Verteidigung in EncroChat- und SKY-ECC-Verfahren: Ein Kampf gegen Windmühlen?

  • 6 Minuten Lesezeit

Von Rechtsanwalt Andreas Milch


Es gibt wohl kaum Jemanden, der Cervantes’ Buchpassage, in der die windbetriebenen Mühlen in der Fantasie des Don Quijote zu Riesen werden, nicht kennt. Don Quijote prescht zum Angriff voran. Doch als der Wind die Flügel herumdreht, zerbricht die Lanze. Pferd und Reiter fallen zu Boden. Im Klassiker füllt diese Episode nicht ganze zwei Seiten, dennoch wurde Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen weltweit zur Redewendung. Es ist der Kampf des Idealisten gegen die Lebenswirklichkeit.

An diesen Romanschauplatz entführt, fühlt sich so mancher Strafverteidiger in den zahlreichen EncroChat- und SKY-ECC-Prozessen des Landes.

Eins haben die Krypto-Chat-Verfahren gemeinsam, nämlich nach hiesiger Auffassung, die unzulässige Beschränkung der Verteidigung. In sämtlichen Verfahren bleiben die Authentizität und Integrität der Daten für die Verteidigung nämlich nicht nachprüfbar und das Gros der deutschen Gerichte scheint dieser Umstand weder zu interessieren, noch Sorge zu bereiten. 

Der Zweck heiligt hier wohl die Mittel, könnte man meinen.

Auf das Ergebnis scheint es anzukommen, aber nicht, über welchen Weg es erreicht wurde.

Die Gerichte stellen die Verwertbarkeit der Daten (zumindest bisher) nicht grundsätzlich in Frage, möchten aber auch im Rahmen der dem Gericht obliegenden Amtsaufklärungspflicht und Plicht zur Erforschung der Wahrheit nicht prüfen, ob die Daten integer sind.

Das pure Vertrauen in die Lauterkeit der Datenerlangung und -verarbeitung durch die französischen Behörden, ohne nähere Überprüfung, und daraus zu schließen, dass die Daten vollständig und echt sind, wäre ein Rückschritt der Rechtsstaatlichkeit.

Ohne den französischen oder deutschen Ermittlungsbehörden Manipulationen vorzuwerfen - was deutlich betont sein soll- wäre es tatsächlich ein Rückschritt der Rechtsstaatlichkeit, wenn wir die reine Unterstellung zulassen würden, dass der Inhalt einer nicht schreibgeschützten, einfachen Excel-Tabelle echt sei und Wort für Wort stimme, ohne dies nach rechtsstaatlichen Grundsätzen von Amts wegen nachzuprüfen und der Verteidigung ebenfalls die Möglichkeit der Überprüfung zu gewähren. 

Bei den zur Beweisführung herangezogenen Exceltabellen handelt es sich augenscheinlich nicht um die Original-Daten, da Mobilfunkgeräte nicht im Excel-Tabellenformat kommunizieren, was wohl allgemein und besonders gerichts-bekannt sein dürfte.

In mehreren SKY-ECC-Großverfahren, in denen der Autor als Verteidiger tätig gewesen ist, kam in öffentlicher Verhandlung zu Tage, dass die französischen Behörden zwischen gesammelten Daten differenzieren die justiziell verwertet werden dürfen und solchen, die nur polizeilich verwertet werden dürfen.

Letztere bekommt die Verteidigung aber nicht zur Einsicht, da diese im Eigentum der JIT-Staaten (Joint Investigation Team) steht und diese die Weitergabe blockieren.

Aufgrund einer (Geheimhaltungs-)Verfügung seitens der JIT-Staaten sind der Verteidigung weder die ursprünglich gewonnenen Roh-Daten der Chats, noch die polizeilichen Datensätze, noch Unterlagen zur detaillierten Dokumentation der technischen Umsetzung zugänglich. 

Dies bedeutet, dass die hiesigen Verfahrensbeteiligten keinerlei Überprüfungsmöglichkeit haben, ob die Daten mit der erforderlichen Zuverlässigkeit technisch gewonnen und verarbeitet wurden.

Es fehlt also an allem was eine forensische Datenverarbeitung plausibel und transparent nachvollziehbar macht. Zur Funktionsweise der Datenerhebung ist mithin rein gar nichts Konkretes bekannt. Ohne Kenntnisse, wie die Daten erlangt worden sind, wie der Hack durchgeführt wurde, wie die Daten entschlüsselt worden sind, ohne Prüfung der versiegelten Original-Rohdaten aus Frankreich ist keine Überprüfung der Authentizität und Integrität der Daten möglich.

Diese fatale Beschränkung der Rechtsposition verhindert für die Beteiligten in unzulässiger Weise jede technische Verifizierungsmöglichkeit.

Nach hiesiger Auffassung zwingt die Amtsaufklärungspflicht die Gerichte geradezu dazu, sämtliche Daten beizuschaffen und die Datengewinnungs- und Verarbeitungsprozesse bei Europol aufzuklären, gerade da Europol eine EU-Einrichtung ist. Weshalb den Verteidigern auch Zugang zu den Europäischen Akten und sämtlichen Daten gewährt werden und nicht nur eine, in einer schlichten Exceltabelle aufbereitete Auswahl von Daten zur Verfügung gestellt werden darf.

Die Gerichte winken hier zwar bundesweit noch ab. Hoffnung gibt aber eine erst kürzlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26. September 2023 in der Sache Yuksel Yalcinkaya gegen die Türkei ECHR, Az.: 267, 2023 (15669/20).

In dieser Grundsatzentscheidung hat die Große Kammer des EGMR in aller Klarheit deutlich gemacht, dass es den Grundsätzen eines fairen Verfahrens entspricht, dass einem Angeklagten uneingeschränkter Zugang zu den vermeintlich belastenden Beweisen (hier: Rohdaten der Chatdateien sowie Metadaten des Kryptomessengers Bylock) sowie die Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Rohdaten einer unabhängigen Prüfung zur Überprüfung ihres Inhalts, der Zuverlässigkeit und ihrer Integrität zu unterziehen. Sollten von diesen Grundsätzen Ausnahmen gemacht werden, sind diese umfangreich zu begründen und müssen im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung anderweitig kompensiert werden.

Der EGMR stellt dabei fest (Abs. 344 des Urteils), dass das Recht auf ein faires Verfahren, aus dem das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Rechtspflege abzuleiten ist, für alle Arten von Straftaten, von den einfachsten bis zu den komplexesten, gilt.

Das Recht auf eine faire Rechtspflege nimmt in einer demokratischen Gesellschaft einen so hohen Stellenwert ein, dass es nicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit geopfert werden darf (siehe Ramanauskas gegen Litauen [GC], Nr. 74420/01, § 53,EGMR 2008), und die erlangten Beweise, ob elektronisch oder nicht, dürfen von den nationalen Gerichten nicht in einer Weise verwendet werden, die die Grundprinzipien eines fairen Verfahrens untergräbt.“

Nach Ansicht des Gerichts war das Versäumnis der inländischen Gerichte, in Bezug auf das streitige Schlüsselbeweisstück (Anmerkung: Chatdateien) angemessene Garantien vorzusehen, die es dem Antragsteller ermöglichten, es wirksam anzufechten, sich mit den wesentlichen Fragendes Falles auseinanderzusetzen und ihre Entscheidungen zu begründen, mit dem Wesen der Verfahrensrechte des Antragstellers nach Artikel 6 § 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) unvereinbar. Diese Versäumnisse hatten zur Folge, dass das Vertrauen, das die Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft in der Öffentlichkeit erwecken müssen, untergraben und die Fairness des Verfahrens verletzt wurde.“ (Abs. 345 des Urteils).

Abs. 327. d. Urteils:

„Das Gericht bekräftigt in diesem Zusammenhang, dass das Erfordernis der Offenlegung „sämtlicher materieller Beweise“ für oder gegen den Angeklagten gegenüber der Verteidigung, was einen Aspekt des Rechts auf ein kontradiktorisches Verfahren darstellt nicht eng ausgelegt werden kann, in dem Sinne, dass es nicht auf Beweise beschränkt werden kann, die von der Staatsanwaltschaft als relevant erachtet werden. Sie umfasst vielmehr sämtliches Material im Besitz der Behörden (Anmerkung des Unterzeichners: sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Bundeskriminalamts und der ausländischen Ermittlungsbehörden), das möglicherweise für die Verteidigung relevant ist, auch wenn es von den Strafverfolgungsbehörden überhaupt nicht oder nicht als relevant erachtet wird.

Die Rechtsprechung des EGMR vom 26.09.2023 lässt sich auch ohne weiteres auf SKY-ECC oder Encrochat-Fälle subsumieren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Original-Rohdaten der Chats möglicherweise Elemente enthalten, die es den Betroffenen ermöglichen würden, sich zu entlasten oder die Zulässigkeit, Zuverlässigkeit, Vollständigkeit oder den Beweiswert des Materials anzufechten. Die reine Vorlage von Berichten/Auszügen von Chats in Form von Excel-Tabellen reicht hierfür nicht aus. Die Exceltabellen stellen auch nicht die Rohdaten dar. Es liegt wohl auf der Hand, dass Mobiltelefone und auch sonst internetfähige Geräte nicht im Excelformat miteinander kommunizieren.

Zusammengefasst bleibt in diesem Kampf gegen die staatlichen Windmühlen und für rechtsstaatlichen Idealismus mithin noch alles offen. Auch wenn der Schwung der Windmühlen aktuell noch die Lanzen zerbrechen lässt, deutet alles darauf hin, dass sich die derzeitige Rechtswirklichkeit in den kommenden Monaten und Jahren noch ändern wird.

Der Autor ist Fachanwalt für Strafrecht und  Verteidiger in einer Vielzahl von Encro-, Sky-Ecc- und Atom-Verfahren. Auch ist er der Verteidiger des ersten SKY-Ecc-Großverfahrens Deutschlands (2022), welches nun im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof ist und auch dort eines der ersten Verfahren sein dürfte.

Rechtsanwalt Milch verfügt über ein ausgeprägtes IT-technisches Verständnis, welches für die Verteidigung in derartigen Kryptochatverfahren sehr hilfreich ist.

Den vollständigen Aufsatz finden Sie auf meiner Kanzlei-Webseite. 






Foto(s): @pixabay.com/boskampi

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