Leistungen aus der privaten Unfallversicherung – Gliedertaxe

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Leistungen und Höhe der Zahlung

Die private Unfallversicherung leistet eine Zahlung, falls man als Folge eines Unfalls dauerhaft in seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit – ganz oder teilweise –beeinträchtigt wird (Invalidität).

Die Höhe der Zahlung richtet sich nach

  • der vereinbarten Versicherungssumme sowie einer eventuell vereinbarten Progression,
  • dem Umfang der bleibenden Beeinträchtigung (Invaliditätsgrad)
  • und der vertraglichen Gliedertaxe.

Die Gliedertaxe

Die Gliedertaxe ist eine Tabelle, die Sie in Ihrem Versicherungsvertrag finden. Dort sind bestimmten Körperteilen, also Gliedmaßen (Hand, Arm, Fuß usw.) oder Sinnesorganen (Auge, Ohr usw.), feste Invaliditätsgrade in Prozentsätzen zugeordnet für den Fall, dass ein Körperteil vollständig funktionsunfähig wird.

Diese Taxe variiert von Versicherer zu Versicherer und von AUB zu AUB, die Unterschiede fallen allerdings nicht immer direkt ins Auge. Hier nachfolgend als Beispiel die vollständige Gliedertaxe der Allianz, AUB 2014:

"Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der folgenden Körperteile oder Sinnesorgane gelten ausschließlich die hier genannten Invaliditätsgrade:

Arm 70 %
Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 %
Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 %
Hand 55 %
Daumen 20 %
Zeigefinger 10 %
anderer Finger 5 %
Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 %
Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 %
Bein bis unterhalb des Knies 50 %
Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 %
Fuß 40 %
große Zehe 5 %
andere Zehe 2 %
Auge 50 %
Gehör auf einem Ohr 30 %
Geruchssinn 10 %
Geschmackssinn 5 %"

Hat man eine Versicherungssumme von 150.000,00 EUR ohne Progression vereinbart und verliert bspw. das rechte Auge, zahlt die Versicherung 50% der Versicherungssumme, also 75.000,00 EUR.

Teilweise Funktionsunfähigkeit

Häufiger jedoch ist ein Körperteil nur teilweise funktionsunfähig. Dann wird die Zahlung anteilig berechnet.

Eine häufige Verletzung bei einem Auffahrunfall besteht zB. darin, dass man heftig mit dem Knie gegen das Armaturenbrett schlägt und hierdurch das hintere Kreuzband reißt. Derartige Kreuzbandrisse sind ganz überwiegend sog. Komplexverletzungen, dh. dass in den meisten Fällen auch der Meniskus, die Gelenkkapsel oder die Seitenbänder verletzt sind.

Bleibt nun trotz Heilbehandlungen eine dauerhafte Bewegungseinschränkung zurück und wurde der Unfall der Versicherung gemeldet, gibt diese ein Gutachten in Auftrag.

Der begutachtende Arzt ermittelt nun, wie stark hierdurch das Bein bis zur Mitte des Oberschenkels beeinträchtigt ist (geguckt wird also vom Fuß aufwärts).

Angenommen, der Gutachter stellt die Instabilität des Knies fest und bewertet deshalb die Invalidität mit 1/20. Die Versicherung bietet dann 5% der vollen 60% von den vereinbarten 150.000,00 EUR an, im Beispiel wären das (nur) 4.500,00 EUR.

Die Versicherung will meist, dass man die Summe endgültig akzeptiert, bevor sie zahlt.

Bewertungsspielraum und Verhandlungsmöglichkeiten

Bei diesen ärztlichen Feststellungen gibt es jedoch eine ganz erhebliche Schwankungsbreite. Die angebotene Summe muss daher keinesfalls das letzte Wort sein. Vielfach kann durch fundierte medizinische Argumentation eine Nachbegutachtung veranlasst und in der Folge eine deutlich höhere Summe erzielt werden.

Dies gilt insbesondere für alle weiteren Komplexverletzungen, zB. im Schultergelenk bei sog. Rotatorenmanschettenrupturen oder im Fußgelenk.

Mehrfach haben wir erlebt, dass in den Begutachtungen einfachste Beweglichkeitstests nach der Normal-Null-Methode fehlten und bereits im Rahmen einer Nachbegutachtung nach Aktenlage eine höhere Invalidität festgestellt wurde.

Vorinvalidität, unfallfremde Krankheiten und Spätfolgen

Vielfach finden Leistungskürzungen aufgrund angeblicher Vorinvalidität statt bzw. eine bestehende Vorinvalidität wird zu hoch bewertet.

Ferner besteht nach den AUB für die Versicherer die angreifbare Möglichkeit, die Leistungen zu kürzen, wenn unfallfremde Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben. So heißt es in den älteren AUB 88 und 94 (dort § 8) zB:

„Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, so wird die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens gekürzt, wenn dieser Anteil mindestens 25% beträgt.“

Die Vorerkrankung oder das bestehende Gebrechen kann sich einmal beim Eintritt der Verletzung (Meniskusschädigung als Folge vorzeitiger Texturstörung) oder auch bei den Folgen auswirken, so wenn bspw. die Amputation der Großzehe nach Tritt in eine Glasscherbe notwendig wird, weil als Folge eines schlecht eingestellten Diabetes eine Wundheilungsstörung auftrat. Der Versicherer ist hier in der Beweislast.

Ebenso streitanfällig ist, ob und in welchem Maße Spätfolgen des Unfallereignisses zu bewerten sind, also vor allem das sog. Kompartmentsyndrom, die Sudeck’sche Dystrophie/Morbus Sudeck (CRPS), eine Ostitis sowie eine Arthrose.

Bemessungen außerhalb der Gliedertaxe

Sehr unsicher und daher ebenfalls angreifbar sind Begutachtungen, wenn ein Körperteil betroffen ist, das von der Gliedertaxe gar nicht erfasst wird.

Schädel-Hirn-Traumata, Verletzungen der Wirbelsäule und inneren Organen oder bspw. eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und andere seelische Leiden sind gar nicht aufgeführt; und dennoch sind sie abgedeckt.

Die Bewertung derartiger Schäden überfordert in vielen Fällen die beauftragten Gutachter. Denn sie müssen einschätzen, in welchem Umfang die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt dauerhaft beeinträchtigt ist; Maßstab ist dabei eine durchschnittliche Person gleichen Alters und Geschlechts.

Es existieren für die Sachbearbeitung in den Versicherungen Bewertungsempfehlungen, diese sind aber nicht bindend und sicherlich nicht immer einfach zu handhaben oder gar pauschal anzuwenden.

Heranziehen von Gutachten der Berufsgenossenschaft

Zum Teil kommt es daher vor, dass Versicherungen die Bewertungen aus parallel laufenden sozialgerichtlichen Verfahren zB. gegenüber der Berufsgenossenschaft heranziehen, wenn es sich um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Tabellen der Berufsgenossenschaften sind viel detaillierter, allerdings vergeben deren Gutachter regelmäßig sehr niedrige Invaliditätsgrade, damit die BG keine Verletztenrente zahlen muss. Hier muss man also doppelt aufpassen.

Aus diesem Grunde raten wir, die Entscheidung der Versicherung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen und ggf. parallel dazu die Bescheide der BG bei Arbeitsunfällen.

Wir raten jedoch auch dazu, solche Verfahren nicht ohne eine Rechtsschutzversicherung zu führen.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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