Recht der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (Krankentagegeld, Erkrankung im Ausland)
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Finanzierung (insbesondere Beiträge)
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert sich durch die Beiträge und Bundeszuschüsse. Die Beiträge wiederum bemessen sich nach einem Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen.
Bei Pflichtversicherten zählen zu den beitragspflichtigen Einnahmen:
- Arbeitsentgelt
- Versorgungsbezüge (z.B. Betriebsrenten)
- Renten der gesetzlichen Rentenversicherung
- Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit, das neben einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung oder Versorgungsbezügen erzielt wird
Bei freiwilligen Mitgliedern darüber hinaus:
- Einkünfte aus Kapitalvermögen
- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
Sowohl bei pflichtversicherten als auch bei freiwillig versicherten Mitgliedern werden die Einkünfte insgesamt höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 5.175 € im Monat bzw. 62.100 € im Jahr (Stand 2024) berücksichtigt.
Regelungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterfallen den Regelungen des Sozialrechts, werden aber aufgrund der thematischen Nähe ebenso dem Medizinrecht zugeordnet.
1. Gesetzliche Krankenversicherung
Übersicht
Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung regelt die Rechtsbeziehungen zwischen den Versicherten („Kassenpatienten“), den Vertragsärzten, den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen.
Der Versicherte hat aufgrund seiner Mitgliedschaft gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf Verschaffung der erforderlichen Heilbehandlungsmaßnahmen.
Dabei gilt in der Regel das sogenannte Sachleistungsprinzip. Demnach bezieht sich der Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung auf Sach- und Dienstleistungen, nicht auf Geldleistungen. Die Krankenkassen bedienen sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung der vom Gesetz anerkannten und nach den gesetzlichen Vorschriften zugelassenen Leistungserbringern (Vertragsärzte).
Der Versicherte schließt hierzu zivilrechtlich einen Dienstvertrag mit dem Leistungserbringer (Arzt) und begibt sich in dessen Heilbehandlung. Dabei wird ein konkreter Erfolg (so wie im Werkvertrag) nicht geschuldet.
Der Arzt erlangt keinen direkten Vergütungsanspruch gegen den Patienten, sondern gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Zeitgleich ist der Vertragsarzt gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung verpflichtet, an der ertragsärztlichen Versorgung aller Versicherten teilzunehmen. Für von ihm erbrachte Leistungen erhält er von der Kassenärztlichen Vereinigung nach Maßgabe des einheitlichen Bewertungsmaßstabes und der Bestimmungen der Honorarverteilung seine Vergütung.
Damit stellt die Kassenärztliche Vereinigung die vertragsärztliche Versorgung sicher und erhält hierfür, nach entsprechender Abrechnung, von den Krankenkassen eine Gesamtvergütung.
Elektronische Krankmeldung
Seit 01.01.2023 melden Arztpraxen und Krankenhäuser die Krankmeldung direkt und elektronisch an die gesetzlichen Krankenkassen.
Arbeitgeber rufen die Arbeitsunfähigkeitsdaten ihrer gesetzlich versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt elektronisch bei der entsprechenden Krankenkasse ab. Arbeitnehmer sind dann lediglich noch verpflichtet, ihren Arbeitgebern die Arbeitsverhinderung und ihre voraussichtliche Dauer vor Arbeitsbeginn mitzuteilen.
Die wichtigste mit der Umstellung auf das elektronische Verfahren verbundene Neuerung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht in dem Entfall der Vorlageverpflichtung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Gesetzlich Versicherte sind seit dem 01.01.2023 nicht mehr verpflichtet, ihren Arbeitgebern einen gelben Schein vorzulegen. Arbeitnehmer erhalten von Ihrer Arztpraxis seit 01.01.2023 lediglich noch einen Ausdruck der Arbeitsunfähigkeitsdaten für die eigenen Unterlagen. Der Entfall der Vorlagepflicht ändert nichts daran, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch weiterhin verpflichtet sind, ihren Arbeitgebern die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (sog. Anzeigepflicht).
Arztpraxen übermitteln nunmehr bis spätestens 24:00 Uhr tagesaktuell die Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch an die gesetzlichen Krankenkassen. Arbeitgeber sind dann verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeitsdaten ihrer Arbeitnehmer selbst elektronisch bei der zuständigen Krankenkasse abzurufen.
Nach Eingang der Anfrage stellt die Krankenkasse die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Abruf auf dem Kommunikationsserver sv.net bereit.
Die Krankenkassen übermitteln im elektronischen Verfahren lediglich den Namen der versicherten Person, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit sowie die Kennzeichnung als Erst- oder Folgebescheinigung.
Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt zunächst nur für gesetzlich Versicherte. Privatpatienten sind daher auch weiterhin verpflichtet, ihren Arbeitgebern, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen.
Gesetzliche Hilfspflicht und Grenzen
Bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen ärztlicher Behandlungsfehler sollen die Krankenkassen ihre Versicherten unterstützen. Diese gesetzliche Hilfspflicht ist allerdings auch dann erfüllt, wenn der Versicherte mit dem Ergebnis eines eingeholten Gutachtens nicht zufrieden ist. Die Krankenkasse muss dann kein weiteres Gutachten einholen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 25.05.2023, Az. L 16 KR 432/22). Ist der Betroffene also mit dem eingeholten Gutachten über den Medizinischen Dienst (MD) und dessen Ergebnis unzufrieden, ist die Kasse nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens oder zur Vernehmung von Zeugen verpflichtet. Die Kasse habe ihrer gesetzlichen Hilfspflicht bereits durch Einholung des vorliegenden Gutachtens entsprochen. Der Unterstützungsanspruch ziele darauf ab, dem Versicherten, beispielsweise durch die Verschaffung von Auskünften über die Namen der Behandler oder die Anforderung ärztlicher Unterlagen, eine mögliche Beweisführung in seiner Rechtsverfolgung zu erleichtern.
Erkrankung über das Wochenende
Wer sich an einem Freitag krank meldet und am Montag immer noch erkrankt ist, muss an dem Montag zum Arzt gehen und sich krankschreiben lassen.
Vollstreckung der Krankenkassen
Die Krankenkassen benötigen keinen Vollstreckungstitel. Es genügt zur Vollstreckung ein Vollstreckungsersuchen nach § 15a LVwVG (Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden-Württemberg, in anderen Bundesländern entsprechend). An die Stelle der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels tritt das schriftliche Vollstreckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde.
Hiergegen kann der Betroffene nach § 766 ZPO Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung einlegen.
Medikamente ohne Zulassung nur im Notfall
Nur in einer notstandsähnlichen Situation haben Versicherte Anspruch auf eine Arznei, die nicht zugelassen ist. So hat das Bundessozialgericht (BSG) auf die Klage einer Schwangeren entschieden (Urt. v. 24.01.2023, Az. B 1 KR 7/22 R). Die Frau hatte sich mit dem für sie ungefährlichen Zytomegalie Virus infiziert. Für das ungeborene Kind hingegen kann das Virus gefährlich werden, muss es aber nicht.
In einem solchen Fall muss die Krankenkasse nicht für ein Medikament bezahlen, das die Übertragungswahrscheinlichkeit verringen sollte, bei Ungeborenen aber nicht abschließend erforscht und nicht zugelassen ist, so das BSG. Der Staat müsse zwar das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Versicherten schützen – auch des ungeborenen Kindes. Die Ausnahmen vom Leistungskatalog seien aber definiert und könnten nur im Notfall erweitert werden. Das könnte bei einer hohen Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen oder besonders schweren Krankheitsverlauf der Fall sein. Für den hiesigen Fall sagt die Statistik jedoch: keine notstandsähnliche Situation.
Krankenkasse zahlt nicht für „Notfall“ - Augen-Operation in Privatklinik
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle hat entschieden, dass die operative Therapie eines Grauen Stars (Katarakt) im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann (Urt. v. 19.12.2023, Az. L 16 KR 196/23). Die Krankenkasse müsse entsprechend nicht zahlen. Aus Sicht des Senats scheitert ein entsprechender Anspruch schon daran, dass die klagende Frau sich als Privatpatientin in einer Privatklinik hat behandeln lassen. Solche Behandlungen seien generell vom Leistungsumfang der Krankenkassen gar nicht umfasst. Hinzu komme, dass der die Frau behandelnde Arzt eine "plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation" ausgeschlossen habe. Vielmehr habe er einen senilen Katarakt, also eine typische Erkrankung im Alter diagnostiziert, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Kostenübernahme für Transplantation auch nach vorheriger Manipulation durch den Behandler
Der Göttinger Transplantationsskandal war vor über einem Jahrzehnt bundesweit in den Schlagzeilen: Der Leiter des Klinikums hatte Listen manipuliert und so die eigenen Patienten schneller an Spenderorgane gebracht. Die Krankenkasse kann das Geld für die Operationen aber nicht vom Klinikum zurückverlangen, entschied das BSG (Urt. v. 07.03.2023, Az. B 1 KR 3/22 R).
Die durchgeführten Organtransplantationen seien medizinisch indiziert und einwandfrei durchgeführt worden. Dies sei unabhängig von den zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen für den Klinikumsleiter.
Krankenkasse muss geschlechtsangleichende Operation nicht zahlen
Die Krankenkasse muss die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation bei einer non-binären Person nicht übernehmen, urteilte das BSG (Urt. v. 19.10.2023, Az. B 1 KR 16/22 R). Erforderlich sei eine Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, und daran fehle es bisher.
Die klagende Person ist als biologische Frau geboren, empfindet sich aber weder als Frau noch als Mann. Sie ließ ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe im Geburtenregister ändern. Um nicht als Frau wahrgenommen zu werden, beantragte sie bei der Krankenkasse die Übernahme der Kosten (rund 5.000 Euro) für die Entfernung der weiblichen Brust. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. In der Zwischenzeit wurde die Operation durchgeführt. Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Kostenerstattung verurteilt, das Landessozialgericht hat die Klage abgewiesen – und dabei bleib es auch nach dem Urteil des BSG.
Kein Anspruch auf nicht zugelassene Arzneimittel
Versicherte haben selbst bei regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten keinen Anspruch auf nicht zugelassene Arzneimittel. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Zulassungserweiterung aufgrund einer aussagekräftigen Studienlage abgelehnt wurde, oder weil die vorgelegten Daten wegen methodischer Probleme der Datenauswahl und Datenanalyse den Nutzen nicht bestätigen konnten, entschied das BSG (Urt. v. 29.06.2023, Az. B 1 KR 35/21 R).
Ein nicht mehr gehfähiger Patient hat ein Medikament beantragt, welches nur für gehfähige Personen in der EU zugelassen ist. Anträge auf die Zulassung für andere Patienten hatte die Arzneimittelbehörde abgelehnt. Der Senat hält mit dieser Entscheidung an seiner bisherigen Rechtsprechung fest: Eine solche negative Bewertung des Arzneimittels im Zulassungsverfahren entfaltet eine Sperrwirkung für Ansprüche auf Kostenübernahme nach § 2 Absatz 1a SGB V.
2. Gesetzliches Krankentagegeld
Bei gesetzlichen Krankenkassen beträgt das Krankentagegeld einheitlich 70% des letzten Bruttoeinkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze bzw. maximal 90% des Nettoeinkommens.
Auch wenn eine Krankschreibung erst verspätet bei einer gesetzlichen Krankenkasse eingereicht wird, muss diese dem Versicherten Krankengeld zahlen. Das hat das BSG (Urteil vom 30.11.2023 - KR 23/22 R) entschieden. Denn seit 2021 seien allein die Vertragsarztpraxen verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit den Krankenkassen zu melden. Dem Versicherten wurde seine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 11.5. bis 21.7.2021 lückenlos attestiert. Die Bescheinigungen erhielt die Krankenkasse aber erst einige Tage nach Ablauf dieses Zeitraums. Sie verweigerte daraufhin die Krankengeldzahlung und argumentierte, die Arbeitsunfähigkeiten seien nicht rechtzeitig gemeldet worden, das sei aber eine "Obliegenheit des Versicherten". Daran habe auch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nichts geändert, da diese noch nicht umgesetzt gewesen sei. Wie zuvor schon das SG und das LSG sah das BSG das anders: Der Anspruch auf Krankengeld hat nicht geruht. Seit 2021 seien die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit den Krankenkassen elektronisch zu melden. Die Meldeobliegenheit des Versicherten ist somit ganz entfallen. Werden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verspätet übermittelt, geht dieses somit nicht mehr zu Lasten des Versicherten. Ohne Belang sei, dass im streitigen Zeitraum noch nicht alle Arztpraxen Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse übermitteln konnten. Dies habe die Obliegenheit des Versicherten zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht wieder aufleben lassen, so das BSG. Auch werde der Schutzzweck der Meldung einer Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse, eine zeitnahe Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen, nicht ausgehebelt.
3. Gesetzliche Krankenversicherung bei Erkrankung im Ausland
Der GKV-Spitzenverband, als zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, hat auf der Homepage eine Zusammenstellung für Touristen, unterteilt nach Ländern, zur Verfügung gestellt:
https://www.dvka.de/de/versicherte/touristen/touristen.html
4. Gesetzliche (soziale) Pflegeversicherung
Das Medizinrecht umfasst auch Fragen der sozialen Pflegeversicherung. Bei entsprechender Pflegebedürftigkeit gewährt das Sozialgesetzbuch – Elftes Buch (SGB XI) Ansprüche zur Hilfe bei Pflegebedürftigkeit.
Für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung besteht Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Auf Antrag werden dem Versicherten dann Sachleistungen, Geldleistungen oder Dienstleistungen gewährt.
Pflegebedürftig sind Personen, die wegen ihrer körperlichen, kognitiven oder psychischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen (§ 14 I SGB XI).
In Absatz 2 werden die pflegefachlich begründeten Kriterien in 6 Bereichen genannt, die maßgeblich sind für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen.
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