Was, wenn ich aus einem fremden Auto aussteige und mich dabei verletze? Wer haftet für den entstandenen Schaden?

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Urteil Saarländisches Oberlandesgericht


In einem Grundsatzurteil des saarländischen Oberlandesgerichtes (OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.9.2021 - Az.: 4 U 3/21) wurde über folgende Frage entschieden:


Trifft den Insassen eines Fahrzeugfonds ein Mitverschulden, wenn dieser aus dem Fahrzeug aussteigt und sich dabei verletzt!?


Dieser Frage lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin saß als Insassin im Fahrzeugfond des Beklagten. Sie saß linksseitig hinter dem Fahrer.

Dieser signalisierte ihr durch Betätigung des Automatikgetriebes und Einstellen auf die entsprechende Position „P“, dass er beabsichtigte zu parken. Die klagende Mitfahrerin nahm nun also an, dass sie auch trotz des noch laufenden Motors unbeschadet aussteigen könne.

Während die Klägerin ausstieg, setzte der Beklagte gleichzeitig sein Fahrzeug erneut in Bewegung. Hierbei wurde der linke Fuß der Mitfahrerin zunächst im linken Radkasten eingeklemmt. Anschließend kam es zu einer massiven Überdehnung und Rotation des linken Knies sowie des Oberschenkels. Nachdem die Mitfahrerin aufgrund dessen aus dem Fahrzeug springen musste, rollte das Fahrzeug über Fuß- und Sprunggelenk der Mitfahrerin. Die Klägerin wurde massiv in ihrer Gesundheit geschädigt, es entwickelte sich unter anderem ein Dauerschaden in Form einer dauerhaften Behinderung in Höhe von 30% GdB (= Grad der Behinderung) sowie eines chronischen Schmerzsyndroms; sie bleibt wohl lebenslang geschädigt und ist auf die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen.

Der Beklagte gab im Prozess jedoch an, dass er den Auststeigevorgang der Klägerin nicht registriert hätte, da er abgelenkt war. Er unterhielt sich nämlich gerade in diesem Moment mit dem Beifahrer. Außerdem spielte auch noch das Autoradio Musik ab.

Dennoch verurteilte ihn das OLG Saarbrücken zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldleistungen, und zwar für bereits eingetretene sowie auch zukünftige Schäden, die aus dem Unfall entstanden sind bzw. noch entstehen werden. 


Für die Beurteilung dieses Sachverhaltes und der damit einhergehenden Schuldfrage waren mehrere Aspekte zu beachten:


  • Haftung des Fahrzeughalters 

Grundsätzlich haftet der Halter eines Fahrzeugs verschuldensunabhängig für die Schäden, die bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen gem. §§ 7 I, 18 StVG. Diese sog. Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken, dass der Ersatzpflichtige bereits durch die Erlaubnis einer gewissen Tätigkeit, wie beispielsweise vorliegend die Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs, eine potentielle Gefährdung herbeiführt. Aufgrund der weiten Fassung des Begriffs der Inbetriebnahme, fällt hierunter auch das Ruhen des Fahrzeugs in einer verkehrsbeeinflussenden Weise. 

Für die Annahme der Haftung ist also erforderlich, dass sich eine typische Betriebsgefahr realisiert hat. Hierzu muss ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs und dem Schadenseintritt bestehen.

Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich in dem vorliegenden Unfallereignis unstreitig die Betriebsgefahr des beklagten Fahrzeugs verwirklicht hatte. Denn das Fahrzeug war über den Fuß der Mitfahrerin gerollt.


  • Wie haben sich aber Fahrer und Insassen in diesem Fall zu verhalten?

Zum einen muss der Fahrer neben der Verpflichtung, ein Kraftfahrzeug nur in einem persönlich geeigneten und fahrtüchtigen Zustand zu führen, auch folgendes beachten:


beim Verlassen des Fahrzeuges hat er die nötigen Maßnahmen zu treffen, um Unfälle oder Verkehrsstörungen zu vermeiden, so § 14 II 1 StVO.

Auf der anderen Seite trifft diese Sorgfaltspflicht auch den Mitfahrer gem. § 14 I StVO – auch er hat eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmender beim Ein- und Aussteigen auszuschließen.


  • Umstände des Einzelfalls 

Auf jeden Fall sind für eine solche Fallbeurteilung und in der Abwägung der einzelnen Pflichten sowie etwaige Verstöße hiergegen die Umstände des Einzelfalls zu beachten:


Unstreitig ist, dass den Fahrer irgendein Verschulden trifft. Denn die Klägerin setzte bereits einen Fuß aus dem Fahrzeug und wurde durch das Fahrzeug aufgrund des Verhaltens des Fahrers verletzt.


Im vorliegenden Fall wurde insbesondere die Frage relevant, ob die Mitfahrerin ein Mitverschulden gem. § 9 StVG und § 254 I BGB trifft.


§ 14 I StVO schützt allerdings lediglich das Vorrecht des fließenden Verkehrs und nicht wie in der vorliegenden Situation, dass ein Fahrzeug stillstand. Weiterhin sprach vorliegend gegen ein
(Mit-)Verschulden der Insassin, dass die Innenraumbeleuchtung des Fahrzeugs zuvor vom Fahrer so modifiziert wurde, dass sie sich beim Öffnen der Tür nicht automatisch einschaltete. Gerade diese bietet die Möglichkeit zu erkennen, ob eine Tür am Fahrzeug geöffnet wurde oder eben nicht.

Auch der Umstand, dass der Motor nach Umschalten des Automatikgetriebes auf die Position „P“ noch angeschaltet war, gab keinen hinreichenden Anlass, an der Beendigung der Fahrt zu zweifeln. Es ist durchaus üblich, diesen nach Fahrtende noch angeschaltet zu lassen, um entweder die Klimaanlage oder Heizung noch weiter zu betreiben.

Diese Umstände ließen für das OLG Saarbrücken den Schluss zu, dass die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass die Fahrt tatsächlich beendet war und ein gefahrloses Aussteigen erfolgen konnte.




Mit seiner Entscheidung bestätigte das OLG Saarbrücken als Berufungsgericht die Erstentscheidung des LG Saarbrücken (Urt. v. 10.12.2020 – Az.: 10 O 3/20) und schuf hiermit für die Fallkonstellation des Schadenseintritts beim Aussteigevorgang eines Mitfahrers aus dem Fahrzeugfond ein Präzedenzurteil, das in Zukunft mit Sicherheit bundesweit Beachtung finden wird.




Die MK RECHTSANWALT als Geschädigtenvertreter unterstützt Sie gerne bei Fragen des Verkehrsrechts und insbesondere bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Körperschäden aufgrund eines Verkehrsunfalls.

Foto(s): https://www.canva.com

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