⚖️ Geringe, normale und nicht geringe Menge – Rechtsprobleme bei der Wirkstoffschätzung im Betäubungsmittelstrafrecht
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Im Betäubungsmittelstrafrecht ist die Einordnung einer sichergestellten oder behaupteten Drogenmenge als gering, „normal“ oder nicht gering von zentraler Bedeutung für die Strafbarkeit, den anwendbaren Straftatbestand und insbesondere den drohenden Strafrahmen. Die Unterscheidung richtet sich nicht nach dem Gewicht der Substanz an sich, sondern nach dem Wirkstoffgehalt des enthaltenen psychoaktiven Bestandteils – etwa THC bei Cannabis oder Kokainhydrochlorid bei Kokain.
🔍 Die drei Mengenkategorien im Überblick:
Geringe Menge:
Wird regelmäßig für Eigenkonsum verwendet; sie kann unter bestimmten Bedingungen zur Straflosigkeit oder zur Einstellung des Verfahrens führen (§§ 29 Abs. 5, 31a BtMG).„Normale“ Menge:
Deckt den Regelfall ab; Strafandrohung gemäß § 29 Abs. 1 BtMG – Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren.Nicht geringe Menge:
Führt zur Anwendung der Verbrechenstatbestände der §§ 29a, 30, 30a BtMG, mit Mindestfreiheitsstrafen von 1 bis 5 Jahren.
📌 Beispiel: Bei Heroin liegt die Grenze zur nicht geringen Menge bei 1,5 g Wirkstoff (nicht Reinsubstanz!), bei Kokain bei 5 g, bei THC (Cannabis) bei 7,5 g.
⚠️ Problematisch: Die Wirkstoffschätzung bei unsicherer Qualität
In der Praxis ist häufig nicht die gesamte Betäubungsmittelmenge sichergestellt – oder es liegen keine verlässlichen chemischen Gutachten vor. Dann erfolgt die Einordnung oft auf Basis von Erfahrungswerten, polizeilichen Einschätzungen oder Zeugenaussagen zur „Qualität“ der Droge.
Rechtliche Risiken:
Schätzungen auf Basis statistischer Durchschnittswerte ohne konkrete Belege verletzen das strafprozessuale Prinzip „in dubio pro reo“ (Zweifelsgrundsatz).
Allgemeine Angaben wie „gute Qualität“ oder „stark gestreckt“ sind ohne genaue Prozentangabe nicht belastbar.
Auch im Fall eines Geständnisses oder einer Verständigung (§ 257c StPO) darf auf ein Wirkstoffgutachten nicht verzichtet werden, wenn es für die Strafhöhe maßgeblich ist.
✅ Verteidigungshinweis:
In Fällen, in denen keine Sicherstellung erfolgte, sollten Verteidiger auf eine konkrete und niedrigstmögliche Wirkstoffschätzung bestehen.
Wird die Qualität allein durch Zeugenaussagen oder Preisangaben bestimmt, ist eine genaue Nachprüfung der Plausibilität geboten.
Es kann sinnvoll sein, lokale Marktkenntnisse (z. B. durch Streetworker, andere Verfahren) zu nutzen, um eine niedrigere Einschätzung zu stützen.
📌 Beispiel:
Wenn ein Beschuldigter angibt, Cannabis „mittlerer Qualität“ gekauft zu haben, darf nicht automatisch ein Wirkstoffgehalt von 5 % THC angenommen werden. Der BGH verlangt, dass in solchen Fällen nur der untere Rand(z. B. 2 %) als Grundlage für die Strafzumessung dienen darf.
Fazit:
Die Einordnung der Betäubungsmittelmenge nach dem Wirkstoffgehalt ist rechtsdogmatisch zwingend, in der Praxis aber häufig unsicher oder spekulativ. Ohne gesicherte chemische Analyse sind Schätzungen mit hoher Vorsicht zu behandeln. Bei Zweifeln ist zugunsten des Beschuldigten stets die niedrigstmögliche Wirkstoffmenge anzusetzen – ein entscheidender Punkt, um überhöhte Strafrahmen zu vermeiden oder eine „nicht geringe Menge“ rechtlich zu unterlaufen.
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