Das Computergrundrecht in der Verfassungsbeschwerde

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Das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ wird auch als IT-Grundrecht, Grundrecht auf digitale Privatsphäre oder schlicht als Computergrundrecht bezeichnet. Es handelt sich dabei um das wohl neueste Grundrecht. Es stand, wie man sich schon denken kann, nicht schon 1949 im Grundgesetz.

„Erfindung“ des Bundesverfassungsgerichts

Das Besondere ist aber: Es steht bis heute nicht im Grundgesetz, sondern es wurde durch das Bundesverfassungsgericht „erfunden“. Freilich handelt es sich dabei auch nicht um eine reine Erfindung, sondern um eine richterliche Rechtsfortbildung aus bestehenden Grundrechtspositionen heraus. Das Computergrundrecht ist Teil des (modernen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das wiederum aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) abgeleitet wird.

Diese Gleichung „allgemeine Handlungsfreiheit + Menschenwürde = Computergrundrecht“ ist natürlich nicht völlig zwingend und jedem sofort einleuchtend. Insofern ist es schon eine eigene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, hieraus ein solches Grundrecht zu erkennen – oder eben zu erfinden.

Grundlegende Entscheidung aus dem Jahr 2008

Das Grundrecht ergänzt das Telekommunikationsgeheimnis und das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie unter gewissen Umständen die Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Bundesverfassungsgericht hat in der ersten Entscheidung, mit der es dieses Grundrecht angenommen hat (Urteil vom 27.02.2008, Az. 1 BvR 370/07), Folgendes ausgeführt:

Aus der Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung und aus den Persönlichkeitsgefährdungen, die mit dieser Nutzung verbunden sind, folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis. Der Einzelne ist darauf angewiesen, dass der Staat die mit Blick auf die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung berechtigten Erwartungen an die Integrität und Vertraulichkeit derartiger Systeme achtet. Die grundrechtlichen Gewährleistungen der Art. 10 und Art. 13 GG wie auch die bisher in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tragen dem durch die Entwicklung der Informationstechnik entstandenen Schutzbedürfnis nicht hinreichend Rechnung.

Das BVerfG stellt also zunächst fest, dass das Internet heute eine bedeutende Rolle im Leben der Bürger spielt. Daher braucht der Einzelne auch insoweit Schutz vor Übergriffen des Staates. Insbesondere darf der Staat die „Integrität“ des Internets nicht untergraben.

Die angegriffenen staatlichen Maßnahmen waren z. B. Online-Durchsuchungen, das Einschleusen verdeckter Ermittler in Chats, das Auslesen von Passwörtern, das Mitschneiden von Kommunikation u. ä.

Eingriffe bleiben möglich

Diese Möglichkeiten waren im konkreten Fall im Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehen, wurden aber zu dieser Zeit in allen Ländern und auch auf Bundesebene diskutiert, teilweise auch zugunsten regulärer Ermittlungsbehörden.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde nun festgestellt, dass diese Maßnahmen in das Computergrundrecht eingreifen. Dieser Eingriff ist grundsätzlich möglich, das BVerfG verlangt jedoch verschiedene Voraussetzungen dafür:

  • Zunächst muss eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage hierfür gegeben sein. Eine Staatsanwaltschaft darf also nicht einfach aus eigener Entscheidung solche Maßnahmen ergreifen, sondern muss durch ein Gesetz ermächtigt sein.
  • Die Ermächtigung ist zur Kriminalitätsbekämpfung zulässig, sowohl zur Verhinderung als auch zur Aufklärung von Straftaten.
  • Allerdings muss die konkrete Handlung durch einen Richter genehmigt werden und im Hinblick auf die Schwere der (möglichen) Straftaten verhältnismäßig sein.

Nach diesem ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008 sind nur noch sehr wenige Entscheidungen dazu zu verzeichnen. Gleichzeitig muss man sich bei jeder staatlichen Überwachungsmaßnahme in Bezug auf das Internet fragen, ob diese den Maßgaben dieses Grundrechts genügt.

Verfassungsbeschwerde kann Einzelfall überprüfen

Mittlerweile wurden entsprechende Rechtsnormen eingeführt, diese müssen aber – wie oben dargelegt – auch noch verfassungskonform ausgelegt werden. Dies kann im Einzelfall durch eine Verfassungsbeschwerde überprüft werden.

Soweit die Überwachung zu keinen belastenden Ergebnissen führt, kann trotzdem deren Rechtswidrigkeit festgestellt werden, soweit ein weiteres Bedürfnis dafür besteht. Hier muss man natürlich Aufwand, Kosten und persönliches Interesse daran abwägen. Gleichzeitig kann es aber sinnvoll sein, ein Zeichen zu setzen, falls man weitere staatliche Maßnahmen in der Zukunft befürchtet.

Wird dagegen bspw. jemand verurteilt, weil im Rahmen einer Internetüberwachung Informationen über ihn gewonnen wurden, dann muss im Strafverfahren (bis hin zur Revisionsinstanz) geltend gemacht werden, dass diese Erkenntnisse nicht verwertbar sind. Wird er trotzdem rechtskräftig verurteilt, kann die Sache vor das Verfassungsgericht gehen.

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