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Scheinselbständigkeit und Sozialversicherung

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Das Statusfeststellungsverfahren ab 1. April 2022

Durch die gestiegene Zahl von Kleinstgründungen hat das Thema Scheinselbständigkeit hohe Aktualität. Von den in 2018 und 2019 optional durchgeführten Statusfeststellungsverfahren wurde in über einem Drittel der Fälle eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung beschieden. Dem Auftraggeber droht hier die Nachzahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge inklusive der Arbeitnehmeranteile. Umso wichtiger ist es für alle Beteiligten, Klarheit darüber zu haben, ob ein Beschäftigungsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. 

Abgrenzung selbständige Tätigkeit und Beschäftigungsverhältnis

Gemäß Gesetzesdefinition ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. 

In Abgrenzung dazu ist jemand im Allgemeinen selbständig, der im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelt, ein unternehmerisches Risiko trägt sowie unternehmerische Chancen wahrnehmen kann. 

Was kann für eine Scheinselbständigkeit sprechen?

Diese allgemeinen Kriterien wurden von der Rechtsprechung im Laufe der Zeit konkretisiert und weiterentwickelt. Die Abgrenzung erfolgt aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Einzelne zutreffende Aspekte führen nicht automatisch zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis können sprechen:

1. Der Auftragnehmer beschäftigt im Zusammenhang mit der Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 450 Euro übersteigt.

2. Der Auftragnehmer ist im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Ein Auftragnehmer ist dann „im Wesentlichen“ nur für einen Auftraggeber tätig, wenn er aus dieser Tätigkeit ca. 80 % seiner gesamten Einkünfte erzielt.

3. Die Aufträge sind Ersatz für Arbeitnehmer (z.B. Urlaubs- Krankheitsvertretungen).

4. Die Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns, wie zum Beispiel Internetauftritt, Briefkopf, Ausgewogenheit der unternehmerischen Chancen und Risiken, nicht erkennen.

5. Die Tätigkeit wurde zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt.

6. Der Auftragnehmer ist nicht befugt, die Arbeitsleistung auf andere zu delegieren.

7. Der Auftraggeber hat weitreichende Kontroll- und Mitspracherechte sowie jederzeitige Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeiten.

8. Der Auftragnehmer unterliegt umfangreichen Berichtspflichten.

9. Der Auftragnehmer hat keine eigene Betriebsstätte.

10. Es besteht die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten.

Eine amtliche Eintragung (z. B. in die Handwerksrolle, Gewerbeeintragung) sowie eine besondere amtliche Genehmigung oder Zulassung stützen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit nicht wesentlich!

Das Vorhandensein von weiteren Auftraggebern ist sozialrechtlich (fast) ohne Bedeutung! 

Das Statusfeststellungsverfahren - Neuerungen

Das Statusfeststellungsverfahren gibt Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Ab dem 1. April 2022 erfährt das Verfahren grundlegende Änderungen. 

Es wird nicht mehr über die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen entschieden, sondern über den Erwerbsstatus, d.h. die Frage, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. 

Des Weiteren erstreckt sich die Beurteilung ab diesem Zeitpunkt auf das gesamte Auftragsverhältnis. Wird die vereinbarte Tätigkeit für einen Dritten erbracht, wird im Falle des Vorliegens einer Beschäftigung/Selbständigkeit auch festgestellt, ob das Beschäftigungsverhältnis/ die Selbständigkeit zu dem Auftraggeber oder dem Dritten besteht. 

Wichtig für viele Auftraggeber und Auftragnehmer ist, dass die Entscheidung zukünftig auf Antrag auch vor Beginn der Tätigkeit getroffen werden kann (Prognoseentscheidung). Des Weiteren ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Gruppenfeststellung möglich. 

Die drei letztgenannten Neuerungen werden aber laut Gesetzgeber zum 30. Juni 2027 bereits wieder außer Kraft treten. 

Diese verfahrensrechtlichen Änderungen sind in der Praxis aber auch mit deutlichen Nachteilen verbunden, die bekannt sein müssen.

Verschiebung der Versicherungspflichten

Wie bisher kann bei neu geschlossenen Verträgen der Beginn des Beschäftigungsverhältnisses durch das Anfrageverfahren auf den Zeitpunkt verschoben werden, zu dem die Entscheidung bekannt gegeben wird (dass es sich um einen Beschäftigten handelt). Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Verschiebung möglich wird:

1. Der Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus wird innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt.

2. Der Beschäftigte stimmt dem späteren Versicherungsbeginn zu und

3. Der Beschäftigte besitzt für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine bestehende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen.

Auch hier ergeben sich in der Praxis einige Fallstricke, die beachtet werden müssen.

Das Antragsverfahren

Es ist zu unterscheiden zwischen dem optionalen Antragsverfahren, bei dem die Vertragsparteien aus eigener Initiative den Antrag auf ein Statusfeststellungsverfahren stellen, um Rechtssicherheit zu erlangen und dem obligatorischen Verfahren, welches per Gesetz vorgeschrieben ist. 

Beim optionalen Verfahren haben sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer oder beide gemeinsam die Möglichkeit den Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu stellen. Die Möglichkeit des Anfrageverfahrens entfällt, wenn von amtlicher Seite bereits eine Prüfung durchgeführt oder eingeleitet wurde.

Beim obligatorischen Verfahren leitet die Einzugsstelle (die Krankenkasse) bei Meldung einer Tätigkeit eines Ehegatten, Lebenspartners, Kindern, Enkeln oder eines geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters automatisch ein Statusfeststellungsverfahren ein.

Folgen einer Scheinselbständigkeit

Wird erst rückwirkend, z.B. im Rahmen einer Prüfung, festgestellt, dass der Auftragnehmer scheinselbständig ist, müssen die Gesamtsozialversicherungsbeiträge ab Beginn der Beschäftigung bis zur Grenze der Verjährung rückwirkend durch den Auftraggeber gezahlt werden. Das umfasst auch die Arbeitnehmerbeiträge. 

Diese können vom Auftraggeber nur maximal in den nachfolgenden drei Lohnabrechnungszeiträumen vom Auftragnehmer nachgefordert werden und auch nur für den Betrag über der Pfändungsfreigrenze. Ist der Auftragnehmer nicht mehr für den Auftraggeber tätig oder verdient er nicht über der Pfändungsfreigrenze, besteht keine Rückforderungsmöglichkeit. 

Darüber hinaus drohen Bußgelder und Strafverfahren.

Rat des Experten für Sozialversicherungsrecht

Wenn Sie mit Kleinunternehmern (z. B. Freiberufler, Handelsvertreter) zusammenarbeiten, sollten Sie genau prüfen, ob die Kriterien einer Scheinselbständigkeit zutreffen könnten. Bei neu zu schließenden Verträgen raten wir zur Beantragung eines Statusfeststellungsverfahrens mit fachkundiger Unterstützung. 

Wir raten davon ab, ohne vorherige Beratung ein Statusverfahren einzuleiten.

Wir helfen gerne - bundesweit !

Bitte beachten Sie unser Beratungsangebot:

https://www.etl-rechtsanwaelte.de/statuspruefstelle


Foto(s): ETL RA GmbH

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