Pflichtverteidiger bei gesetzlicher Betreuung – Unfähigkeit zur Selbstverteidigung

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Es hat sich vielleicht herumgesprochen, dass ein Pflichtverteidiger nicht wie bei der Prozesskostenhilfe nur deshalb beigeordnet wird, weil der Beschuldigte/Angeklagte nur ein geringes Einkommen hat. 

Vielmehr müssen gesetzliche Voraussetzungen, wie z. B. die Schwere der Tat oder sonstige Gründe vorliegen. Einer dieser sonstigen Gründe im Sinne von § 140 Abs. 2 Strafprozessordnung ist die sogenannte Unfähigkeit, sich selbst verteidigen zu können. 

Leider sperren sich noch viele Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte vor der Erkenntnis notwendiger Verteidigung bei Betreuungsfällen. Jene, die es erkennen wollen die Beiordnung trotzdem oft verzögern, um der Staatskasse Kosten zu sparen – zum Nachteil der Beschuldigten. Aber spätestens in der Beschwerde wird einem das Landgericht Recht geben und den Verteidiger beiordnen. 

Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk, Fachanwalt für Strafrecht in Coesfeld, erklärt nachfolgend für gerichtlich bestellte Betreuerinnen und Betreuer, Betreuungsbüros und natürlich die unter gesetzlicher Betreuung Stehenden selbst, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht. 

Unfähigkeit zur Selbstverteidigung

Der Beiordnungsantrag des einer Straftat Beschuldigten unter Betreuung wird mit fehlender Fähigkeit zur Selbstverteidigung begründet; § 140 Abs. 2 Satz 1 am Ende StPO. Je mehr Aufgabenbereiche von der gerichtlich angeordneten Betreuung umfasst sind, desto sicherer ist der Beiordnungsanspruch. Einzelne Aufgabenbereiche können bereits genügen.

Das gilt insbesondere bei Vorliegen eines Einwilligungsvorbehalts in Vermögensangelegenheiten. Das OLG Hamm hat unmissverständlich vorgegeben, dass in einem solchen Fall die notwendige Verteidigung auch dann vorliegt, wenn lediglich eine geringe Geldstrafe in Höhe von wenigen Tagessätzen droht. 

Dabei hat das OLG aus der Tatsache eines Einwilligungsvorbehalts für Vermögensangelegenheiten einen Erst-recht-Schluss gezogen, dass in Strafsachen keine Fähigkeit zur Selbstverteidigung gegeben ist: 

„Dass [der Angeklagte] bereits seit sieben Jahren außerstande war, seine zivilrechtlichen Angelegenheiten selbst zu regeln, legt … die Annahme nahe, er sei erst recht nicht in der Lage, sich in Strafverfahren selbst zu verteidigen.“ (OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 2003 – 2 Ss 439/03 –, Rn. 11, juris)

Bei Betreuung in Behördenangelegenheiten und vor Ämtern ist ein Verteidiger ebenfalls beizuordnen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2003, Az. 2 Ss 439/03 [„auch dann, wenn nur die Verurteilung zu einer geringfügigen Geldstrafe droht“]; LG Münster, Beschluss vom 26.08.2016, Az. 3 Qs 29/16; LG Bielefeld, Beschluss vom 09.06.2017, Az. 100 StVK 1905/17; LG Magdeburg, Beschluss vom 23.08.2017, Az. 21 Qs 54/17; LG Berlin, Beschluss vom 19.09.2018, Az. 502 Qs 102/18; LG Berlin, Beschluss vom 14.12.2015, Az. 534 Qs 142/15; LG Bonn, Beschluss vom 22.12.2014, 21 Qs-116 Js 1874/13-108/14).

Weitere Beiordnungsgründe können z. B. Minderbegabung oder diagnostizierte psychische Krankheiten sein. Dies sogar dann, wenn (noch) kein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde. 

Die Unfähigkeit zur Selbstverteidigung muss nicht positiv feststehen, da ein Pflichtverteidiger bereits dann beizuordnen ist, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (OLG Frankfurt, StV 84, 370).

Gerichtlich bestellter Betreuer ist kein Verteidiger! 

Gerne verweisen Amtsgerichte im Falle eines Antrags auf Beiordnung des Pflichtverteidigers darauf, es genüge der Beistand des Betreuers, um die Defizite des Angeklagten auszugleichen. 

Dem hat die Rechtsprechung eine Abfuhr erteilt. Der gesetzliche Betreuer darf für die Strafverteidigung nicht herangezogen werden, da dies, selbst wenn er Rechtsanwalt ist, nicht seine Aufgabe ist (LG Konstanz, Beschluss vom 27.05.2019 – 3 Qs 39/19). 

Abgesehen davon finden sich viele Betreuer, die gar nicht wissen, dass ihr Klient einen Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden kann – oder die aus sonstigen Gründen die Verteidigung solange es geht, selbst führen. 

Warum? Es ist nicht Aufgabe und nicht Wissensgebiet des Sozialarbeiters oder Pädagogen, die hochspezialisierte Tätigkeit eines Rechtsanwalts in Strafsachen auszuüben. Und gerade bei mehrfach vorbelasteten Klienten genügt es irgendwann nicht mehr, dass man sonst mit dem Richter gut klarkommt und bisher – unter erheblicher Zusatzarbeit – „gute Lösungen“ gefunden hat. 

Verteidigung bei gesetzlicher Betreuung – ab der ersten Beschuldigtenvernehmung!

Die Scheu von Betreuten und Betreuern, frühzeitig einen Verteidiger zu beauftragen, rührt unter anderem daher, dass im Ermittlungsverfahren in der Vergangenheit nur höchst selten Pflichtverteidiger bestellt wurden. Dies ändert sich jetzt. 

Nach Inkrafttreten der Neufassung der Strafprozessordnung im Dezember 2019 ist dem Beschuldigten bei Vorliegen eines Falls notwendiger Verteidigung, auf seinen Antrag hin unverzüglich ein Pflichtverteidiger beizuordnen; §§ 141 Abs. 1 Satz 1 i. V. m 140 Abs. 2 Strafprozessordnung. Also bereits im Ermittlungsverfahren.

Da gesetzliche Betreuung regelmäßig einen Fall notwendiger Verteidigung darstellt, siehe oben, ist nun also auf Antrag des Beschuldigten ab der ersten polizeilichen Vernehmung/Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Das Beste: Sie können sich Ihren Pflichtverteidiger selbst aussuchen! 

Lassen Sie sich keinen „Dauer-Pflichti“ von Amtsrichters Gnaden vor die Nase setzen! 

Der Pflichtverteidiger unterliegt zudem sogar dem Betreuer gegenüber der anwaltlichen Schweigepflicht. Sie können also auch im Falle gesetzlicher Betreuung oder sogar bei Beauftragung des Anwalts durch den Betreuer 100 Prozent sicher sein, dass die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gilt. Selbstverständlich arbeitet der Verteidiger aber mit dem Betreuer gemeinsam, falls Sie es erlauben. 

Schnelle Hilfe in Strafsachen

Es gibt also keinen Grund für Betreute, unverteidigt der Strafverfolgung entgegenzusehen. Es gibt keinen Grund für Betreuungspraxen und Betreuer, diese schwierige Aufgabe selbst zu übernehmen und dafür zusätzliche Zeit zu opfern. 

Ich prüfe kostenlos, ob Ihr Fall ein Fall notwendiger Verteidigung ist (Achtung: keine Beratung zur Sache selbst ohne Akteneinsicht möglich!).

Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk steht bundesweit, aber insbesondere im Kreis Coesfeld, Kreis Borken, Kreis Steinfurt, Kreis Unna und dem gesamten Münsterland für diese Art von Mandaten selbstverständlich zur Verfügung. Entsprechende Erfahrungen mit dem oft erhöhten Beratungsbedarf gesetzlich Betreuter kann er als versierter Strafverteidiger vorweisen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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