Herabsetzung von Krankentagegeld bei gesunkenem Nettoeinkommen unwirksam – Prüfen Sie Ihre Ansprüche

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Der BGH hat am 6.7.2016 entschieden, dass die Musterbedingung der Krankentagegeldversicherung zur Möglichkeit der einseitigen Herabsetzung des Krankentagegeldes durch den Versicherer, § 4 Abs. 4 MB/KT 2009, wegen Intransparenz unwirksam ist. Von dieser Entscheidung dürften viele Versicherte betroffen sein, die im laufenden Leistungsfall nach Angabe ihres letzten Nettoeinkommens über 12 Monate Kürzungen des Krankentagegeldes durch eine Herabsetzung hinnehmen mussten.

Der Kläger, ein selbständiger Ofensetzer- und Fliesenlegermeister, begehrte die Feststellung, dass seine Versicherungsgesellschaft die bestehende Krankentagegeldversicherung mit einem Tagessatz in der ursprünglichen vereinbarten Höhe von 100 € nicht auf 62 € wegen eines zwischenzeitlich gesunkenen Nettoeinkommens herabsetzen darf.

Der Versicherer hatte die Herabsetzung mit folgender Vertragsklausel begründet:

§ 4 MB/KT lautet auszugsweise:

„Umfang der Leistungspflicht

...

(2) Das Krankentagegeld darf zusammen mit sonstigen Krankentage- und Krankengeldern das auf den Kalendertag umgerechnete, aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Nettoeinkommen nicht übersteigen. Maßgebend für die Berechnung des Nettoeinkommens ist der Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sofern der Tarif keinen anderen Zeitraum vorsieht.

(3) Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich eine nicht nur vorübergehende Minderung des aus der Berufstätigkeit herrührenden Nettoeinkommens mitzuteilen.

(4) Erlangt der Versicherer davon Kenntnis, dass das Nettoeinkommen der versicherten Person unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Einkommens gesunken ist, so kann er ohne Unterschied, ob der Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder nicht, das Krankentagegeld und den Beitrag mit Wirkung vom Beginn des zweiten Monats nach Kenntnis entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen herabsetzen. Bis zum Zeitpunkt der Herabsetzung wird die Leistungspflicht im bisherigen Umfang für eine bereits eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht berührt.“

Allgemeine Versicherungsbedingungen, wie die vorstehende Versicherungsklausel, sind nun so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Auszugehen ist von einem Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, womit es auch auf seine Interessen ankommt.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann erkennen, so der BGH, dass das in § 4 Abs. 4 MB/KT geregelte Anpassungsrecht das Versprechen des Versicherers ergänzt, infolge bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit des Versicherungsnehmers entstandene Verdiensteinbußen auszugleichen. Dieses „Entschließungsermessen“ des Versicherers (er kann aber muss nicht herabsetzen) bewirkt nach Auffassung des BGH keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Den Argumenten des Berufungsgerichts (OLG Karlsruhe – 23.12.2014 – AZ: 9a U 15/14) zur unangemessenen Benachteiligung ist der BGH nicht gefolgt.

Aber er bestätigt die Auffassung, dass die in § 4 Abs. 4 MB/KT getroffene Regelung intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und damit unwirksam ist.

Das Transparenzgebot verlangt vom Versicherer, Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers klar und durchschaubar darzustellen. Eine Klausel muss nicht nur verständlich sein, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit wie möglich erkennen lassen.

Das ist bezüglich der Anpassungsklausel § 4 Abs. 4 MB/KT nicht gegeben.

Für den Versicherungsnehmer ist nämlich nicht klar zu entnehmen, welcher Bemessungszeitpunkt und -zeitraum für den gebotenen Vergleich des dem Vertrage ursprünglich zugrunde gelegten mit dem gesunkenen Nettoeinkommen maßgeblich sein soll. Insbesondere ist aus der Klausel auch nicht erkennbar, von welcher Dauer eine Einkommensminderung nach Vertragsschluss sein muss und ab wann er die Minderung melden muss.

Zudem lässt die Klausel offen, wie sich dieses „Nettoeinkommen“ bei beruflich selbständigen Versicherungsnehmern zusammensetzt. Der Begriff des „Nettoeinkommen“, welches die Grundlage der Vergleichsbetrachtung bilden soll, ist nicht eindeutig, er ist in den Versicherungs- und Tarifbedingungen des Beklagten nicht eigenständig definiert und kann daher nur im Wege der Auslegung erschlossen werden, eine Auslegung ist vielfach möglich. Damit kann keine Transparenz, Klarheit, vorliegen.

Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit des § 4 Abs. 4 MB/KT bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Versicherungsvertrages im Übrigen, § 306 Abs. 1 BGB.

Für die (auch in der Vergangenheit betroffenen) Versicherungsnehmer bedeutet dies, dass sie auch rückwirkend noch gegen die Herabsetzung des Krankentagegeldes vorgehen können und eine rückwirkende Vertragsanpassung auf den alten Stand des Tagessatzes verlangen können.

Sofern in der Vergangenheit (jedenfalls seit dem 1.1.2013) der Krankentagegeldversicherer den Tagessatz herabgesetzt und nur das geminderte Krankentagegeld geleistet hat, können die Differenzen und (auch Zinsen als Verzugsschaden) nachgefordert werden.

Das Urteil ist nachzulesen:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=5db0d7a0e28b36ab39b550d829c37145&nr=75439&pos=0&anz=1

Kornelia Punk

Fachanwältin für Versicherungsrecht

Wir vertreten bundesweit.


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