Corona-Krise: Bundesverfassungsgericht entscheidet erstmals in der Sache - Eilantrag ohne Erfolg

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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Eilantrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen und über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie abgelehnt (BVerfG, Beschluss vom 07. April 2020 - 1 BvR 755/20).

Im Gegensatz zu vorangegangen Verfahren beim BVerfG, die bereits auf der "ersten Prüfungsstufe" der Zulässigkeit gescheitert waren, hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr erstmals in der "zweiten Prüfungsstufe" in der Sache entschieden. Der Antrag hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

1. Der Eilantrag wurde als zulässig angesehen

Der Beschwerdeführer wurde insbesondere nicht darauf verwiesen, zunächst verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, was normalerweise grundsätzlich notwendig ist (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Diese Anforderung hielt das BVerfG hier aber für gegenwärtig unzumutbar, weil die vorherige Anrufung der Fachgerichte derzeit „offensichtlich sinn- und aussichtslos“ ist. Praktischer Hintergrund ist, dass Bayerische Fachgerichte diesbezügliche Eilanträge bereits in anderen Fällen abgelehnt hatten.

2. Der Eilantrag wurde als in der Sache unbegründet abgewiesen

Es ist wichtig zu wissen, dass auch bei Eilanträgen vor dem BVerfG gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG bei – wie hier - offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage einer Folgenabwägung entschieden wird. Im Verfassungsprozessrecht wird ein strenger Maßstab angelegt. Entsprechende Anträge haben in der Praxis daher nur selten Erfolg. So war es auch hier.

a) Für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprachen nach Ansicht des BVerfG folgende Argumente:

(1) Die angegriffenen Maßnahmen verkürzen die grundrechtlich geschützten Freiheiten, weil derzeit etwa keine Partnerschaft angebahnt werden kann, nicht mit anderen musiziert werden kann und nicht demonstriert werden kann.

(2) Die angegriffenen Maßnahmen beschränken die Grundrechte der Menschen, die sich in Bayern aufhalten, erheblich. Sie geben vor, den unmittelbaren körperlichen Kontakt und weithin auch die reale Begegnung zu beschränken oder ganz zu unterlassen. Sie untersagen Einrichtungen, an denen sich Menschen treffen, den Betrieb. Sie verbieten es, die eigene Wohnung ohne bestimmte Gründe zu verlassen. Diese Einschränkungen sind mit erheblichen und voraussichtlich teilweise auch irreversiblen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen verbunden.

b) Gegen den Erlass der einstweiligen Anordnung sprachen nach Ansicht des BVerfG folgende Argumente:

(1) Ergeht die beantragte einstweilige Anordnung und hätte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen so verhalten, wie es mit den angegriffenen Regelungen unterbunden werden soll, obwohl diese Verhaltensbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar wären. So dürften dann insbesondere Einrichtungen, deren wirtschaftliche Existenz durch die Schließungen beeinträchtigt wird, wieder öffnen, viele Menschen ihre Wohnung häufiger verlassen und auch der unmittelbare Kontakt zwischen Menschen häufiger stattfinden. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach derzeitigen Erkenntnissen erheblich erhöhen.

(2) Es ist nicht erkennbar, dass die Folgen einer Fortgeltung der angegriffenen Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie in einem Maße untragbar wären, dass ausnahmsweise eine geltende Regelung im Eilrechtsschutz außer Vollzug gesetzt werden müsste.

c) Zusammenfassend abwägend führte das BVerfG dann aus:

(1) Die hier geltend gemachten Interessen sind gewichtig, erscheinen aber nach dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es unzumutbar erschiene, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist (Eigene Anmerkung des Verfassers: gemeint ist die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

(2) Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist.

3. Eigene Bewertung und Folgen für die Praxis

  • Die Entscheidung legt - in Fortführung der Rechtsprechungslinie der Fachgerichte - dar, dass die gebotene Folgenabwägung zulasten des Antragstellers ausgehen muss. Der Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist - bei den hier vorliegenden staatlichen Maßnahmen - höher zu gewichten, als die Interessen des Antragstellers.
  • Insoweit ist die Entscheidung nicht überraschend und enthält in der Sache auch keine Argumente, die nicht bereits von der Fachgerichtsbarkeit in den „Corona-Eilentscheidungen“ entwickelt worden wären. Ich hatte bereits an andere Stelle die These aufgestellt, „dass die in nächster Zeit zu erwartenden, weiteren Eilentscheidungen nicht anders [nämlich erfolglos] ausfallen werden“ (vgl. Rechtstipp Corona-Krise: Mindestabstandsgebot in Allgemeinverfügung der Stadt Hamburg: Eilantrag ohne Erfolg).
  • Ob bei in nächster Zeit zu erwartenden staatlichen Maßnahmen [siehe etwa: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/nachrichten/beschluesse-coronakabinett-20200406.pdf?__blob=publicationFile&v=1] die derzeitige Argumentationslinie aufrecht erhalten werden kann, oder ob nicht vielmehr das bisherige Abwägungsergebnis neu justiert bzw. zumindest diskutiert werden muss, bleibt ausdrücklich abzuwarten.

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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