"Pokemon Go" – Produktsicherheit und Produkthaftung

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„Pokemon Go“ – ein wildes „ProdSG“ erscheint!

Gedanken zur Vereinbarkeit von „Pokemon Go“ und dem Produktsicherheitsgesetz: Die Jagd nach Pokemon boomt! Nach nur kurzer Zeit hat die App „Pokemon Go“ ähnlich viele Nutzer wie der Nachrichtendienst Twitter. Doch neben all dem Erfolg macht das Spiel von Nintendo und Niantic mehr und mehr mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam.

Die Nachrichten reichen dabei von Leuten, die bei Bedienung der App von Klippen fallen oder sich mitten in einem Schießtraining der Bundeswehr wiederfinden, über zahlreiche Verkehrsunfälle bis hin zu dem ersten Todesfall, weil ein Jugendlicher auf der Jagd nach einem seltenen Pokemon in ein fremdes Haus einzudringen versuchte und dabei erschossen wurde. Mittlerweile werden sogar die ersten Stimmen laut, die App zu verbieten und Iran und Malaysia sind diesen Rufen bereits gefolgt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht allein die Nutzer fahrlässig handeln, sondern ob die App „Pokemon Go“ selbst ein Gefährdungspotential darstellt und sich damit eventuell Schadensersatzansprüche der verletzten Nutzer ergeben.

Wie sicher also ist die App „Pokemon Go“?

Ein möglicher Maßstab für eine entsprechende Beurteilung in Deutschland könnte das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) darstellen. Produkte im Sinne dieses Gesetzes sind gemäß § 2 Nr. 22 Waren, Stoffe oder Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind. Ob auch Softwareprogramme und damit ebenso Apps für Smartphones unter diese Definition fallen, ist mangels einschlägiger Rechtsprechung noch nicht gänzlich geklärt, jedoch wird von einer verbreiteten Meinung von einer Anwendbarkeit des ProdSG auf Softwareprogramme ausgegangen.

Legt man den Maßstab des ProdSG zugrunde, dürfte nach § 3 Abs. 2 S. 1 bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung der App die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet werden. Dabei sind nach § 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 die Warnhinweise des Produkts in die Bewertung mit einzubeziehen, wobei nicht nur auf die bestimmungsgemäße Verwendung des Produktes, sondern auch auf eine vorhersehbare Fehlanwendung abzustellen ist. Seit dem vor kurzem erfolgten Update der App werden bei jedem Start Warnhinweise angezeigt, die erst nach einer Bestätigung des Nutzers wieder ausgeblendet werden. Dabei wird unter anderem darauf hingewiesen, kein gefährliches Gelände oder fremde Grundstücke zu betreten und nicht während der Autofahrt zu spielen. Aber sind diese kurzen Hinweise ausreichend? Zum einen ist dies fraglich im Hinblick auf § 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ProdSG. Dieser Punkt stellt auf Gruppen von Verwendern ab, die bei der Verwendung des Produkts stärker gefährdet sind als andere. Die Zielgruppe von „Pokemon Go“ besteht zum überwiegenden Teil aus (minderjährigen) Jugendlichen. Diese können aus verschiedenen Gründen, sei es mangels eigener Lebenserfahrung oder aufgrund jugendlichen Leichtsinns, eine Vielzahl von Gefahrensituationen noch nicht richtig einschätzen. Ob vor diesem Hintergrund ein kurzer Hinweis beim Start des Spiels ausreicht, ist zweifelhaft.

Zum anderen tritt bei dieser Form des Hinweisens in der Praxis schon nach kurzer Zeit eine Phase des Gewöhnens und Ignorierens ein, in welcher die Meldung ab dem dritten oder vierten Mal schnell und ungelesen weggedrückt wird, sodass der Hinweis und die damit bezweckte Warnfunktion wieder in den Hintergrund rücken.

Einen weiteren Prüfungspunkt liefert § 3 Abs. 4 ProdSG. Demnach ist eine Gebrauchsanleitung in deutscher Sprache mitzuliefern, wenn bei der Verwendung des Produkts bestimmte Regeln zu beachten sind, um den Schutz von Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten. Ein mit „Gebrauchsanweisung“ oder ähnlichem überschriebenes Dokument existiert für „Pokemon Go“ nicht, lediglich in den Nutzungsbedingungen findet sich ein Punkt „Sicheres Spielen“. Darin wird ausführlicher aufgeführt, was in den bereits beschriebenen Hinweisen beim Starten der App angezeigt wird. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob Warnhinweise inmitten der Nutzungsbedingungen ohne besondere Hervorhebung wirklich ausreichend sind, um zum einen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 ProdSG zu erfüllen und zum anderen effektiv zu einer Aufklärung der (minderjährigen!) Nutzer beizutragen.

Besser wäre es sicherlich, entsprechende Warnhinweise vom Start der App an ab einer gewissen Nutzungsdauer in regelmäßigen Zeitabständen zu wiederholen und diese Hinweise erst nach Ablauf von beispielsweise zehn Sekunden ausblenden zu können, wie es heutzutage bereits bei anderen Software-Anwendungen bzw. Apps, insbesondere bei Werbeanzeigen zur Erlangung der Nutzeraufmerksamkeit, praktisch umgesetzt wird. Damit kann bei der App „Pokemon Go“ sichergestellt werden, dass der Nutzer die Hinweise tatsächlich zur Kenntnis nimmt und die Meldung nicht im „Spielemodus“ automatisiert wegdrückt.  

Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Sicherheit wäre es, dass die Entwickler die Spielfläche auf gefahrlos zugängliches Gebiet eingrenzen bzw. allgemein gefährliche Gebiete, wie z. B. Autobahnen, Kreuzungsbereiche, Klippen, Schießstände, Bahngleise, großzügig abgegrenzt von der Pokemon-Jagd ausnehmen.

Außerdem könnte durch eine Sperrung der App ab einer Fortbewegungsgeschwindigkeit von über sieben km/h die Benutzung während des Auto- bzw. Fahrradfahrens verhindert werden. Eine entsprechende Funktion sieht die App „Pokemon Go“ für die Funktionsfähigkeit des Ausbrütens der Pokemon-Eier bereits vor und ließe sich auf die gesamte Funktionsfähigkeit der App ohne weiteres ausbauen, indem beispielsweise der Bildschirm schwarz wird bzw. hierauf eine weitere Hinweismeldung erscheint. 

Abschließend ist anzuführen, dass selbstverständlich auch andere Apps, wie beispielsweise WhatsApp, ein hohes Ablenkungspotential besitzen. Auch hier kommt es immer wieder zu Unfällen im Straßenverkehr. Der entscheidende Unterschied besteht allerdings in der von den Entwicklern angedachten Benutzungsweise. WhatsApp dient dem auf einen kurzen Moment ausgerichteten Austausch von Nachrichten und Bildern. Bei der App „Pokemon Go“ hingegen sollen die Spieler die App während des Fortbewegens dauerhaft laufenlassen und aktiv bedienen, um Eier auszubrüten, neue Pokemon zu fangen und neue Gegenstände bei Pokestops zu bekommen.

Die „Pokemon Go“-App regt derzeit zu vielfältigen Diskussionen an – eine davon betrifft die Frage der Produktsicherheit sowie die Vereinbarkeit mit dem ProdSG. Dies gilt auch für die Produkthaftung und Schadensersatzansprüche der Nutzer für durch Software bzw. Apps kausal verursachte Schäden.

Stuttgart, den 09. August 2016

Dominik Görtz (Rechtsanwalt)

Marcel Grützner (Wissenschaftlicher Mitarbeiter – Ref. iur.)

Görtz Rechtsanwälte ist eine seit Jahren auf Produkthaftung & Produktsicherheit spezialisierte Wirtschaftsrechtskanzlei mit Standorten in Stuttgart und Heilbronn. Unsere Mandanten sind mittelständische und international tätige Unternehmen aus der Wirtschaftsregion Stuttgart, Heilbronn, Ludwigsburg, Pforzheim und Karlsruhe und Baden-Württemberg.


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