Kindesentführung nach Polen und HKÜ-Verfahren in Polen

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In dem vorliegenden Artikel möchte ich auf das das rechtliche Problem der Kindesentführung nach Polen und das gerichtliche Verfahren aufgrund des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (weiter genannt: HKÜ) eingehen.

Leider kommt es immer häufiger vor, dass ein Elternteil im Zusammenhang mit familiärem Konflikt das gemeinsame Kind ohne Wissen und Zustimmung des zweiten Elternteils ins Ausland bringt (meistens ins Heimatland des entführenden Elternteils). Was kann der zurückgebliebene Elternteil, dessen Kind nach Polen entführt wurde, in solch einem Fall unternehmen? Auf welche Art und Weise kann er Rechtsschutz vor solchen widerrechtlichen Handlungen finden?

Rechtliche Schritte im Fall einer Kindesentführung in Polen

Die rechtliche Vorgehensweise in solchen Fällen ist im Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen HKÜ bestimmt. Das vorerwähnte Übereinkommen wurde sowohl von Polen als auch von Deutschland ratifiziert und in Kraft gesetzt. Der vorgenannte Rechtsakt definiert, wann wir mit widerrechtlicher Entführung des Kindes zu tun haben. Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und

b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Wenn die o. g. Bedingungen vorlegen und das Kind nach Polen entführt wurde, kann sich der zurückgebliebene Elternteil an das zuständige polnische Gericht um die sofortige Rückgabe des Kindes wenden. Hierzu sollte man den entsprechenden Antrag an die zuständige zentrale Behörde des Staates des bisherigen Aufenthaltsortes des Kindes einreichen (für Deutschland ist das Bundesamt für Justiz – Zentrale Behörde für internationale Sorgerechtskonflikte in Bonn). Die zentrale Behörde soll unverzüglich den Antrag an die zuständige Behörde des Zufluchtsstaates weiterleiten. Dann wird der Antrag direkt an das zuständige Amtsgericht des aktuellen Aufenthaltsortes des Kindes in Polen übergeben. Zu beachten ist, dass im gerichtlichen Verfahren bzgl. des Antrags auf Rückgabe des Kindes auch Vorschriften der polnischen Zivilprozessordnung Anwendung finden. Aus diesem Grund kann die Bestellung eines polnischen Rechtsanwalts von dem Antragsteller nötig sein – auf jeden Fall würde ich das empfehlen.

Manchmal ist es nicht leicht, festzustellen, wohin das Kind entführt wurde. Meistens kann aber der zurückgebliebene Elternteil vermuten, in welchem Staat sich das Kind befindet. In einigen Fällen kann es problematisch sein, den genauen Aufenthaltsort (d. h. die genaue Anschrift) des Kindes festzustellen, besonders geht es um die Länder ohne Meldepflicht. In Polen besteht zum Glück Meldepflicht, dazu kommt es noch häufig vor, dass der entführende Elternteil das Kind im neuen Aufenthaltsort anmeldet und dadurch versucht er rechtswidrige Kindesentführung zu „legalisieren“. Bei Bedarf kann man sich auch an die zentrale Behörde wenden, um die Hilfe bei der Feststellung des Aufenthaltsortes des Kindes.

Die Bestimmungen des HKÜ verlangen eine zügige Erledigung im Fall des Rückführungsverfahrens. Leider ist das in Polen nur eine Theorie, die sich von der Praxis deutlich unterscheidet. In Polen gibt es ein großes und bekanntes Problem mit der langen Verfahrensdauer, was leider auch das Rückführungsverfahren beeinflusst. Es muss auch betont werden, dass das Verfahren auch durch prozessuale Spitzfindigkeiten und zahlreiche Beweisanträge des entführenden Elternteils verzögert werden kann.

Versagungsgründe der Rückführung

Im Prinzip soll das Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes anordnen, wenn die Bedingungen der widerrechtlichen Kindesmitnahme im Sinne des Abkommens erfüllt sind. Jedoch sieht das HKÜ auch Versagungsgründe zur Rückführung eines Kindes. Diese bestehen, wenn:

a) bis zum Eingang des Antrags bei Gericht mehr als ein Jahr verstrichen ist und das Kind sich in die neue Umgebung eingelebt hat

b) die Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte

c) der zurückgebliebene Elternteil zum Zeitpunkt des widerrechtlichen Verbringens bzw. Zurückhaltens kein Sorgerecht oder Mitsorgerecht hatte;

d) der zurückgebliebene Elternteil sein Sorgerecht zum Zeitpunkt des widerrechtlichen Verbringens bzw. Zurückhaltens nicht tatsächlich ausgeübt hat;

e) der zurückgebliebene Elternteil dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich gebilligt hat;

f) das einsichtsfähige Kind sich der Rückkehr ernsthaft widersetzt;

In Bezug auf die vorgenannten Versagungsgründe muss aber beachtet werden, dass zwischen EU-Mitgliedstaaten die Rückführung nicht verweigert werden darf, wenn nachgewiesen wird, dass angemessene Vorkehrungen getroffen sind, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten (diese Regelung ergibt sich aus dem Artikel 11 Abs. 4 der Brüssel II a-Verordnung).

In der Praxis sind während des Rückführungsverfahren die Versagungsgründe der Punkte a) und b) von größter Bedeutung.

Der Antrag auf die Rückführung soll möglichst schnell gestellt werden. Es ist von großer Bedeutung, dass dieser vor einem Jahr seit der Entführung bei dem zuständigen Gericht eingeht. Wenn bis Eingang des Rückführungsantrags mehr als ein Jahr verstrichen ist, kann bei dem Verfahren festgestellt werden, dass das Kind sich in neue Umgebung eingelebt hat. Anschließend kann dies zur Ablehnung des Antrags führen (Versagungsgrund vom Punkt a)). Besonders kann der Versagungsgrund bei älteren Kindern vorlegen, die beispielsweise seit über einem Jahr die Schule in Polen besuchen und neuen Freundeskreis haben.

Sehr oft wird von dem entführenden Elternteil in dem Rückführungsverfahren angesprochen, dass die eventuelle Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte. Das polnische Gericht kann in solchen Fällen die psychologische Beurteilung des Kindes und dessen Eltern anordnen. Das Kind wird von gerichtlichen Psychologen untersucht, damit festgestellt wird, wie sich das Kind an die neue Umgebung gewöhnt hat und welche körperliche oder seelische Konsequenzen die Rückführung verursachen kann. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit HKÜ-Verfahren lässt sich das Fazit ziehen, dass die Verweigerung der Rückführung wahrscheinlicher ist, wenn sich das Kind seit langem an dem neuen Aufenthaltsort befindet und sich richtig in neuer Umgebung eingelebt und eingewöhnt hat – beispielsweise durch Schulbesuch oder neuen Freundkreis. Das Alter des Kindes hat dabei auch große Bedeutung. Das Gericht kann insbesondere die Rückführung verweigern, wenn das Kind älterer und emotional entwickelt ist.

Andererseits muss aber beachtet werden, dass die Verweigerung der Rückführung aufgrund des HKÜ nur eine Ausnahme sein soll, weil sonst das ganze Abkommen und dessen Bestimmungen in Praxis keine Bedeutung hätten. In einem interessanten Urteil Ende der 90er Jahre hat der polnische Oberste Gerichtshof darauf hingewiesen, dass allein die Trennung des Kindes von seiner Mutter grundsätzlich keine Grundlage für die Versagung der Rückführung des widerrechtlich entzogenen Kindes in seinen ursprünglichen Aufenthaltsort sein darf.

Praxis des HKÜ-Verfahrens in Polen und wichtige Hinweise

Für das Verfahren nach dem Haager Übereinkommen sind in Polen Vorschriften der polnischen Zivilprozessordnung (poln. Kodeks postępowania cywilnego) anwendbar. Früher war in Polen Verfahrensdauer ein großes Problem, die oft viel länger als 6 Wochen betrug. Glücklicherweise hat sich nach den jüngsten Änderungen des Gesetzes die Bearbeitung von Anträgen auf Rückgabe eines Kindes, die im Rahmen des Haager Übereinkommens gestellt wurden, erheblich beschleunigt. Gegenwärtig werden diese Anträge von  Bezirksgerichten bearbeitet, die für den Aufenthaltsort des Kindes in Polen zuständig sind (früher waren dafür Amtsgerichte befugt). An dem HKÜ-Verfahren muss auch der polnische Staatsanwalt teilnehmen. Das Bezirksgericht ist verpflichtet, den Fall innerhalb von 6 Wochen nach Einreichung des Antrags in erster Instanz zu verhandeln. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen kann ich sagen, dass die polnischen Gerichte in der Tat versuchen, solche Fälle so schnell wie möglich zu bearbeiten und ihnen Priorität einzuräumen. Sehr oft erfolgt die Korrespondenz des Gerichts mit den Parteien (und deren Anwälten) per E-Mail und Telefon. Die Gerichte erlegen den Parteien auch bestimmte verfahrensrechtliche Verpflichtungen auf, die sich aus den Bestimmungen der polnischen Zivilprozessordnung ergeben, wie z.B. die Verpflichtung, alle Angriffs- und Verteidigungsmittel in einer vom Gericht gesetzten Frist vorzubringen, unter Androhung, dass diese nach Ablauf der hierfür gesetzten Frist nicht zuzulassen sind. Sehr oft sind die vom Gericht gesetzten Fristen sehr kurz - z.B. 3 Tage, und es gibt sogar Fälle, in denen das Gericht innerhalb eines Tages eine bestimmte Reaktion der Partei (z.B. Stellungnahme, Beweisaufnahme) verlangt. Es ist deshalb wichtig, dass der deutschsprachige Antragsteller während des Verfahrens professionellen Rechtsbeistand durch einen deutschsprachigen polnischen Rechtsanwalt erhält, mit dem er problemlos auf Deutsch kommunizieren kann und der Erfahrung in solchen Verfahren hat.
Nach der Beschlussverkündung (dies kann entweder einen Beschluss sein, mit dem dem Antrag stattgegeben wird, oder eine Entscheidung, mit der der Antrag abgewiesen wird) ist das Bezirksgericht verpflichtet, innerhalb von 14 Tagen eine schriftliche Begründung des Beschlusses zu erstellen und diese den Parteien von Amts wegen zuzustellen. Leider ist der vom Gericht erster Instanz erlassene Beschluss, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird, beim derzeitigen Rechtsstand noch nicht vollstreckbar. Das bedeutet, dass die Rückgabe des Kindes erst dann vollstreckt werden kann, wenn der Beschluss rechtskräftig ist. Nach Zustellung der schriftlichen Begründung hat jede Partei die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts innerhalb von 14 Tagen beim Berufungsgericht in Warschau eine Berufung einzulegen (das Appelationsgericht/Oberlandesgericht in Warschau ist als Berufungsgericht für Bearbeitung der Berufung in HKÜ-Verfahren in ganz Polen zuständig). Nach dem Beschluss des Berufungsgerichts wird der Beschluss rechtskräftig und ist somit vollstreckbar (falls die Rückgabe des Kindes in das vorherige Land, aus dem das Kind entführt wurde, rechtskräftig angeordnet wurde).

Im Fall einer Entführung aus Deutschland werden von dem entführenden Elternteil oft die Gründe bezüglich des Jugendamts angeführt, auch wenn diese keinen direkten Bezug zu den in dem HKÜ genannten Versagungsgründen haben. Die vorerwähnte Institution hat in Polen leider keinen guten Ruf. In polnischen Medien gibt es viele Artikel und Berichte, die diese Institution in einem sehr schlechten Licht darstellen. Der entführende Elternteil argumentiert oft vor dem polnischen Gericht, dass das Jugendamt den Elternteil bevorzugen soll, der aus Deutschland kommt. Aus diesem Grund versucht der entführende Elternteil das Gericht davon zu überzeugen, dass das Kind nach der eventuellen Rückkehr nach Deutschland durch deutsche Institutionen entzogen wird und der polnische Elternteil in Deutschland nicht gleich und gerecht behandelt wird. Manchmal kommt es vor, dass dem Gericht während des HKÜ-Verfahrens verschiedene Presseartikel vorgelegt werden, die Geschichte der von dem Jugendamt angeblich benachteiligten polnischen Staatsbürger darstellen, obwohl das in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Sachverhalt und konkreten Verfahren steht. Das Ziel solcher Argumentation ist, Druck auszuüben und das polnische Gericht davon zu überzeugen, dass die Rückführung nach Deutschland in Wirklichkeit eine große Gefahr für das Kind sei, das aufgrund einer Entscheidung des deutschen Beamten seiner Mutter (meistens betrifft das diesen Elternteil) angeblich weggenommen werden kann. Diese Argumentation basiert also nicht auf Rechtsstand und Fakten, sondern meistens auf Emotionen. Polnische Gerichte kennen sich oft im deutschen Familienrecht und Sozialsystem nicht aus und wissen nicht, wie das alles in Praxis aussieht. Deswegen vertrete ich den Standpunkt, während des HKÜ-Verfahrens dem polnischen Gericht im Fall solch einer Argumentation der Gegenpartei zu erklären, was das Jugendamt ist, wofür genau diese Institution zuständig ist und über welche Befugnisse sie verfügt. Hierfür soll man auch in Verbindung mit dem zuständigen deutschen Jugendamt stehen. Meiner Ansicht nach ist es auch gut, den zuständigen Beamten vom Jugendamt darum zu bitten, die Tätigkeit dieser Institution zu beschreiben und eine offizielle Stellungnahme zu Vorwürfen des entführenden Elternteils abzugeben. Dann sollte solch eine offizielle schriftliche Stellungnahme dem polnischen Gericht vorgelegt werden. Es geht nämlich darum, mit allen Möglichkeiten die Argumentation der Gegenpartei zu bekämpfen und das polnische Gericht davon zu überzeugen, dass die deutschen Institutionen (insbesondere das Jugendamt) keine Gefahr für das entführende Kind darstellt, anders als die Gegenpartei argumentiert, und damit kein Versagungsgrund für die Rückführung vorliegt.

Die oben genannten Informationen stellen nur eine kurze Übersicht über das Problem der Kindesentführung und das HKÜ-Verfahren in Polen dar. Für weitere Fragen können Sie Kontakt mit meiner Anwaltskanzlei aufnehmen. Meine Kanzlei vertritt Mandanten aus deutschsprachigem Raum in solchen Verfahren in Polen und gewährleistet in diesem Bereich fachkompetente rechtliche Betreuung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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