Was ist ein "Behindertentestament"?

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Eltern geistig schwer behinderter Kinder stehen in aller Regel vor der Frage, wie sie ihre letztwillige Verfügung gestalten sollen, um dem behinderten Abkömmling möglichst gerecht zu werden. Häufig sind solchermaßen erkrankte Kinder in Heimen untergebracht, wobei die Heimkosten über staatliche Zuschüsse gedeckt werden. 

Hat der Staat Zugriff auf die Erbschaft des Behinderten?

Sofern der Behinderte zu Vermögen kommen sollte, leitet der Sozialhilfeträger die entsprechenden Erstattungsansprüche auf sich über, um die gezahlten Leistungen zurückzufordern. Als Vermögenserwerb gilt dabei auch eine Erbschaft oder ein Pflichtteilsanspruch des Sozialleistungsempfängers.

Verstirbt ein Elternteil des behinderten Kindes, unterliegt der Nachlass deshalb regelmäßig dem staatlichen Zugriff.

Die Enterbung des Behinderten ist keine geeignete Lösung

Oft versuchen Eltern durch eine Enterbung des behinderten Kindes zu verhindern, dass dieses pfändbaren Nachlass erhält. Hierdurch entstehen jedoch Pflichtteilsansprüche zugunsten des behinderten Kindes, die wiederum auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden können!

Schutz durch das sog. Behindertentestament

Unter dem Begriff „Behindertentestament“ ist eine effektive Gestaltungsmöglichkeit entwickelt worden, um die Zugriffsmöglichkeit zu begrenzen. Das während des Lebens erarbeitete Familienvermögen soll soweit als möglich der eigenen Familie und den folgenden Generationen erhalten bleiben und dem Zugriff bzw. Regress des Sozialhilfeträgers nach dem Tod eines Elternteils entzogen werden.

Ausgangspunkt dieser Testamentsgestaltung ist die Tatsache, dass das Eigenvermögen des behinderten Kindes mit dem Nachlass der Eltern im Erbfall zu einer Einheit verschmilzt. Deshalb kann der Sozialhilfeträger auch auf die Erbschaft des Hilfeempfängers zugreifen. Es gilt daher, diese Verschmelzung von Eigenvermögen und Nachlass zu verhindern, aber dennoch dem behinderten Kind aus dem Nachlass etwas zukommen zu lassen.

Die Vor- und Nacherbschaft als Mittel der Wahl

Das behinderte Kind sollte bei richtiger Testamentsgestaltung von den Eltern als Vorerbe eingesetzt werden. Als Nacherbe kann ein Abkömmling des behinderten Kindes, ein gesundes anderes Kind oder ein anderer Familienangehöriger bestimmt werden. Gleichzeitig wird für den behinderten Vorerben eine Dauertestamentsvollstreckung auf Lebzeiten angeordnet. Dem Testamentsvollstrecker wird im Rahmen einer der jeweiligen Familiensituation genau zu fassenden Anordnung aufgegeben, dem behinderten Vorerben bestimmte Nutzungen aus dem Nachlass zukommen zu lassen. Hierbei sollte es sich um die Erträgnisse handeln, welche die Lebensqualität des behinderten Kindes verbessern und die zum geschützten Schonvermögen gehören. Das Schonvermögen stellt den „unantastbaren“ Vermögensteil des Behinderten dar, welcher dem Zugriff des Sozialhilfeträgers von vornherein entzogen ist.

Expertentipp: 

Auf gar keinen Fall darf das behinderte Kind mit einem kleineren Erbteil als der Pflichtteilsquote eingesetzt werden. Nach § 2306 Absatz 1 Satz 1 BGB gilt ansonsten die Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung als nicht angeordnet; damit würde die gesamte Konstruktion fehlschlagen und der bezweckte Schutz des Familienvermögens entfällt.

Testamentsvollstreckung ist Teil der Problemlösung

Die genaue Ausgestaltung der Handlungsbefugnis des Testamentsvollstreckers und die Fassung seiner Aufgabenbereiche stellen einen wichtigen Eckpfeiler des „Behindertentestaments“ dar. Als Testamentsvollstrecker sollte – soweit möglich – ein Familienangehöriger, bzw. der Nacherbe, eingesetzt werden, um zu vermeiden, dass familienfremde Dritte Einblick in die Vermögensverhältnisse der eigenen Familie erhalten.

Der Bundesgerichtshof hat diese Art der Gestaltung des Behindertentestamentes bereits gebilligt, indem er hierfür ein „billigenswertes Interesse“ des Erblassers anerkannte.

Keine Standardlösungen

Da jede familiäre und finanzielle Situation anders gelagert ist, ist dringend davor zu warnen, ein Behindertentestament „von der Stange“ oder aufgrund von vorgedruckten Erklärungen zu fertigen. Droht bei behinderten Kindern mit dem Ableben eines Elternteils der Sozialhilferegress, sollte der Erblasser daher rechtzeitig und richtig Vorsorge treffen, um das Vermögen über den eigenen Tod hinaus im Familienbesitz zu halten. Dies kann wegen der komplexen Rechtsfragen nicht ohne fachkundigen Rat geschehen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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