Vorfeld in nicht zu beanstandender Weise unterblieben ist. Eine Verletzung des zahnärztlichen Standards liegt dann nicht vor, vgl. OLG Köln, Beschl. v. 02.05.2011 – 5 U 10/11.

Beweislast trägt der Patient

Grundsätzlich trägt der Patient bei Arzthaftungsprozessen die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, für seinen Schaden und für die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers. Da dies dem Patienten oftmals kaum möglich ist, hat die Rechtsprechung zur Gewährung prozessualer Waffengleichheit zahlreiche Beweiserleichterungen zu Gunsten des Patienten entwickelt.

Dazu zählen folgende Rechtsinstitute:

  • der Anscheinsbeweis
  • das voll beherrschbare Risiko
  • die Dokumentationspflichtverletzung
  • der grobe Behandlungsfehler
  • der fundamentale Diagnosefehler
  • der Befunderhebungsmangel
  • das Auswahl- und Überwachungsverschulden beim Arztanfänger
  • das Übernahmeverschulden

Notwendigkeit eines spezialisierten Rechtsanwalts

Es ist demnach unerlässlich, bei dem Verdacht eines Behandlungsfehlers einen darauf spezialisierten Rechtsanwalt zu konsultieren und die Rechtslage prüfen zu lassen. Dieser berät Sie in Ihrem konkreten Fall über Ihre Ansprüche und die Erfolgsaussichten deren Durchsetzung.



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